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pool #8 25.07.-31.07.1999
pool #7 / pool #9
Die Großmutter sagt: schön, daß es heute nicht regnet.
Das ist wahr.
Dann wurde es doch noch schön. Aber es ist gar nicht das Wetter.
Der schönen Landschaft, dem Glitzern und Pappelwiegen, Elchen und Füchsen stehe ich eher
ratlos gegenüber - Wie schön. Wunderschön.
Und dann? Das Wasser zu kalt, um darin einzutauchen. In den Wiesen Schlangen. Der Wind
zerrt an den Haaren und die Augen ständig zu Schlitzen gekniffen wegen der Glitzerei.
Dabei bin ich den ganzen Tag nur müde müde müde und möchte mich hinlegen und
ausstrecken - in einem Bett.
Naters Nättraby, Sweden - 25.07.99 at 22:44:36
Bitte schreiben Sie nicht mehr unter meinem Namen (siehe oben) in das
Pool, wer immer Sie sind. Da draussen.
Christian Kracht Bangkok, Thailand - 26.07.99 at 07:21:38
in den vw-bus quetschen sich zehn jugendliche des jugendheims hindenburg
stralsund. zypressen stehen hier am wegrand und halme, die weiße wollwimpel in den wind
halten. es ist ein starker wind vom meer, aber im auto wird ihnen heiß, sie können die
fenster hinten nicht herunterkurbeln und sie sehen geblendet in die sonne. an einer
tankstelle halten sie an. die heimleiterin hat einen schwarzen addidas jogginganzug an,
sie steigt aus und macht die schiebetür auf und die jugendlichen fallen heraus und
schütteln ihre glieder. es ist eine kleine tankstelle auf einer insel. auf dem weg
mußten sie warten bis die drehbrücke die segelschiffe durchgelassen hatte. deshalb gibt
es jetzt eis. sie stehen an der truhe und rechnen die preise um oder schauen sich die
schokoladenriegel an, die sie noch nicht kennen. sie sind zu dick angezogen, das sehen sie
an den beiden mädchen, die mit pastelfarbenen trägerhemden und baumwollshorts bei den
comics stehen. sie lauschen der sprache: 'fan, vad tänkte du jag ville har, jag tar den
och du den.' es ist ein weicher singsang. sie haben zahnspangen und kettchen mit bunten
perlen an. dann sagt die eine plötzlich laut: FUCK YOU! und alle drehen sich um, aber sie
reden weiter auf schwedisch und blättern in den zeitschriften. 'hopp, hopp!' sagt die
heimleiterin, jeder bekommt ein eis, das wässrig nach vanille und himbeeren schmeckt. sie
müssen es draußen essen, vor dem bus, während über ihnen schläfrig ein stahlseil an
der fahnenstange ploppt.
sven lager südschweden, - 26.07.99 at 12:15:18
HARALD STAUNt heute in der SZ über den pool. Wenn wir geahnt hätten zu
welchen interpretatorischen Höhenflugen dieser Name das Feuilleton verleitet, wir hätten
uns einen anderen Namen ausgedacht.
pool, das haben wir erst später entdeckt, heißt ja heute jede grafikbude. natürlich
dachten wir an einen echten pool, aber die bedeutung hat sich verselbständigt, ist
wasserlos geworden. in unserem fall elektronisch. komisch nur immer dieses bemühen text
im netz zu internetliteratur umzumünzen. also erst so ein wort zu benutzen und sich dann
zu fragen, ob das überhaupt geht. die rede war nie von internetliteratur oder -kunst. man
schreibt im netz und durch das netz findet das schreiben eine neue form. neue formen, denn
welche, das wird sich noch herausstellen. nicht weil wir "cyber-schreiber" sind,
aber danke, sehr lustiges wort.
seicht ist es am pool allemal, verglichen mit der schweren und tiefgreifenden arbeit des
schriftstellers, des kulurarbeiters, der in seinem sprachbergwerk arbeitet. pardon, das
ist so rausgerutscht, aber so ist es doch, das alte bild vom schreiben.
übrigens, es sind auch gute künstlerinnen am pool.
e.naters & s.lager karlskrona, sweden - 26.07.99 at 13:53:12
Kritik und Selbstkritik. Herr Staun, der Name ist nett gewählt, hat sich
in der SZ immerhin ernsthaft zu pool eingelassen, was man von der Zeit, die über die
Begeisterung, daß das Wort pool auch in Swimmingpool vorkommt, geradezu den Kopf verloren
hat, nicht behaupten kann. Aber auch Herr Staun denkt bei pool offensichtlich sogleich ans
Baden gehen. Das macht mich staunen. Ich habe bei pool anfangs nur an das gedacht, was es
im Englischen eben heißt: Zusammenschluß, Verbund, Interessengemeinschaft o.ä. Das
"Herumhängen am Pool", also am Schwimmbecken scheint eines der zentralen
Wunschbilder deutscher Kulturjournalisten zu sein, weswegen ich meine schon früher
geäußerte Forderung, die Redaktionsstuben endlich mit Klimaanlagen oder wenigstens mit
Wassereimerchen unter Zusatz von Efasit auszustatten, nocheinmal wiederholen will.
Ich verstehe auch nicht, warum jetzt, zu diesem Zeitpunkt, unbedingt die Frage geklärt
werden muß, ob pool Kunscht ist oder nicht. Ich finde es absolut überflüssig darüber
zu räsonnieren, weil pool ja gerade im Entstehen begriffen ist und die Frage viel eher
sein sollte, ob das, was hier entsteht, interessant ist oder nicht. Interessant einfach in
dem Sinn, daß man es gerne liest, gleich, ob es jetzt ein erzählender Text ist oder
Bilder oder Zeug, das man in jedem Chatroom finden kann.
Auch die Idee, daß neben dem - möglicherweise ja belanglos daherkommenden - Pooltext die
daran beteiligten gaanz dolle Romane, "große Literatur", wie Herr Staun sagt,
dichten, ist für pool und die Qualität von pool ganz ohne Bedeutung. Ich glaube noch
nicht mal, daß irgendjemand, Herrn von Uslar vielleicht ausgenommen, wirklich Lust hat,
hier über Dichtung und Wahrheit zu schreiben und von seinem nächtlichen Ringen mit
seinem "eigentlichen" Text, dem nächsten Roman, oder was auch immer, zu
berichten. Wäre doch nichts weiter als schwergewichtiges Autorenposing, etwa vergleichbar
damit, sich mit einem Notizblock, einem Glas Weißwein und einem Bändchen Cioran (würde
vorschlagen: "Auf den Gipfeln der Verzweiflung", z.B) ins Münchner
Literaturhaus zu setzen und zu hoffen, daß einen jemand fragt, ob man vielleicht
Schriftsteller sei.
Ich gebe jetzt meine Bestellung auf: Der nächste, der über pool schreibt sollte es mal
BEschreiben und vielleicht ein paar Texte daraus zitieren, zeigen, wie das Ding, soweit
man es bisher sagen kann, funktioniert, und bittebitte die Swimmingpoolmetapher auslassen,
nichts für ungut Herr Staun.
Georg M. Oswald München, Deutschland - 26.07.99 at 16:22:15
Warum erzählen wir so gerne? Was bringt uns dazu, die selbe Geschichte
immer und immer wieder hervorzuholen, bis sie alle gehört haben, manche sogar zwei oder
dreimal?
Wir haben einen Pakt mit unseren Freunden, denn im Ausgleich dürfen sie uns ihre
Geschichten erzählen, zwei oder dreimal. Kennt man sich untereinander etwas besser,
wiederholen sich auch die Geschichten. Vier Freunde sitzen kleeblattartig um den Tisch.
Bündnisse entstehen, schlechtgelaunte Schwarze Löcher saugen Beleidigungen wie ein
Junkie aus der Luft. Jeder darf einmal seinen Monolog halten. Seine Geschichte ausführen.
Oft ist es ein Schmerz, ein waidwundes Tier, welches wir pflegen wie ein zahmes Haustier.
Natürlich versucht man aus diesem Ritual zu fliehen, sich über die andern mit ihren
Geschichten zu erheben, darüber zu stehen, sie von einer höheren Warte aus zu sehen.
Also zum Montgolfiere zu werden. Aber auch das gehört zum Theaterstück.
Wir sitzen am Tisch, in der Mitte die Sonne Alkohol, den wir mit unseren Geschichten
anbeten.
Fortsetzung folgt.
Lorenz Schröter Bastille, 1789 - 27.07.99 at 12:23:35
Samstag, Künstlerfest im Garten des Bundeskanzleramtes in Bonn: Michael
Naumann, der Staats-irgendwas, Beauftragter für Kultur ist, lädt ein und alle kommen -
bloß keine Künstler, schon gar keine jungen. Journalisten, Fernsehleute,
Verlagsmenschen, Politiker...und viel Essen und Zigarren und Wein und Glühkegel und
Bayrisch Diatonischer Jodelwahnsinn... Auf dem Nachhauseweg wird unser Leih-Corsa
geblitzt. Weiß nicht, ob es für Fahrzeuge auf diplomatischen Fährten Sonderrabatte
gibt.
Maike W. München, - 27.07.99 at 15:20:58
Warum erzählen wir so gerne? Sigmund Freund sah Geschichten als
Kompensation für unterdrückte Gefühle. Sein Musterbeispiel war der Ödipus-Komplex,
selbst ja eine Geschichte. Freud erklärt also Geschichten mit dem Urbedürfnis nach Sex.
Das sei der wahre Kern, den man nicht hinterfragen muß.
Freud war ein guter Erzähler, am besten gefällt mir die Geschichte vom Penisneid. Und da
Männer seit jeher den unwiderstehlichen Drang haben, Feuer auszupinkeln, der sogenannte
Kulturpissimismus, mußten Frauen den Herd hüten. Oder wie die Frauen das Weben erfunden
haben, weil sie dauernd an ihren Schamhaaren rumspielten. Eine Tochter Freuds, eine
Weberin, war maßgeblich an der Erfindung der Lochkarte beteiligt, der Computer ist damit
weiblich.
Gute Geschichten, keine Frage, um 1900 war Sex vielleicht auch wichtiger als Geschichten
erzählen. Aber beantwortet das wirklich, warum wir Geschichten so gerne haben?
F.f.
Lorenz Schröter, Berlin, - 28.07.99 at 11:20:01
es ist nicht das alter, das einen gehen lässt, im gegenteil, das alter
erfordert zwanghafte disziplin. nicht für alles, für manches, der rest verkommt. alte
männer, die stundenlang ihre hemden bügeln, aber sich nicht ordentlich am hals rasieren.
es ist das haus meiner familie, meiner großmutter und ihres freundes. der großvater
starb. erst glaubte er in der ferienwohnung der nachbar stehle ihm das warmwasser, dann
hörte er stimmen im fernsehen über sich reden. er saß gerne im garten, der um dieses
alte holzhaus herum ist und rauchte zigarillos. er war pensionierter schiffsingenieur,
erfinder eines sehr populären glasfiebersegelbootes. ab und zu ging er segeln oder
wandern, aber es gab nicht viel zu tun, da kommt das alter schnell. er haßte hobbies,
wozu sich beschäftigen. tatsächlich leben frauen länger. der großmutter ist
langweilig, sie batikt und spielt bridge. früher konnte sie die ganze nacht in ihrem turm
sitzen über ihren tüchern, morgens lag sie dann im bett, nicht morgens, mittags, und
frühstückte. ich lag neben ihr im bett und sie erzählte mir geschichten, die sie im
dösen erinnerte und erfand.
mein großvater lernte meine großmutter beim turmspringen kennen. er war der einzige, der
ihr nicht nur zusah, sondern auch sprang und dann hielt er ihr den bademantel hin. es gibt
schwarzweiße super acht filme, da kann ich sie sehen, vom zehn meterturm springen, mit
schrauben und saltos. vielleicht wird meine großmutter auch älter weil sie im
neujahrs-badeverein war. genau, an neujahr ein loch ins eis sägen und rein. das war eine
zeit, da ist man gerne gegen die natur geprallt. aber so richtig. der große krieg, der
zog vorbei an den schweden, deshalb sind sie noch so ungebrochen. sie haben zeit sich um
die belange des alterns zu kümmern, die schlaflosigkeit, den geiz, die ruhelosigkeit. die
tage sind lang. je nachdem die nächte auch. das muß ein direkter zusammenhang sein
zwischen dem immer weniger merken und für das wenige immer mehr zeit haben. da flusen
nicht mehr tausend ideen durch den kopf.
das haus hat eine glasveranda und eine große holztreppe. in jede nur erdenklich ecke
haben sie eine telefonleitung gelegt und wenn jemand anruft, klingeln alle telefone
gleichzeitig. das führt zu einer ständigen unterschwelligen alarmbereitschaft, die der
rastlosigkeit sehr entgegenkommt. die großmutter steht jetzt schon um acht auf, ihr
freund schwingt sich auf den rasenmäher oder holt die kettensäge und abends sitzen sie
dann erschöpft vor dem fernseher, er mit einer gelben brille, weil sie angeblich die
sehkraft um das zweieinhalbfache erhöht, sie mit einem whiskey, dessen eiswürfel sie
unruhig schüttelt. manchmal teilt sie auch papierservietten. nicht in der mitte, sie
zieht dann die lagen auseinander, aus sparsamkeit.
s.l. südschweden - 28.07.99 at 15:36:27
Nichts überzeugt mich so wenig wie ein Schriftsteller, der keine Lust
hat, sich zur Schriftstellerei zu äußern, auch zu den Problemen der Schriftstellerei:
natürlich das. Warum eigentlich nicht? Wiewas? Bitte? Ich verstehe Sie nicht! Ich höre
Sie nicht! Bitte nochmal von vorne!
Einem Bäcker, der sich zu fein ist, über das Gut und Wenigergut seiner Semmeln
nachzudenken und das ein oder andere Berufsspezifische seines Berufs mit dem betreffenden
Bäckerkollegen zu besprechen, dem sage ich ja auch: Iih! Bäh! Für wen hält der Mensch
sich eigentlich? Der ist ja doof! Bei dem kaufe ich nicht mehr ein. Finde ich ganz normal.
Und dann muß ich demjenigen/ derjeniger Fachkraft leider auch ANGST unterstellen (genau
die: ANGST, die englische Schreibweise, die übersetzt heißt: Krampf und
Krampfkrampfkrampf, DIE Schriftsteller-Krankheit). Angst auch, seinem Beruf einfach super
zu finden, mit allem, was dazu gehört: dem ganzen Ich-Wahn, Insichgekehrtsein,
Grüblerischen, der Ignoranz, Wehleidigkeit, dem Größenwahn, das alles ernst genommen
und ausgesprochen und bekämpft werden will, in der Reihenfolge, bloß nicht verschwiegen,
verheimlicht, ver -huhuhu! -tuscht. Dann spricht die Schriftstellerstimme: "Ich mache
das Größte, Schönste, Wichtigste auf Erden. Soll mal einer kommen und es besser machen
als ich. Komme mal einer." SO finde ich es gut.
Ich bin exakt dafür: über Dichtung und Wahrheit zu schreiben, denn das ist der Auftrag.
Größter überhaupt. Unserer. Schluß.
Wer hat Sie denn gezwungen, Schriftsteller zu sein, Herr Oswald? War da einer, der Sie
dazu gezwungen hat? War nicht? Ach so. Warum geht es IHNEN denn, Herr Schriftsteller?
Nicht um den "eigentlichen" Text, nicht um den "nächsten Roman"? Ja,
blöd. Ja, komisch. Ich hätte geschworen, Sie sitzen gerade an Ihrem vierten Roman. Ihnen
liegt mehr so das Beiläufige, das lässig und nebenbei Rausgetippste, the easy way of
work? Sie "ringen" nicht? Das finde ich schick. Das finde ich ganz toll. So
liest es sich dann leider auch oft.
Mir geht dieser ganze borniert gepflegte Schreiber-Minderwertigkeitskomplex derartig auf
den Sack, die DOOFE Eckensteher-Wimp-Pose überhaupt, daß wir mit der Literatur, der
"eigentlichen" nichts zu tun hätten. Wieso eigentlich nicht? SIE schreiben
doch, Herr Oswald. SIE sind der Schriftsteller. SIE schreiben die Bücher. SIE
veröffentlich LITERATURRR im Feuilleton der SZ unter KUNSCHT-Photos von Martin Fengel.
SIE schreiben im Pool. Ist alles nicht so gemeint? Wieso eigentlich nicht? Ihr Leser, ich
zum Beispiel, finde das alles: NUR großartig, die RICHTIGE Entscheidung. Also Schultern
nach hinten und die Brust raus, Herr Schriftsteller! Haltung! Ich mag nur Schreiber, die
es GROSS finden, Schreiber zu sein.
Den Typen im Literaturcafé finde ich: gar nicht. Null Problem. Eher einen harmlosen
Typen. Wenn stört der? Für ein Feindbild taugte der, wenn überhaupt einmal, ca um 1979,
als die Zeit noch das Zentralorgan der Denk-Schreib-Lall-Intelligentia war. Aber heute?
Heute ist das nicht mehr so. Heute findet jeder, jeder, jeder, noch der letzte
Deppen-Spießer, die Zeit das allerletzte, und man macht sich als Deppenspießer strafbar,
in der Zeit den Hauptfeind zu sehen. Heute heißen die massiv erfolgreiche Autoren
Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre und Elke Naters und nicht, was weiß ich,
Peter Handke und Günther Grass. Seit 15 Jahren kriegt Rainald Goetz ALLE wichtigen
Preise. Diese Seite hier wird dreiviertel-seiten groß auf der ersten Seite im
SZ-Feuilleton besprochen, weil die Hochkulktur unser prima Gelalle für so WICHTIG hält.
Herr Oswald? Schlägt auf den Typen im Literaturcafé ein: Oh Gott.
Habe ich jetzt eine Lust auf Weißwein und das wunderschöne Literaturcafé in München.
Oder eben auch gar nicht. Weil ich da noch nie war. Sicher aber werde ich einmal den
sicher tollen Autor Cioran lesen. Den kenne ich gar nicht. Den kennt nur, genau: der Herr
Schriftsteller.
Hallo? Hallo? Stimmt. Besser noch hätte das alles im Gästebuch gestanden.
Moritz von Uslar München, - 28.07.99 at 18:24:39
"Es ist das Einsiedlertum, das ich am Literaturschaffen nicht
aushalte oder nur schwer aushalte, jetzt weiß ich's. Ich mag mich vorm Computer nicht.
Ist das blöd?"
Moritz von Uslar (pool, 07.07.99)
"Die Leute, denen von Gott oder der Natur bestimmt ist, Schriftsteller zu werden,
finden ihre eigenen Antworten, und denen, die fragen müssen, ist einfach nicht zu helfen.
Sie möchten einfach nur gern Schriftsteller sein, das ist alles."
Raymond Chandler (an Mrs. Robert J. Hogan, 27.12.1946)
Lieber Herr von Uslar,
ich finde es langweilig, Leuten zuzuhören, die darüber sprechen, wie schwer oder leicht
ihnen gerade die Arbeit fällt, egal ob es sich um - Ihr Beispiel - Bäcker oder
Schriftsteller handelt.
Ihr Gejammere darüber, daß Ihnen vor dem Bildschirm nichts einfällt und sie sich
deshalb totrauchen müssen, hat mich in diesem Sinn sehr gelangweilt, denn es ist eben
nichts weiter als jenes Autorenposing von dem ich vorgestern sprach und das ich verachte,
weil es vollkommen unproduktiv ist, lediglich den "Dichter" als leidende Figur
zelebriert, der sich für seine Schreiberei oder wasauchimmer ohne Sinn und Verstand
aufopfert. Ich finde: Wenn's einer nicht gebacken kriegt, soll er's eben bleiben lassen.
Sie vermuten richtig, daß ich gerade an meinem vierten Buch sitze. Und ich halte es mit
Ihnen für selbstverständlich, daß ein Schriftsteller schreibt, weil er schreiben - und
Schriftsteller sein - für das Größte hält. Aber das Gequatsche darüber ist doch
lächerlich, weil es sich, wie gesagt, um eine Selbstverständlichkeit handelt.
Andernfalls würde man's ja wohl kaum tun.
Sie glauben, wenn ich Sie richtig verstehe, zum Schriftstellersein gehöre "der ganze
Ich-Wahn", das "Insichgekehrtsein", das "Grüblerische", die
"Ignoranz", die "Wehleidigkeit", der "Größenwahn" etc. und
das alles müsse raus, raus, raus. Nun, das ist eben das vormoderne Bild des Künstlers
als Schmerzensmann, wie es offenbar gegen jeden Wahrheitsgehalt die Zeiten überdauert.
Aber ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Die Eigenschaften, die Sie da aufzählen sind
die buchstäblich JEDES Menschen, sie haben mit der Schriftstellerei nicht das Geringste
zu tun, jedenfalls nicht mehr, als - wieder zu Ihrem Beispiel - dem Bäckereigewerbe.
Wenn es ums Schreiben geht, interessiere ich mich für technische, handwerkliche Fragen.
Schreiben Sie in pool darüber, warum Sie Ihre Texte so schreiben, wie Sie sie schreiben -
und nicht wie schwer Ihnen das fällt - und wir sind im Geschäft.
Die spannendste Frage, was das Schreiben angeht, ist in den letzten Tagen für mich - um
das Thema nur anzudeuten - wie man durch die Kapitellänge das Erzähltempo eines Textes
beeinflussen kann. Sie werden lachen, aber solche Dinge beschäftigen mich wirklich.
Ihnen, aus dem vermutlich immer einfach alles irgendwie so herausbricht, wird das nicht
einleuchten - aber ich glaube, daß es genau Fragen dieser Art sind, deren Beantwortung
einen guten Schreiber zu einem noch besseren machen. Und wenn ich mir die Bücher anderer
Autoren anschaue, sehe ich, daß die sich mit Ähnlichem befasst haben. Gerade Rainald
Goetz, den Sie verehren, ist einer, der solchen Dingen in seinen Büchern große
Aufmerksamkeit widmet. Tut mir leid, Herr von Uslar, für die Befindlichkeiten des
Schreibers vor dem Computer interessiere ich mich nicht. Ich will wissen, was er da tut
und warum er es so und nicht anders tut.
Alles andere ist dummes Pseudokünstlergewäsch, das - leider - nicht 1979 zu existieren
aufgehört hat, wie Sie annehmen.
Herzlich
Georg M. Oswald München, Deutschland - 29.07.99 at 00:02:47
Herzlichen Dank für die Antwort. Es ist ist nun schon ein bisserl spät,
deshalb kurz, meine Antwortantwort, worin ja bekanntlich immer die Würze liegt: Mir geht
es darum, daß sich unter Autoren in meinem Umfeld, die erfolgreich produzieren, zu denen
auch Sie, Georg Oswald, gehören, so eine komisch verdruckste Prätentiösität (hoppla,
merke gerade, daß Prätentiosität, wenn man dieses Wort schon benutzt, einfach
Prätentiösität ist, bloß keine "komisch verdruckste Prätentiösität",
pardon!) eingebürgert hat, die mich einfach: nerft. Eingebürgert, hurra, das ist hier
ganz das prima Wort. Ganz unmittelbar, da haben Sie recht. Es fällt mir da offensichtlich
schwer, die rechten Worte dieses geil tief unten drin gefühlten Widerwillens zu finden.
Adorno, so höre ich von einem heute nacht eingetroffenen Freund, und es tur mir leid
dieses Doofnamen Adorno (sinngemäß) hier anführen zu müssen, weil ich es selber
offensichtlich eben nicht so knapp, so eindeutig sagen kann - dieser Adorno schrieb wohl
einmal: "Wir alle, schreibend schaffend, halten uns für die Größten. Sonst, mein
Freund, gäbe es keine Kunst." Aha. Bravo. Das wäre die Wahrheit. Ich finde es da
eben ganz dumm, so tun, so tun, als gäbe es noch was anderes, abseitig neben dem
"eigentlichen" Text, neben der "Literatur", den ausgrechnet wir
schreiben.
Übersetzt: Nicht der Schriftsteller, der als solcher im Literaturcafé erkannt werden
will, ist der Depp. Sondern der, der es zu vermeiden versucht, bewußt als solcher
aufzufallen: mein Punkt.
Zur Kritik an Kritik grundsätzlich, zur Kritik am SZ-Feuilleton im besonderen: Ich halte
diesen beleidigten Grundton nicht aus. Ich schäme mich da echt für. Weil es so klein, so
eifrig rüberkommt. Und weil ich mich grundsätzlich wundere und das dem SZ-Feuilleton
hoch anrechne, daß die Zeitung überhaupt auf Pool reagiert: in dieser Form, in der
Länge, dieser Ernsthaftigkeit. Finde ich: toll. Nebenbei fand ich den Text eh ganz okay,
genau, gerade was die ausgedrückte Ratlosigkeit zu dieser Seite angeht: Was soll denn
das? Weiß nicht. Trotzdem mache ich GERNE mit..
Auf Kritik gar nicht zu reagieren: immer prima. Auf Kritik mit Haß zu reagieren: kann
toll sein. Auf Kritik beleidigt zu reagieren, am besten noch mit schönen Vorschlägen wie
"Ich wünsche mir in Zukunft mehr .... blablabla", das finde ich: blääd.
Entschuldigung, aber das widerspricht nun wieder meiner Vorstellung einer coolen
Schreiberexistenz.
Ist nun doch wieder bißchen lang geworden. Ist das langweilig! Pah!
P.S.: Ich finde es ganz kacke, wenn nun auch irgendjemand meinen Namen unter einen Text
schreibt, den ich NICHT geschrieben habe - wie den letzten Eintrag. Danke.
Moritz von Uslar München, - 29.07.99 at 02:31:26
1. Die Pestalozzistrasse
2. Aztec Camera
3. Schnubbel
4. Das Kainsmal
5. Die Loge
6. Beige
7. Aachen
8. Lino Ventura
9. Axel Springer
10. Das Gymnasium
11. Das Posthorn
12. Slothrop
13. Der Bocksprung
14. Rahm
15. Indien
16. Ur-Krostritzer
17. Das Fanal
18. Robbie Williams Augen
19. Heidi Klum
20. Die Monstranz
21. Olrik Kleiner
22. Lindau
23. Romanshorn
24. Die schwarze Sonne
25. Das schwere Wasser
Christian Kracht Bangkok, Thailand - 29.07.99 at 11:01:05
B. redet und redet und redet. Er erzählt von Menschen, die ich nicht
kenne und auch nicht kennen lernen will. Wichtige Menschen vom Kulturstammtisch der
Münchner SPD. Trifft man B. auf einen der Gänge, textet er einen gnadenlos zu. Er hat
keine Zeit, ist in Eile, muß organisieren, delegieren, aber er redet und redet.
B. war mein erster Chef. Ein guter Chef, er konnte Diskussionen mit einem `Was machen wir
jetzt?´ beenden, wenn die Argumente nur noch stumpf gegen die Wand schlugen. Er kann
moderieren und vermitteln. Alle lieben ihn, aber niemand kann seine Logorhöe ertragen. Er
leidet unter Wort-Inkontinenz. Alles, was in seinem Kopf vorgeht -Karriere, Organisieren,
wichtige Menschen- sprudelt wie unter Zwang aus ihm raus. B. hat Karriere gemacht und ist
jetzt ziemlich weit oben in der Hirarchie von einer dieser Paralellwelten. Es geht nur
noch ein Stockwerk höher, aber dahin kommt B. nie.
PS: Endlich gehts zur Sache, Danke Moritz. Es ist doch gleich, ob man sich mit dem
Schreiben rumquält oder mit der Welt. Das ist doch für uns dasselbe, nicht? Wir verdauen
beim Schreiben die Welt. Es ist also etwas anderes, als ein Bäcker tut. Probleme beim
Schreiben, warum, für wen schreiben, sind so alt wie die Menschheit und ebenso ungelöst.
Klar, man kann sich winden wie man will, zum Schluß, wenn das Geschriebene gut ist, liegt
die Seele nackt aufm Asphalt. Okay, das klingt nach was exhibitionistisches, viellicht
gerinnt das Schriftstellersein auch zum Ritual, so wie man am Grab eben `Herzliches
Beileid´sagt und das kann auch zum Klischee des Schriftstellerposings kommen, dem
Grasschen Schnurrbartstreifen, aber es gibt keine Alternative.
Lorenz, Berlin, - 29.07.99 at 14:01:40
Es ist schon hart, wie lange es dauert, bis man sich dazu durchringt,
etwas zu tun. Ich habe in der letzten Woche, und ich leiste es mir, einmal persönlich zu
werden, meinen Job als Chefredakteur des ARTE TV Magazins gekündigt, und zwar per Fax,
habe mir in der daraus resultierenden Konseqenz ein Modem gekauft und den Rest der Woche
nebenher damit verbracht, eine Verbindung zum Internet aufzubauen. Nun sitze ich in diesem
wirklich heißen, wolkenlosen Glitzersommer in der Küche und sehe den Abend draußen
verdämmern, der über den Balkon hereinbricht, und freue mich, arbeitslos, frei, und
somit hier zu sein. Es ist, um es kurz zu sagen, ein wunderbares Gefühl, diese endlosen
Stunden, die ein Tag hat, wenn man nicht um neun Uhr in eine Redaktion geht, und die Zeit
schießt sinnlos in den Vormittag hinein, und in der Mittagspause schlägt man sich zur
Kompensation dreigängig den Bauch voll, und der Sommer findet draußen statt, anderswo,
nur noch registriert in der Hitze der niedrigen Büroräume. Und abends, mit der
schlenkernden Aktentasche, zu müde um mehr als noch ein Bier zu trinken, über Plätze zu
wandeln, auf denen die Versprechen der Nacht flüstern. Aus.
Mein letztes Bild von Straßburg: Das Antiquariat am Kanal, in dem ich, einen Kontrapunkt
zum Vorhaben für meine Zukunft setzend, eine Erstausgabe von Handkes "Das Ende des
Flanierens" für 15 Francs erwarb. Vollgestopft mit Editions Gallimard-Bänden, der
Verkäufer saß auf einem Bücherstapel und entschuldigte sich dafür, nicht zu wissen, wo
seine Drieu La Rochelle-Bände zu finden seien. Dann zum Henkersmahl im Petit Tonnelier,
Creme Caramel sans Chantilly zum Abschied, im Regionalexpress nach Offenburg bei wehendem
Vorhang, während ich den Rhein überquerte kurz vor Kehl, rückwärts sitzend, das letzte
Mal den einen Turm des Münsters im Blick, eine Marlboro Ultra als Lebewohl, es war getan.
Im Interregio sah ich aus dem Bistro einen kleinen alleinreisenden Jungen in der ersten
Klasse sitzen. Er las in einem Donald Duck Taschenbuch und zählte bei jedem Bahnhof, wie
viele Stationen er noch zu fahren hatte. Ich schlief ein.
Eckhart Nickel Heidelberg , Deutschland - 29.07.99 at 21:43:10
Zum Abschluß: wenn man schon mit dem Adorno kommt, muß man der Zeitung
natürlich nicht dankbar sein, daß sie für unser so schön gesagtes eins a Gelalle eine
dreiviertelte erste Seite ihres Feuilletons vergibt. Weil es das mindestens verdient hat.
Oder schreibt einer: das muß man der Naters schon hoch anrechnen, daß sie einen Roman
geschrieben hat und noch einen zweiten dazu, mit fast zweihundert Seiten, bei all dem
Zeug, was sie sonst noch am Hals hat und dann macht sie auch noch den pool und alle
Achtung, all die Anderen, die weiß Gott genug den ganzen Tag über schreiben, finden auch
noch die Zeit... und ganz umsonst. Da werfen wir uns doch an die vielgerühmte Brust und
rufen: schmeißt euch auf die Knie und küßt uns die Füße, für so eine eins A
Unternehmung oder?
Naters Nättraby, Schweden - 29.07.99 at 23:55:20
Seit Tagen derselbe Witz. Alle schreien GREEN CARD, wenn ich reinkomme.
Die hab ich naemlich nicht. Ich arbeite illegal hier. Keine Arbeitserlaubnis. Da muss man
erst beweisen, dass das was man kann sonst keiner in dem Land kann. Toll! Gestern war es
dann soweit. Nach drei Monaten Wahnsinns-Papierkrieg, den ein Anealtsbuero mit den
thailaendischen Behoerden gefuehrt hat sollte ich selbst vorsprechen kommen. Zum
Interview. Muss ich luegen?
Erstmal ein verspiegeltes Gebaeude. 12. Stock. Grossraumbuero. Ca. 30 Offiziere in sehr
engen braunen Uniformen sitzen an billigen chinesischen Schreibtischen. Ein Monitor an der
Wand zeigt Channel V ohne Ton. Ganz viele deutsche Maenner. Eigenlich nur Maenner mit
deutschen Paessen, die hier wahrscheinlich Betonmischmaschinen fehlerfrei bedienen koennen
warten in ihren Seidenkravatten auf Papiere.
Die Kanzleiangestellte, laesst mich erstmal Platz nehmen. Gibt mir eine Bangkok Post. Und
laeuft dann sich staendig verneigend von einem Schalter zum naechste. Einige Offiziere
sind Frauen. Nette Muttis, kreidebleich geschminkt mit Wasserwelle. Die Offiziere lachen
viel und quatschen die ganze Zeit. Alle haben unter dem Tisch ein paar Strassenschuhe
stehen und die Fuesse stecken meistens in gebluemten Hausschuhen. Einige tragen
Badelatschen. Das beruhigt mich. Nimmt der Sache irgendwie den Ernst. Einer sieht ganz
brutal aus. Mit so knallhart rasierten Nacken. So habe ich mir Pol Pot immer vorgestellt.
Ich schau ihn mir an und versuche mir vorzustellen, wie er Universitaetsprofessoren eine
Plastiktuete ueberstuelpt. In meiner Vorstellung hat er allerdings Lederstiefel an, keine
Badelatschen.
Jetzt sieht er mir genau in die Augen und sagt meinen Namen. "Ihva Moon!"
knattert der Mann. Ich gehe schnell hin und dann lacht er mich so freundlich an. Auf
seinem Schreibtisch steht ein Telefon, ueber das er eine Art Haekelschutzschild gestuelpt
hat.Seine schwarzgefaerbten Haare wachsen am Scheitel nach. Er haelt mir einen Stapel
Paier hin und gibt mir einen Kugelschreiber. Ich unterschreibe ungefaehr 40 mal auf
Schriftstuecken, die in so schnoerkeliger Thai-Schrift geschrieben ist und es faellt mir
sehr leicht am Ende zu laecheln. Ich versuche mein Gesicht zu wahren. Da wird der Mann
ploetzlich sauer: Why you laugh? fragt er und wirft mir meine Arbeitserlaubnis hin.
ihva moon bangkok, thailand - 30.07.99 at 09:40:05
'man begreift ja auch sowieso nichts durch anstrengung, aber einiges durch
langeweile. und wenn man schon sterben muß, sollte man wenigstens nicht gelebt haben,
dann ist es nicht so bitter.'
die deutsch sprache hat da schwierigkeiten. welcher schmerz ist es, der einem das glück
näherbringt? genauso ist es der schmerz, nicht der gleiche, der einen ins unglück
stürzt. denn lieber georg und lieber moritz, es geht um schmerz, und es geht um unglück,
wieviel davon und warum. beim schreiben. beim leben. da ist der schmerz, der, sollten wir
nicht dauerhaft so etwas wie heroin zu uns nehmen, uns widerstand leistet, das leben
spürbar macht. da ist das unglück, sollten wir nicht völlig bescheuert sein, das uns
überfällt und sich in uns ausbreitet, ohne daß die welt unmittelbar schuld daran ist.
und schon sind wir bei dem, was am meisten zählt: der leidenschaft, ohne die gar nichts
geht, alles leer ist.
schreiben ohne eine leidenschaft, das ist müll, ein nichts, ein amtsbrief. ein echtes
konkretes unglück. ein buch aufschlagen, dem es an dieser leidenschaft mangelt, terror.
so habe ich das lernen müssen. es fing an mit einer pose, dem ganz normalen unschuldigen
größenwahn ich müsse schreiben. ich habe aber nichts geschrieben. gedichte einmal, ja,
furchtbare, voller ästhetik, ohne leidenschaft. ich habe auch für zeitungen geschrieben:
grauenerregend. in tiefster verwirrung und als ich die ersten texte schrieb, die mal ein
buch werden sollten, am besten ein roman, weil alles muß ja immer mindestens ein roman
werden, war ich wie ein esel, dem an einer stange die möhre vorgehalten wird: noch ein
stück weiter und es ist gut. es war aber schlecht. irgendwann stieß ich auf den satz:
sein erstes buch sollte man wegschmeißen. das habe ich dann gemacht und es war gut so.
jetzt denke ich es ist okeh, es kann weitergehen und tatsächlich, auch darum geht es: wie
geht es weiter beim schreiben, weiter weiter weiter, weil das schreiben natürlich auch
das leben vorantreibt, muß. das eigene UND das der anderen. es gibt bücher, die mich
erhellt haben. wenn ich schreibe muß ich das auch tun. vielleicht haben das viele schon
wieder vergessen, es muß licht her, ein verstehen und das kann keiner allein. früher war
dieses licht eins der aufklärung. das ist es immernoch, nur sind die begriffe verdorben.
also sage ich nur: licht, denn die welt dunkelt immerwieder nach.
tatsächlich ist es egal, wie man es hineinbringt in die sprache. ob man kette raucht und
nasse hände dabei bekommt oder abends nach der arbeit so easy stück für stück. wie man
schreibt, darüber hat man sich bestimmt eine menge lustiger geschichten zu erzählen,
weil jeder eine eigene hat, abstruse und auch lächerliche geschichten, die man nur sehen
kann, wenn man abstand von sich nimmt. wie immer, weil es das beste ist. mit abstand. aber
es sagt nichts über die leidenschaft, hier ist sie noch einmal, weil man muß es
hundertmal sagen, sie gibt dem text die kraft, genauso der musik, dem kunstwerk und oft
hat es sogar den anschein, als hätte die geschichte selbst, die dabei erzählt wird,
nichts damit zu tun.
die ersten beiden sätze oben sind von kapielski.
sven lager - hohe tannen, eingezäuntes wild, gemähter rasen, - 30.07.99 at 11:11:11
Lieber Sven, neues Stichwort, wichtigstes sowieso: PASSION. (Pet Shop
Boys: Armani, Armani, A-A-Armani, Versace, Cinque). Thank you.
Noch was. Wenn es Deinen Schreibspeed nicht bremst, lieber Sven, wenn's sich irgendwie
einrichten ließe: Schreib doch auch mal einen Buchstaben GROSS, am besten die, die sich
groß gehören. Nicht immer alles KLEIN! Es LIEST sich soviel besser, wenn es in den
Buchstaben bißchen auf und ab geht. Nicht?
Lieber Georg Oswald: ich finde Sie haben zu allem recht, was Sie im letzten Eintrag
geschrieben haben. Sie schreiben es auch so absolut locker, einfach, verständlich,
überzeugend hin - allein deshalb stimmt es. Trotzdem habe ich auch: recht (auch deswegen,
weil wir von komplett verschiedenen Dingen reden). Ist das schön? Ist das nicht schön?
Moritz von Uslar München, - 30.07.99 at 12:44:34
Leidenschaft, dem Text gegenüber, und somit auch des Textes für den
Leser, sollte Dich, lieber Sven, in der Tat nicht davor zurückschrecken lassen, einfach
der Mehrheit und den Lesegewohnheiten dieser lesenden Mehrheit zu Liebe, den Vorschlag von
Moritz anzunehmen. Auch ich gehöre zu diesen Lesern, und ich denke, viele andere auch. Du
solltest es tun. Vielleicht auch nur aus Dankbarkeit darüber, ausgerechnet jetzt, unter
der Ägide des Hochs "Tanja" in Südschweden weilen zu dürfen, was wäre ich
gerne dort jetzt, ich sehe und rieche nahezu die Gräser dort, das blendende Mittagslicht,
das Funkeln des Meeres und in der Ferne dort draussen das weiße Fährschiff, das sich vom
Tiefblau der Ostsee absetzt. Dieses unwahrscheinlich blasse Grün der Wiesen, das ganz
voll wird, wenn es im Schatten eines Waldes steht. Aber Süddeutschland ist auch
erträglich. Die Luft ist klar und der Ostwind zeichnet Luftrinnsale in den Strom des
Neckars.
Aus Ironie prangt laut Auskunft meines Straßburger Vermieters seit dem Montag ein
goldenes Klingelschild mit der Aufschrift "Nickel" neben der Tür des Hauses rue
du Dôme Nr. 14.
Leidenschaft, dem Leben gegenüber: Your kiss so sweet, your sweat so sour, sometimes I'm
thinking that I love you, but then I know it's only lust.
Damaged Goods, Gang of four.
Eckhart Nickel Heidelberg, Deutschland - 30.07.99 at 13:30:00
"Das Meer ist für alle Menschen eines der größten, beständigsten
Muttersymbole. Mit ihm kann nur die Erde verglichen werden, deren Brust uns nährt und zu
sich nimmt. Und es ist gewiß kein gewöhnlicher Zufall, daß die Worte `Meer´und
`Mutter´(mare, mater; mer, mère) in vielen Sprachen die gleichen Konsonanz haben.³
Und es ist gewiß auch kein Zufall, daß die Psychoanalytikerin Bonaparte mit Vornamen
Marie heißt. Wenn sie auch fahrlässig bei ihrer Poe-Interpretation von `Arthur Gordon
Pym´ Schiff und Meer abwechselnd als Muttersymbol deutet, als seien die beiden keine
Gegensätze. (Das Meer ist unfruchtbar und feindlich. Schiffe, die alle weibliche Namen
tragen, eine sichere Insel in der Salzwüste.)
"Eine Welt aus Hintern erbaut! Hintern als Felsenkessel, Hintern als Höhlen &
schlimme Klüfte, Hintern figurieren als musizierendes Tal (...) ...daß Karl May einer
unsere größten Erotiker gewesen ist, un d das zumindest seine `Landschaften´
stellvertretend für `heiße (erogene) Zonen´stehen.³
Wie Arno Schmidt bei Karl May findet man sexy Lanndschaften auch in `Jim Knopf und Lukas
der Lokomotivführer´. Eine Insel mit zwei Bergen! Bis auf die Lokomotive Emma (=Mama),
sie bekommt als einzige ein Kind, sind alle Bewohner, Frau Waas, Herr Ärmel, Alfons der
Viertelvorzwölfte, selbst Lukas mit seiner brennenden Pfeife, infantil sexlos. Erst als
die Insel mit den zwei Bergen verlassen wird, kann Jim, der genauso geschlechtlos zur Welt
kam wie Tick, Trick und Track, eine Frau finden. Zum Schluß wird die Insel dann auch zum
Festland und Jim ihr König Ödipus.
Ich liebe solche Literaturanalysen, sie sind oft genauso faszienierend wahnsinnig wie
Verschwörungstheorien. Und wie alles, was erzählt wurde, auch genauso wahr.
Lorenz Schröter Suhrkamp,, daheim - 30.07.99 at 16:22:09
Vor sechs Jahren hatte Karl Heinz Bittel, mein Lektor bei Knaus,
dreiunddreißig Seiten von mir auf dem Tisch liegen. Er gab mir dafür einen Buchvertrag,
20.000,-- Mark, und sagte: "Schreib' was du willst!" Das war ein Wort. Vor drei
Wochen hat irgendwer bei Bertelsmann - die wahren Drahtzieher sind in Konzernen nie
wirklich auszumachen - beschlossen, daß Knaus nicht mehr bei der Bertelsmann Buch AG
weitergeführt werden soll, sondern bei Blessing. Der Blessing Verlag ist zwar auch eine
hundertprozentige Bertelsmanntochter, aber hat ein unabhängiges Lektorat, unabhängige
Presse- und Werbeabteilungen. Diese sogenannte "Umstrukturierung" hat den - ich
interpretiere - für die Bertelsmann Buch AG angenehmen Nebeneffekt, den bisherigen
Programmleiter bei Knaus losgeworden zu sein - denn Programmleiter kann er bei Blessing
natürlich nicht sein, dort gibt es ja schon einen, der Programm macht - den Chef
persönlich. Für Bittel gab es also zwei Möglichkeiten: Sich zum freien Lektor ohne
Programmeinfluß degradieren zu lassen oder sich abfinden lassen und zu gehen. Weil er
Charakter hat, was dem Karrieremachen prinzipiell nicht förderlich ist, hat er sich
selbstverständlich für letzteres entschieden. Am 01.08. "scheidet er aus", wie
gesagt wird.
Ich bin immer wieder gefragt worden, warum ich nicht von diesem Verlag weggehe, und ich
habe immer geantwortet: weil Bittel dort Lektor ist. Mit ihm, der in dem Laden sein Ding
durchgezogen hat, hat es Spaß gemacht sich Bücher auszudenken, sie zu besprechen und sie
zu machen. Auch wenn die "ernsthafte Literaturkritik" zuweilen - schon wegen des
Bertelsmann-Stallgeruchs - die Nase rümpfte. Ich bin immer wieder gefragt worden, ob ich
nicht den Verlag wechseln wolle, weil ich es anderswo leichter hätte. Ich habe immer
gesagt: Mach' ich nicht, weil die Arbeit mit Bittel so toll ist. Sogar die bunten
Umschläge habe ich in Kauf genommen, die mir wirklich weh getan haben, weil es mir am
Ende darauf ankam, IN den Büchern das machen zu können, was ich wollte. Beim Hessischen
Fernsehen hat ein Kritiker mich und mein letztes Buch vorgestellt und mir nach der Sendung
gesagt: "Sie würden noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn Sie bei einem anderen
Verlag veröffentlichen würden." Ich sagte: "Finde ich komisch, was Sie da
sagen: Ich dachte immer,es käme drauf an, was IN den Büchern steht, nicht AUF den
Büchern." Da hat er nur breit gegrinst.
Jetzt haben sie den Bittel einfach 'rausgekegelt, wie das das so gemacht wird. Ok. Die
letzten drei Wochen waren: Scheiße. Statt an meinem Buch zu schreiben, hing ich nur am
Telefon und habe herumverhandelt wie ein Depp. Seit heute habe ich einen neuen Verlag. Ich
freue mich darüber und bin zugleich ziemlich wütend. Herr von Uslar, Sie haben recht:
Wir haben von völlig unterschiedlichen Dingen geredet. So locker, wie ich heute abend
drauf bin, bin ich kurz davor, Ihnen das Du anzubieten. Ich heiße Georg.
Georg M. Oswald München, Deutschland - 31.07.99 at 01:01:58
Und ich sagte: "Bis später. Ich gehe mir Zigaretten kaufen."
Und ich ging und kehrte nicht zurück. Ich will nicht zurück. Ich überlasse sie alle
ihrem Schicksal.
Das hat der italienische Schriftsteller Tommaso Landolfi geschrieben. Ein Brief, den man
gerne an alle Arbeitgeber dieser Welt schreiben möchte. Was keiner versteht ist, daß man
sich lieber mit den Witterungsbedingungen während der Schweizer Canyoning-Katastrophe
auseinandersetzt, also wie wohl das drohende Gewitter dort über der Schlucht sich
zusammengezogen hat, wie der Wetterfilm der NEUEN ZÜRICHER ZEITUNG, aus dem sie dort ihr
fantastisches Satelittenbild herauslösen, das am nächsten Tag in der Zeitung steht, aus
soundsoviel tausend Kilometern Höhe das immer weißer in den Himmel wachsende
Wolkenmonster beschreibt, oder daß man sich viel lieber beginnt vorzustellen, wie wohl
die letzten Momente des Nachtfluges von GEORGE-Chefredakteur John F. Junior im Cockpit
ausgesehen haben mögen, die Blackbox-Protokolle der Dunststimmung über dem nächtlichen
Atlantik kurz vor Marthas Vineyard, dem großen Luftfahrt-Grab, dem Bermuda-Dreieck der
Neunziger Jahre, daß sich also die Arbeitgeber denken, es wäre unglaublich, diese
müßigen Momente im Banne der Sektion "Vermischtes" einer beliebigen
Tageszeitung der rechtschaffenen Bürgerlichkeit eines Brotberufes vorzuziehen, provoziert
den Satz von Landolfi nachgerade.
Lieber Herr Oswald, es ist Zeit für die nächsten Züge. Wo stehen wir? Ich habe es
vergessen.
Eckhart Nickel Heidelberg, Baden - 31.07.99 at 14:29:27
Ein Wort zum Gästebuch, den Gästen, der Mauer und der, so wurde es
angemahnt, fehlenden Resonanz von dieser Seite aus. Einen wunderschönen guten Tag an die
Gäste: Schön, daß sie da sind. Es ist ja so, daß es nichts interessanteres gibt als
den Blick ins Gästebuch. Aber die immer wiederkehrenden kryptischen Spaßeinträge
müßten es ja, um hier einmal ein wenig den Oberlehrer zu mimen, jedem klar werden
lassen, daß es dann hier zugeht wie auf einer x-beliebigen Chatmeile, und das wäre ja
langweilig. Langeweile jedenfalls gibt es ohnehin zuviel. Im Gegensatz zu Leidenschaft:
Wie sieht eigentlich Leidenschaft als Text aus, liebe Verena, und was kennzeichnet sie, da
sie, wie im Gästebuch eingeklagt, hier fehlt? Für mich zuallererst in der Genauigkeit
der Formulierung und in der Strenge der Beobachtung. Kurzum, im Stil.
"Tim und Struppi, Thomas Mann, Joseph Roth und Charlie Chan". Fehlfarben.
Was zählt, lieber DJ Anonymous, ist die Kunst des Zitats. Vielleicht.
Eckhart Nickel Heidelberg, Sommer - 31.07.99 at 17:18:27
Ein letztes: Respekt und Gruß an Holm L. Parker für seinen Beitrag.
EN HD, D - 31.07.99 at 17:31:38