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pool #20 25.10.-31.10.1999
pool #19 / pool #21
Ich lese gerade, gegen alle anfänglichen Widerstände, Tristesse Royal,
darin eine Szene, in der die Fünf in eine gelangweilte Demonstration gelangen, deren
Beschreibung wiederum zu den Reaktionen im loop passt. Dort beschwert man sich über
Zensur, Nazis sind wir, Selektion, weil ich geschrieben habe, daß loop nun zumacht und
man darin auch, wie im pool, nur über Passwörter schreiben kann.
Es ist lustig zu lesen, mit der gleichen Leidenschaftslosigkeit und dumpfen Wortwahl wird
dort argumentiert wie auf einer politischen Demonstration, die alles über einen Kamm
schert.
Ein charmantes Mädchen (also unter 30), kam neulich zu uns, sie wollte ein Interview
machen für ein japanisches Magazin (das es dann auch auf englisch in Deutschland gibt).
Sie fragte ob wir uns jetzt mit pool als Gruppe durchsetzen wollten; pardon Stephanie, in
meiner Erinnerung war in dem Satz noch: auf dem Weg durch das Feuilleton, nach oben.
Ein seltsames Bild entsteht. Freitag Abend um halb zwölf rief ich in Leipzig Anke
Stelling an. Sie hat mit Robby Dannenberg zusammen ein sehr schönes Buch geschrieben:
Gisela. Wir reden davon schon seit zwei Wochen, Elke und ich. Anke Stelling sagte erst
einmal: 'Oh, dann gehören wir ja zur Elite.' Ich war so irritiert, daß ich noch eine
Viertelstunde lang auf sie einredete, sie eher zurückhaltend: 'Ja...,. ...mmh,
ja....okeh.' Sie hat am Wochenende nicht mehr zurückgerufen.
Wenn ich irgendwo lese:' ... www.ampool.de...', dann hebe ich es längst nicht mehr auf.
Etwas Neues, völlig für sich selbst Stehendes wird erzeugt: Elite, Gruppe, Pop, Clique,
Macht. Die Wahrheit, was das Feuilleton betrifft und pool darin, ist die: Es ändert
nichts an den Besucherzahlen. Null, Nichts, nicht an dem Tag, nicht in der gleichen Woche.
Im Gegenteil, die Zahlen steigen stetig, ungerührt.
Warum wir nicht politisch sind, fragt Erstere (japanisches Magazin). Ich überlege. Dann
sage ich: Schreiben ist politisch, ich bin politisch, mein Schreiben ist eine politische
Haltung, Aussage. Keine Slogans, keine Sprüche und Parolen, Einordbarkeit. (Längere
Antwort, das Leben, die Angst, der Stolz, der Tod ...). Ich hoffe es ist richtig.
Offenheit.
Daß ich im Geheimen, weil ich es erst später bemerke, ihre Haltung bewundere, etwas, das
mir fremd ist: z.B. Vegetarier aus politischen Gründen zu sein.
Daß das Foto auf Tristesse Royal albern ist, abstoßend, ich mich sogar abfällig über
das Buch geäußert habe. Und daß ich dann darin lese, merke daß es gut ist, die ganze
Idee wunderbar, nicht nur weil mir beim Lesen viele verlorene Gedanken wieder in den Sinn
kommen, die es weiterzudenken gilt.
(Daß ich nicht für die Anderen sprechen kann, keiner Gruppe angehöre, mich nicht gemein
mache, auch nicht mit den Anderen im pool. Weil ich weiß, immer, ich bin: allein.)
Sven Lager - 25.10.99 at 01:55:04
1. ZENSUR ist per definitionem ein staatlicher Akt zur Einschränkung der
freien Meinungsbildung. Was aber durch die Veränderung des loops passieren kann und
sollte, ist gerade das Gegenteil. Durch die Vermeidung von sprachlicher und inhaltlicher
Beliebigkeit, treten Meinungen, sofern sie vorhanden sind, klarer hervor.
2. Es ist vielleicht ein Fehler zu glauben, daß Menschen, die bereits veröffentlicht
haben, eine Meinung haben und diese klar formulieren können.
3. Der Mensch ist durch sein Leben in gesellschaftlichen Zusammenhängen ein politisches
Wesen, es ist nicht möglich, sich unpolitisch zu verhalten. Auch Gleichgültigkeit ist
politisch.
4. Die ständigen Schreie "Das hatten wir doch schon mal", Faschismus-Vorwürfe
sind widerwärtige Totschlagargumente und zeugen nicht gerade von Geschichtskenntnis und
Streitkultur.
5. Im "Vorwort" zu loopool wird der Begriff "literarischer Salon"
gebraucht, nicht Kaffeekränzchen, Partnervermittlung oder Seifenersatz; diese Seite wurde
also mit einer konkreten Idee installiert und wem diese Idee nicht gefällt, hat Millionen
anderer Seiten und chatrooms zur Auswahl.
6. Die Verwechslung der Begriffe "Vorrunde" und "Hinrunde" regt mich
wahnsinnig auf.
Britta empfiehlt allen, "Sprache ist eine Waffe" (Tucholskys Sprachglossen) zu lesen, - 25.10.99 at 09:03:26
Aus dem Forum der 13:
******************************************************************************* Lou A.
Probsthayn 24.10.99 20:26:45 Das gibt es doch gar nicht! Mit einiger Überraschung
(Entsetzen)habe ich feststellen müssen, dass die Autoren im Pool, an der Spitze Elke
Naters und Sven Lager, den Loop eliminieren wollen, sprich die Archive ihrer Gäste
löschen werden, die Kritik an ihrem Pool verbannen, weil ihnen die Qualität im eigenen
Gästehaus nicht paßt. Unabhängig von der Frage der Qualität sowohl im Pool als auch im
Loop sollten sich die o.g. in Grund und Boden schämen. Was sind das für eigenartige
Götter, die zensieren, obwohl sie selbst unter Zensuren leiden - und irgendwie - bitte
keine historischen Vergleiche - erinnert mich das Fahreneinheit 4?? (Zahl vergessen) und
schlimmere Gschichten. Ich bin wirklich entsetzt, dass Autoren die Meinungsfreiheit
beschneiden wollen, um die wir schließlich immer wieder kämpfen. Ich stelle nur fest -
und werde einen Disput mit dem Pool nicht aufnehmen. Aber schön, dass wir im Internet
endlich die ersten virtuellen Massengräber finden werden - und das durch Autoren ...
******************************************************************************* Oswald
24.10.99 23:55:51 Lieber Lou A. Probsthaydn, ich muss Dir leider sagen, dass Du gerade
einen ziemlichen Seich geschrieben hast. "Fahrenheit 451" ist die Temperatur,
bei der Bücherpapier verbrennt. Die Herausgeber des Pool verbrennen keine Bücher und sie
schaffen kein "virtuelles Massengrab". Es ist wirklich abstossend, mit welcher
Gedankenlosigkeit Du die Gestalter einer Web-Site mit faschistischen Gewaltverbrechern
gleichsetzt, indem Du eine solche Diktion wählst. Auch die "Meinungsfreiheit",
deren Bestand Du gefährdet siehst, wird durch die Vergabe von Passwörtern für den Loop
und die Löschung der Archive von Pool (in dem ja auch die Texte der Herausgeber selbst
stehen!) und Loop nicht berührt. Die Leute, die in Loop dann nicht mehr schreiben
können, sind nicht daran gehindert, eigene Web-Sites zu basteln und dort
weiterzuschreiben. Hier im Forum gibt es noch nichtmal einen Loop oder ein Gästebuch. Ist
das Faschismus? Wohl kaum. Wenn Dir der Herausgeber einer Zeitung einen Artikel
zurückschickt, weil er ihn nicht haben will, verletzt er dann Deine Meinungsfreiheit?
Keineswegs. Du kannst ihn an der nächsten Strassenecke den Passanten, die zuhören
wollen, vorlesen. Wollen die Herausgeber von Pool die Kritik am Pool verhindern? So
grössenwahnsinnig sind sie nicht. Sie tippen mühsam die Verrisse aus der Presse ab und
stellen sie in den Pool, damit sie jeder lesen kann. Hinter der Absicht, Loop zu
schliessen und die Archive zu löschen steckt - ich bin schon versucht zu sagen
"nichts weiter" - als ein poetisches Konzept. Das was in Pool/Loop geschrieben
wird, verschwindet nach einer Weile wieder. Prima Idee! Was da geschrieben wird ist NICHT
für die Ewigkeit. Ich hoffe, der Schmäh, den Du da oben geschrieben hast, auch nicht.
Gruss, Georg
Georg M. Oswald - 25.10.99 at 09:31:30
7. Noch etwas: nicht jedes geschriebene Wort ist im engeren Sinn "LITERATUR".
Und obwohl sich hier kräftig dagegen gewehrt wird, glaube ich, daß der loopool nur dann
Sinn macht, wenn jeder hier seine persönliche Form von Literatur findet, seine
persönliche Sprache. Denn die Worte sind hier das Einzige, was wir von uns Preis geben
(können).
8. Und: Patrick (und einige andere)! Masse erschlägt. Ein zu Ende gedachter, präzise
formulierter Gedanke bewegt mit Sicherheit mehr als endloses, phrasenhaftes Geschwätz.
Das hat der pool übrigens dem loop der letzten Tage voraus: zu wissen, wann Schluß sein
muß.
Britta: Jetzt muß Schluß sein, - 25.10.99 at 09:31:58
Die Luft ist
an diesem Morgen
wie in Paris
die Schüler ausgelassen
Die Zeitungen sind
weit weg
Britta steht
mit der Fahne auf einem Hügel
im sanften Wind
hält sie hoch
Georg trägt New Balance Schuhe
Lou A. Probsthayn nicht
Und Rainald
Bewunderung, sehr freundschaftlich
anders als nur: Respekt
es ist ausgesprochen
hat recht
Sven L. - 25.10.99 at 11:03:10
Jetzt fühl Dich
bloß nicht sicher
vor mir,
pool.
Verquaste Pseudolyrik finde
ich lächerlich
,
egal ob
der Verfasser
sich
Junkets oder Goetz,
Sven oder Patrick nennt.
Britta - 25.10.99 at 11:53:03
Heute habe ich von Günter Grass geträumt. Er trug eine große, blaue
Krawatte und eine plumpe, robbenartige Hose. Er hat mich 'Looser' genannt. Und ich ihn
'Schnorrer.'
Lorenz Schröter Berlin, - 25.10.99 at 12:21:29
Vier Tage kein pool zu gucken ist fast so gut wie ein Monat ohne
Fernsehen. Rückt die Dimensionen wieder zurecht. Zugunsten von Herbstlaub und Licht.
Wieder zurückzukommen ist wie der Moment, in dem ich den Zündschlüssel umdrehe, kurz
bevor der Kassettenrekorder anspringt: JEDESMAL habe ich genau die Stelle des Liedes im
Kopf, das tatsächlich läuft, und es läuft genau an der Stelle weiter, die ich gerade
virtuell mitsinge. Das ist Konzept. Von mir aus ein poetologisches.
Stefan Beuse Hamburg, - 25.10.99 at 12:25:28
Brautschau -
ä: Draufschau-Literatur
nervöses Zucken, nochmal: Huschen
Blicken, Blättern -
Stoß,
Punkt, fort
schnell weiter weg und
weg, weg, weg sich selber
irgend wohin träumen in Gedanken
es geht, kaputte Szene, hier
um den Zerwürfnis-Zustand innen drin,
im Ich,
von dem die Texte handeln -
man kann auch von Zerstörtheitsresultaten sprechen
deshalb lesen sich die Dinger
laut
vor Leuten
nicht so gerne vor
sie wollen lieber
einem einzelnen allein gehören,
in der Stille der Lektüre,
wo jedes Wort zum andern sagt:
ich nicht, ich nicht, und ich auch nicht
KRANK
ich weiß
ich sagte das schon oft
ich wiederhole das
weil heute
meine erste Lesereise los geht
KRANK
und ihr nicht sehr neues Motto heißt:
NEUE FEHLER MACHEN - die alten kennen wir schon
Montag, 25.10.1999, Berlin
Rainald Goetz - 25.10.99 at 13:49:52
an der Brandmauer gegenüber
wächst aus dem Parkplatzteer
der wilde Wein -
ich nenn das mal so -
gezackt, gestreckt, tiefdunkelrot
sind die Finger der Pflanze mit den vielen Blättern
ans Grau der bloßen Steine geklammert
darüber: orange leuchtend
von der Sonne beschienen:
das Stück einer Campingplane
aus Plastik, gewellt: da wohnt wer
noch höher: da arbeiten sie -
im Himmel, im Blassblau des Morgens
dreht sich ganz ruhig ein riesiger Kran
der ist - blau in blau - hellblau lackiert
und dann fliegt ein Flugzeug
durch dieses Bild, im Steigflug
silbergold glänzend
das ist der Name der Farbe hier
dann paar Vögel - echt -
ich mache ein Foto
und höre die Worte:
Gottesbeweis
Dienstag, 26.10.1999, Mainz, Cityhotel Neubrunnenhof, Zimmer 309
Rainald Goetz, Köln, - 26.10.99 at 15:36:40
Es hat mich berührt, wie Christian Kracht gestern im Münchener
Literaturhaus seine Geschichte aus Mesopotamia gelesen hat: eher leise, eher monoton,
beinahe zerbrechlich, so verloren wie sein Protagonist, der bereits die Spuren zu seinem
Selbstmord gelegt hatte, als er im Flugzeug saß und sich Verse William Blakes über den
Tod in Erinnerung rief, die, von Kracht rezitiert, ihre traurige Schönheit ohne Aufhebens
entfalteten, so daß etwas von der Größe des Todes, den sein im Grunde ja ziemlich
kümmerlicher Held wählte, zu spüren war, von der Größe JEDES Todes. Das war dunkel,
das war tief. Respekt.
Georg M. Oswald München, - 26.10.99 at 16:14:24
Ökologie der Liebe: Sonora-Wüste mit Zelt und Fernrohr. Henry spielt
Sandhase, verfolgt Spuren. Nina beobachtet Milchstrasse. camping-gear by mcmillan.
Dämmerung: Steine sammeln, Kakteen aufschlitzen Wüstenboden studieren.
highbrow-tendenzen.
Sunset über Tuscon: Technicolor. Das Klima der amerikanischen Wüste ist wie eine Ware,
die man vermarkten und verkaufen kann. Nirgendwo sonst existiert diese Verschmelzung
radikaler Unkultur und Naturschönheit. Gaskocher by Century, Camping-Food by Yamamoto.
Die amerikanische Nacht: Das Land ist entgöttert, unsere Natur ist Pool. Keine Lust an
der Leere, kein Berauschen an toten Seelen. Wir starren wie ausserirdische Besucher auf
die Umwelt.
Mitternacht: Süsse Angst im Zelt. Lagerfeuer by BIC Classic.
Tom Kummer Tucson , USA - 26.10.99 at 18:58:01
1
Bei manchen Wünschen, so hatte er ihr widersprochen, wäre es doch ganz schön, wenn sie
wahr würden.
2
Wenig später hatte er sie geküßt.
3
Das fiel ihr wieder ein, als sie aus dem Rückfenster eines Busses auf den vom Mond
beschienenen, regenglänzenden Asphalt schaute. Blätter rutschten ruckelnd hinter ihr
her.
4
Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, deren Geräusch zu hören. Wie klang ihre Fahrt,
bevor sie nach wenigen Metern in einem matten Liegenbleiben endete?
5
Wider besseres Wissen hoffte sie auf ein Rascheln.
Carmen Samson Berlin, - 26.10.99 at 22:32:24
Chateau-Inn-Motel, Phoenix: Wir liegen am Swimmingpool, trinken kalte
Biere und zählen die vorüberziehenden Bikinis.
Später, Vorbereitung auf Interview mit Schauspieler Edward Norton. Stossrichtung:
"Der Krieg gegen Amerikas Männer", aha.
Dämmerung, pool of sand: Wüstenstädte sind bewegliche Landschaften, alles ist in
dauernder Bewegung. Sogar die Gebäude entstehen und verschwinden hier schneller als
irgendwo sonst. Zartbesaiteten graut vor ihrer Ausdehnung, ihren Distanzen. Widerspricht
dem Gemeinplatz von der sog. menschlichen Natur, zwingt zur Erfindung neuer Identitäten.
Nouvelle Megapolis: Phoenix kennt kein Jenseits, kennt keine Metaphysik. Die Strenge ist
total und die Kultur eine Wüste. Weil sie eine Wüste sein muss, damit alle Dinge gleich
sind und in derselben übernatürlichen Form leuchten. Sicherheitsreflex: Augen
schliessen.
Nacht: Drive-Inn-Kino, "Boys Don t Cry". Henry schläft.
Mitternacht: Sinnlose Fahrt durch Suburbia, rechtwinklig-netzförmig-glühende
Unendlichkeit.Sex.
tom kummer phoenix, usa - 27.10.99 at 02:36:44
Aaaah, New York im Oktober. Ganz sentimental möchte man werden. Mit Ralf
(Piper/Pool), Ramona (Bronx Lebanon Hospital) und Irina (DAAD Architekturstipendium,
derzeit ZDF) zur Eröffnung von Audreys und Jonnys neuem Dienstatgsclub, den sie aus der
Bowery Bar ins Serena unterm Chelsea verlegt haben. Gute Wahl. Im hinteren Eck beim DJ das
Mädchen, das sich bei der Betriebsführung im S & M-Wallstreet-Club nicht interviwen
lassen wollte (wegen blauer Flecke und Dienste als 'submissive slave girl'). Heute frisch
und braun und fröhlich. Offensichtlich Job gewechselt. Letzte Gäste - Ralf und meine
Wenigkeit. Und zum trunkenen Abschluß noch die Journalistensünde Nummer eins.
Taxifahrerzitate: "Ya know, that place I didn't know about. Any good? Ya know, the
Indian drivers know about it, it's over. I gotta pay so many bills. Not even my bills. My
mother. She took out 90.000 Dollars on a credit card. I gotta pay that. She takes out
these loans on that house. I gonna get it when she's dead, so what good is it, if she
loses it to those guys. So I gotta pay. My girlfriend. She goes to Germany. Works. Comes
back, can't get a job. I gotta pay. But I know all the good clubs. Sway. Save The Robots
gonna open again next month. The Indian drivers don't know about it. They find out?
Fuhghettaboutit."
Andrian New York, - 27.10.99 at 09:46:00
die strukturelle Transzendentalität
des Bewusstseins -
zwei Schreibtische, ein Doppelbett,
Papiere, Bücher und ein Kännchen mit Kaffee -
ich fröstle und zähle die Tage:
eins, zwei, heute erst drei
wofür?
Beweis wofür?
dass Menschen leben auf Erden,
dass wir Luft haben
zu atmen,
und dass die Dinge
in Bewegung sind
Gegenbeweis: eventuell morgen
Mittwoch, 27.10.1999, Köln, Hotel Chelsea, Zimmer 41
Rainald Goetz, Frankfurt , - 27.10.99 at 15:50:04
Eine ungefähr drei Monate verspätete Antwort auf Christians Behauptung,
es gäbe keinen Lonely Planet für Deutschland. Gibt es doch, und im Serviceteil steht
unter der Überschrift "Travelling Alone" der hübsche Satz: "Travelling
alone is not a problem, Germany is generally well developed and safe."
Andrian Kreye, - 27.10.99 at 16:26:52
Pool of Crap, Interview-Tag: Duschen. Einkleiden. Fingernägel säubern,
Strategie überprüfen. Was ich in solchen Momenten empfinde ist mit einem Wort gesagt:
Eine Störung. Ich fühle mich gestrandet, wie ein Einwanderer.
Filmset in Scottsdale: Werwolfsfratzige Bluthunde von der PR-Abteilung Columbia-Tristar
kontrollieren Mappe, Tonbandgerät, angeblich wegen Morddrohungen gegen Norton seit
"American History X".
Norton sitzt im Luxusbus, trinkt Mountain Dew. Das Businnere ist ganz Weiss, ausgestattet
im modernen dänischen Stil/High-Tech - weisse Wände und Teppichböden.
Metallröhrentisch. Rattanstühle mit weissem Stoffbezug. Ein bisschen Jet-Age-Modernity.
Barbarella meets Charles Eames. Szenenfotos aus Rockvideos sind an den Wänden
aufgehängt: Elvis Costello im 50er Jahre Outfit auf einem Atompilz aufkopiert. Diana Ross
bis auf die Knochen durchnässt bei ihrem Konzert im Central Park.
Norton sagt, soviel verstehe ich noch: "It is meant to be forward-looking". Er
trägt ein "Versuchs mit Gott"-T-Shirt und schwarze Jeans.
Höre zuerst gar nicht hin, was der so alles erzählt. Denke bloss, vielleicht hat der
talentierteste Schauspieler Amerikas den Zynismus ein wenig auf die Spitze getrieben. Doch
dann versucht er mich vom Gegenteil zu überzeugen:
"Um wirklich zynisch zu sein, musst du dich in Hinblick auf deine Gefühle selbst
hinters Licht führen. Ich weiss genau, was mich zusammenhält. Keine verlogene Liebe oder
Sentimentalität. Kein vorgetäuschtes Interesse. Kein Pathos.
Das sagt er einfach so. Das Band läuft. Ein 100-Frage-Spässchen, dafür hätte ich mich
entscheiden sollen. crap.
Stattdessen: Norton löst jene Sorte Bewunderung aus die Amerikaner gern auslösen, wenn
sie in ferne, zivilisierte Länder reisen. Norton spricht jetzt mit einer Ernsthaftigkeit,
als enthülle er ein Geheimnis, eine versprochene Botschaft, die ich in ein fernes Land
tragen müsse. Er lässt mich eine sanfte priesterliche Inbrust spüren, ein heisses
Prickeln. Bis hinunter in die Zehenspitzen, vergleichbar mit dem Empfinden von jungen
Matrosen bei der Hafeneinfahrt. Hollywood-Immanenz nennt sich das, wie man sie vielleicht
am Grab von Dean Martin empfindet. Auch wenn es, wie immer, eine Täuschung ist, die nur
anhält, bis ich wieder in meinem Wagen sitze.
4 Stunden später: Play Day Songs. Henry auf meiner Schulter. Aussentemperatur: 37 Grad.
Shopping im Kühlhaus. BIG 5.
tom kummer phoenix-arizona, usa - 27.10.99 at 19:06:19
Mikroklima: Ich sitze gerne in der Küche. Ein altes Sofa, zerschlissen, ein Küchentisch,
Post und die Teller der letzten Tage darauf. Zigarette, in den Ritzen der Tastatur Asche,
die nach dem Pusten übrig bleibt. Ich habe ein Schraubenzieherset, denn Krümel und feine
Härchen sammeln sich im Laptop und es stürzt ab. Sand. Der Rücken krumm. Kaffee, bis
spät in die Nacht. Sand. In den Schuhen der Kinder ist Sand, er liegt im Flur, fein, fast
weiß, in einem Muster, das die Kinder mit ihren Stiefeln gemacht haben.
Tom, Nina und Heny sind schon im Zelt, ich liege noch im Sand der Wüste, der kalt wird in
der Nacht, und sehe auf die Sterne. So hoch der Himmel, noch blau, eine Farbe die schwebt,
mit den Sternen da oben steht. Stille, - wie ein fast unhörbarer, flacher Atem. Ich bin
im All.
Stefan, für ihn habe ich die Geschichte geschrieben. Zehn Jahre ist das schon her, denke
ich plötzlich überrascht, als ich sie lese. Zehn? Unter dieser gigantischen Kuppel der
Welt weiß ich nicht wohin damit. Meiner jüngeren Schwester habe ich ein Exemplar von der
'Freistunde' geschenkt. Sie kommt rein mit dem aufgeschlagenen Buch, jetzt hat sie Tränen
in den Augen und ich erschrecke, weil ich nicht weiß, ob sie es je wußte: daß Stefan
tot ist. Ich habe es ihr nie gesagt. In der Geschichte steht es.
Der Cursor blinkt weiter ungerührt, während ich es ein wenig zur Seite neige. Aus dem
leeren Batteriefach rieselt Sand.
***
Fast hätte ich es vergessen. Ein neues Bild von Tom Kummer: work
Sven Lager - 27.10.99 at 22:47:31
1
Sie hatte verloren, als sie das erste Mal Herzklopfen bekam.
2
Auf ihrem Anrufbeantworter seine Bitte um Rückruf.
3
Sie nutzte die Stunden bis zu der Zeit, in der er für sie erreichbar war, um seine Texte
zu lesen.
4
Dabei hörte sie eine Stimme, von der sie am nächsten Morgen wußte, daß es seine
gewesen war.
Carmen Samson Berlin, - 28.10.99 at 01:44:21
Gestern abend bei Stuckrad-Barre Menschenmassen wie beim Abschiedskonzert
von Marius Müller-Westernhagen: Das Publikum eine Mischung aus Take-That-Hörerinnen,
Bierflaschenzerdepperern, wie man sie aus ländlichen Pfarrheim-Jugenddiscos kennt,
verschämten Intellektuellen, die sich das (der Vollständigkeit halber) "auch mal
antun" wollen und Literaturfunktionären, die hautnah mitkriegen wollen, "wie
dieses Pop-Ding eigentlich funktioniert".
Die Schlange reicht noch eine halbe Stunde nach dem offiziellen Einlaß bis zum CATS-Haus
nebenan, auf dem etwas unbeholfen eingedeutscht "Jetzt und für immer" steht.
Fünf Minuten später ist die Veranstaltung ausverkauft; das Restpublikum muß ins
benachbarte China-Restaurant "Mandarin" ausweichen, wo die Lesung live auf eine
Video-Großbild-Leinwand übertragen wird und jetzt schon Länderspiel-Stimmung herrscht.
Ich warte auf die ersten STUCKI-Shanties, aber bis jetzt nur konspiratives
Jeverflaschenaneinandergeklimper.
Viertel nach neun betritt ER dann die Bühne, und ich weiß nicht, ob das an der Kamera
liegt, aber er selbst und sein gesamter Leseplatz ist so überstrahlt, daß man nur einen
weißen Scherenschnitt erkennt. Ohne jede Kontur. Als hätte jemand das wichtigste Stück
aus einem Bild einfach entfernt. Ein Platzhalter, für was auch immer.
Barre beginnt zu lesen, und nach jedem zweiten Satz spielt er ein musikalisches Jingle
ein. Barre trifft Kracht, und es läuft "Mutter, der Mann mit dem Koks ist da."
Karnevalsprunksitzung auf Pop. Ta-Tááá, Ta-Tááá, Ta-Tááá.
Alle lachen. Beim Rausgehen sehe ich, daß auf der Rückseite von Barres Plakat - ein
marketingtechnisches Äquivalent zur Wendejacke - Elke Naters abgebildet ist. "Elke
Naters liest Lügen" steht da. Am 2.11. ab 20.00 Uhr.
Später sitzen wir im Molotow unter einer Discokugel, die sich den ganzen Abend lang nicht
drehen wird, und reden über das Verschieben von Feuerzeugen.
Stefan Beuse Hamburg, - 28.10.99 at 12:17:10
Der Werbtexter eines Billigbrillenhändlers hat es mit den neuen Plakaten
in der U-Bahn auf den Punkt gebracht: "Now you can really see how small your
appartment is. Lenscrafters - ruining New York's reputation as the most overpriced city in
the country."
Andrian, New York, - 28.10.99 at 15:27:29
Wanderschaft
im nächsten Zimmer
auf und ab
und hin und her
Unrast und Erschöpfung
Hader
dass so vieles immer fehlt
Geistesgegenwart zum Beispiel sehr
ich würde gerne verschiedene Szenen
aus den letzten drei Tagen
in einer konzertierten Aktion
zurückrufen: Rückrufaktion
hierher, in diesen Kopf
KRANK
dort würde dann alles
irgendwie verbessert werden
und die Dinge, die geschehen sind
im Zwischendrin von Mensch und Mensch
durch Blicke, Reden, Gesten, Memen
würden korrigiert, gelöst, erlöst erscheinen
nein: sagt der hohe Herr, die Zeit
Erlösung gibt es nur im Text
der Welt ist WIRR
wir sind: die Verstörten
und davon handelt: Kunst
Donnerstag, 28.10.1999, Frankfurt, Suhrkamp Gästehaus
Rainald Goetz, München, - 28.10.99 at 17:32:09
Tag für Tag..
Ein Tag und noch ein Tag und noch ein Tag...
Wagnis, nicht nur zu leben einen Tag!
Wagnis, wer in der Öde zu leben vermag
von einem Tag und noch einem Tag
und nicht von Sonne zu Sonne, einen einzigen Tag!
Lebte man nur einen Tag, ich würde beißen
um zu küssen, rauben um zu lieben,
würde nicht bitten, nicht verlieren, würde entreißen,
würde stehen über Gut und Böse...
Lebte man nur einen Tag, wer sagt da,
was ich tun oder nicht tun mag
zwischen Erwachen und Abend, bis zur Neige geht der Tag,
meine Sonne eines einzigen Tags...
Lebte man nur einen Tag,
Gäb es doch nur einen einzigen Tag
und nicht dieses Tag für Tag...Tag für Tag...
Miguel Angel Asturias (*1899)
Lieber Georg M. Oswald: Trotzdem: Dd8-e7
Lieber Rainald: "Brother, it don't matter" (Vampires)
Liebe Elke, lieber Sven, liebe alle: Wo bleibt die große Reise, pool on tour?
Eckhart Nickel Heidelberg, Oktober - 28.10.99 at 21:18:31
1
Nachdem er ihr eines seiner Bücher geschickt hatte, entwarf sie ein Bedankemichfax.
2
Höflich sollte es sein. In Frage kommende Übermittler wie Sekretärinnen oder
Haupt-Referats-Nebenstellen-Leiter sollten es als distanziert und doch freundlich ansehen.
3
Unter dieser Oberfläche aber sollte es wenn nicht lodern, so doch wenigstens locken.
4
Es war klar, daß sie ihn stattdessen anrief. Es gab zuwenig Geheimnisse zwischen ihnen,
als daß eine Zweitsprache möglich gewesen wäre.
Carmen Samson Berlin, - 29.10.99 at 00:26:56
Als sie mir die Decke vom Gesicht zog, schien wieder dieses grelle Neonlicht in meine
Augen. Deshalb konnte ich sie zuerst kaum erkennen.
' Hello Miss Ihva, I'm Saowalak, your anesthesist.' verkuendete eine Frau Ende fuenfzig
froehlich. Dabei legte sie ihre schwere Fake-Chanel in hellblauem Snakeskin auf meine
Bahre. Sie sah aus wie die thailaendische Version meiner rumaenischen Grossmutter, also
huebsch gepflegt mit einer dieser goldumrahmten Brillen, deren Buegel am unteren Rand der
Glaeser angebracht war. Den Schwesternkittel hatte sie zusaetzlich mit einem Stueck
Pflaster ueber dem grossen Busen geschlossen. Sie war dezent geschminkt und ihre Hand war
weich und warm. Das konnte ich fuehlen, denn nachdem sie die Tasche abgestellt hatte, nahm
sie meine Hand und die drueckte sie fest.
'Why don't you get up so I can walk you to the OR. We don't need this.' sagte sie mit
einer wegwerfenden Kopfbewegung in Richtung der Bahre unter mir. Also stand ich auf und
ging mit ihr barfuss die langen breiten Korridore des Krankenhauses entlang. Dabei hielt
sie die ganze Zeit meine Hand und ich war ganz froh darum, denn ich dachte, wenn sie das
nicht taete, wuerde ich wegfliegen, so klapprig und leicht fuehlte ich mich. Dabei muss es
ein furchtbar laecheriches Bild gewesen sein: ich das bleiche Etwas mit einem viel zu
kurzen blauen Krankenhauskimono und einer Art Duschhaube aus Gaze um die Haare, barfuss
und lang an der Hand dieser winzigen runden Dame mit ihrem huebsch geschminkten Gesicht
und ihrer Chanel Handtasche.
Im OP angekommen wurde ich auf einen Tisch gelegt und dann bauten einige Helfer rechts und
links zwei Seitenteile an den Tisch, auf die ich meine Arme legen sollte. Ich lag dann da
wie Jesus aber auch ein bischen wie Sean Penn in Dead Man Walking.
Saowalak die Anaetshesistin stach mir sanft eine Kanuele in die linke Hand und Ploetzlich
hatte ich schreckliche Angst. 'I'm SO scared', sagte ich und wusste, dass sie laechelte,
obwohl sie jetzt schon diesen Mundschutz um den Kopf gebunden hatte. Eine Traene lief mir
das Gesicht hinunter und sie tupfte sie mir ab.
'Don't, I'll put you to sleep now.' erwiederte sie kurz.
Als ich wieder erwachte hatte ich schrecklichen Hunger und kaufte mir bei Starbucks zwei
Pain au Chocolat.
Eva Munz Bangkok, Thailand - 29.10.99 at 17:08:05
München: coming home
wie wars?
Horror
wie gehts?
traurig, fertig, dumm
KRANK
Blut: tropft mir auf die Brust
bei rot: hier anhalten
Freitag, 29.10.1999, Hotel Advokat, Baaderstraße 1
Rainald Goetz, Berlin, - 29.10.99 at 17:35:35
Eine herzliche Einladung, um das 25jährige Jubiläum von High Times zu
feiern, jener legendären Fachzeitschrift für den Anbau und Genuß von Marihuana, eines
der wenigen funktionierenden Überbleibsel aus der Yippie- und Underground-Press-Bewegung.
Da standen sie im Irving Plaza, freundliche Senioren, zwischen hübschem New Yorker
Partyvolk, das - Seinfeld- und Standup-Comedy-Club-geschult - etwas ratlos auf die
subversiven Kalauer von Paul Krassner reagierte. Zur musikalischen Unterhaltung waren
Cypress Hill aus East Los Angeles geladen, die ihr Mediendebüt auf den Seiten von High
Times gegeben hatten. Herbe Klänge: "Fuck the pigs, I killed a man", mit
dazugehörigen Soundsplittern von Maschinengewehrsalven und quietschenden Autoreifen. Die
Gemeinsamkeiten waren dann auf lange Sicht wohl doch eher perhipher.
Ironie der Kulturgeschichte - die Titelgeschichte der aktuellen Village Voice über die
neue Drogenkultur: "Longer, Harder, Faster: Partying With Viagra." So war das
nicht geplant, damals im Summer Of Love.
Andrian Kreye New York, - 29.10.99 at 17:44:20
Gerade angehalten auf dem Plattenspieler, zum Hier-rein-Tippen: die LP
"Thirteen" von Teenage Fanclub, natürlich wieder, zu Recht, eine vollkommen
unbekannte Platte und natürlich wieder: grauenhaft gut. (Nachbarn, auf diesem Weg:
Entschuldigung, es ist mir wurscht, wie Sie diesen KRACH ertragen, so sind wir, LAUTE
Jungs, die, leider, pünktlich ihre Miete zahlen. Wir bleiben, Sie werden uns so schnell
nicht los. Bis bald im Treppenhaus: dann wieder freundlicher.) London: 1993. Creation
("I know somebody who knows somebody who knows Alan McGee"). Wir erinnern, liebe
Jungs aus der Moabiter Rathenowerstraße und lieber Mosh, wie wir fast irre geworden sind
damals. Warum? Naja. Vor GLÜCK über diese Musik. So richtig
Mit-Schuhen-auf-gemachten-Betten-rumsteigen, gegenseitigem An-den-Hüften-Packen und
SCHÜTTELN und Woh! Wohhh-ey! schreien. Schrumm, schrumm. This is your one way ticket
YEAHHHHH! don't fuck it up! Jawoll. Teenage Fanclub dann auf der Bühne: das Wimp-Elend.
Man konnte es schon 1993 schlichtweg kaum aushalten: diese Enttäuschung. Schluff schlaff.
Ein Rumgehänge war das. ANGST! Dieses Klein-Klein, dieser Bastel-Bastel-Trick: Looser
sein ist symphatisch. Ist es eben: nicht. Auf der Bühne: nur scheiße. Alle drei
Fett-Langhaare, Fett-Anoräke, Flare-Jeans (Bitte was? WAS?), der Sänger mindestens
Dioptrin acht. Blick: immer schön auf den Boden. Übel, übel, übel nahmen es wir denen,
dass sie nicht RAUSKAMEN mit der ganzen Härte, Dramatik, der Wucht ihrer Musik. Wenn die
Leute rufen, und sie rufen selten, selten zweimal, selten jahrelang - dann muss der
Künstler raus: raus da! Es ihnen ZEIGEN.
Zum Punkt: Rainald gestern im Münchner Literaturhaus. Er stand da, zwei Stufen-Absätze
höher als das Erdgeschoss, über dem Lokal: lesend; am Pult; unter Papieren, Notizen,
Büchern; am Mikrophon; und als Herr Wittmann (Schreibweise evtl. unkorrekt), Chef des
Literaturhauses, kam, um den Klappentext des neuen ORANGE-Buches vorzureferieren wie ein
GRABREDE auf irgendwas, fand er, der Zum-Lesen-Angeküngte, noch Zeit, die Kamera zu
greifen und abzudrücken: Haha! Triumph! HE STOOD THERE, SPREADING HIS ARMS, PREACHING HIS
TEXT. Es ist, wie in der Musik: Es kommt AUCH immer darauf an, wie einer AUSSIEHT beim
Stehen, Lesen, Singen, irgendetwas tun, sich-präsentieren. Da: vollkommene Contenance,
Sicherheit, das Knowledge. Jaaaa-wohl! Wir hören zu! Es IST schon grausam spannend, bitte
nur weitertexten, dann WIRD es noch spannender, wir hören, jawohl, jawohl. Der Lesende:
eben im Endeffekt vollkommen unfähig zu irgendeiner Schauspielerei. So wurde es, ja, noch
packender. Zwischendrin hatte der Lesende fast so etwas wie eine MÄRCHENSTIMME. Text
handelte (anfangs) von irgendwas Lichtem, Schönem, Wohlig-Empfundenem, Einzelheiten egal.
Das war besonders schön zum Zuhören. Man war ja auch schon bisschen angedoingt vom viel
zu frühen ersten Bier, und so schaukelt man dann so hin und her beim Zuhören. Sackte
richtig weg ins Zuhör-Wunder-Land. Sie da? Tausend Dank für Ihren Auftritt.
Moritz von Uslar, München - 29.10.99 at 23:12:35
1
Zwei Tage, nachdem er seinen Vortrag in ihrer Stadt angekündigt hatte, rief sie ihn an.
In der Nacht: Träume von einem Flug nach Australien, von Blicken, Bier und Mißbilligung.
Und von einem Bad im Meer. Über allem: Trauer.
2
Am nächsten Morgen also: Es täte ihr leid. Aber das ginge alles nicht. Diese
Angelegenheit ziele in eine Richtung, und daran sei sie sicherlich nicht unbeteiligt
gewesen, die sie nicht wolle. Also: Nicht mehr. Nicht noch einmal. Es sei nicht freundlich
von ihr, das erst jetzt zu sagen. Das wisse sie, und sie entschuldige sich auch dafür.
3
"Mach dir keine Sorgen."
4
Erst später erinnerte sie sich, daß sie in einer ihrer ersten Unterhaltungen gefragt
hatte: "Haben Sie denn keine Angst vor Frauen?"
5
Am Vorabend seiner Ankunft kaufte sie in der U-Bahn die Zeitung des nächsten Tages, was
sie in ihrem Zeitgefüge ein wenig durcheinander brachte.
6
Das Horoskop lautete: "Ihre Moral steht Ihnen im Weg. Gönnen Sie sich endlich mal
was."
7
Es wäre doch eine Möglichkeit, dachte sie, daß die Sterne seltener lügen als die
Menschen.
8
In der Nacht redeten sie vom Blick der Fluggänse, von Sternschnuppen, und vom hellsten
Planeten am Himmel. Ob es die Venus oder der Mars sei. Oder doch Jupiter?
Carmen Samson Berlin, - 30.10.99 at 13:24:36
Antje Dorn Berlin, - 30.10.99 at 14:23:22
zu Wolfgang Farkas sagte ich: ja, stimmt
dieses fast schon kindische Phantasma
der Idee der täglich neuen Möglichkeit
dass es gelingt: geglückter Tag
ich will ja nichts sagen
ich will es nur schreiben
eine kleine deutsche Reise
eine Woche Herbst des Jahres 1999
es war Ende Oktober
und die Bäume waren bunt
Montag in Mainz: arg wirr
Dienstag, Köln: plötzlich so ein tolles Zimmer
am Mittwoch in Frankfurt, die Lesung: so könnte es gehen
Donnnerstag in München: danach im Schumanns, nachts krank
Freitag, Berlin: am Ende, wie so oft, dann doch versöhnt
Kitschgefahr, ist leider klar
durch zu viel Kaputtheit, Denkproblem
trotzdem, sagte ich vorhin zu Herrn Scobal
freue ich mich, dass der Lacher noch vorkam
ich glaube nicht an den Lacher
Lacher: Textmachtmacher
der Lacher hat nicht das letzte Wort
Samstag, 30.10.1999, Berlin
Rainald Goetz, Berlin, - 30.10.99 at 18:01:22
Mit meinem Sohn
setze ich Blumenzwiebeln
auf dem Garagendach
Nach dem Tee finde ich
im Bücherschrank:
LIU-P'AN BERG
Himmelshöhe, Wolkenblässe,
außer Sicht die südlich fliegende Wildgans.
Unerreichbar die Große Mauer,
sind wir nicht gute Han;
zählen an Fingern die Wegmeilen, zwanzigtausend.
Liu-p'an Berg empor, auf hohem Gipfel
rotes Fahnenmeer, gekräuselt vom Westwind.
Heute schon ein langes Seil in Händen;
wann ist es Zeit zu fesseln den Grünen Drachen?
Mao Tse-Tung, Oktober 1935
In die Stadt hinunter
zur Buchhandlung Roter Stern GmbH
fahre ich
hinter einem Citroen 2CV
her
von dessen Heckscheibe
ein Aufkleber
mich auffordert:
"Zieh mit:
Wähl' Schmidt"
und plötzlich habe ich
völlig zusammenhanglos
das Gefühl, die Großen Ferien
würden bald beginnen
Georg M. Oswald Marburg, - 31.10.99 at 11:56:45
die zu lange Nacht im Kreuz
vielleicht auch einfach liegen bleiben heute
Winterzeitbeginn
draußen fällt der Regen
KRANK
dann macht das Licht
eine Gebärde: auf
okay, okay
Sonntag, 31. Oktober 1999, Berlin
Rainald Goetz - 31.10.99 at 17:16:37
Eva: Gute Besserung.
rebecca casati - 31.10.99 at 18:36:30
Wie sehen Sie denn aus?
Rebecca Casati, Moritz von Uslar
Preis: DM 29,80
EUR 15,24
Gebundene Ausgabe (1999)
Heyne, Mchn.; ISBN: 3453165411
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Moritz von Uslar, München - 31.10.99 at 19:14:02
Neu eingeladen an den pool: Robby Dannenberg und Anke Stelling, deren
gemeinsames Buch 'Gisela' uns sehr gut gefallen hat. Herzlich Willkommen.
s*pool - 31.10.99 at 20:36:41