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pool #8 25.07.-31.07.1999

pool #7 / pool #9

Die Großmutter sagt: schön, daß es heute nicht regnet.
Das ist wahr.
Dann wurde es doch noch schön. Aber es ist gar nicht das Wetter.
Der schönen Landschaft, dem Glitzern und Pappelwiegen, Elchen und Füchsen stehe ich eher ratlos gegenüber - Wie schön. Wunderschön.
Und dann? Das Wasser zu kalt, um darin einzutauchen. In den Wiesen Schlangen. Der Wind zerrt an den Haaren und die Augen ständig zu Schlitzen gekniffen wegen der Glitzerei.
Dabei bin ich den ganzen Tag nur müde müde müde und möchte mich hinlegen und ausstrecken - in einem Bett.

Naters Nättraby, Sweden - 25.07.99 at 22:44:36

Bitte schreiben Sie nicht mehr unter meinem Namen (siehe oben) in das Pool, wer immer Sie sind. Da draussen.

Christian Kracht Bangkok, Thailand - 26.07.99 at 07:21:38

in den vw-bus quetschen sich zehn jugendliche des jugendheims hindenburg stralsund. zypressen stehen hier am wegrand und halme, die weiße wollwimpel in den wind halten. es ist ein starker wind vom meer, aber im auto wird ihnen heiß, sie können die fenster hinten nicht herunterkurbeln und sie sehen geblendet in die sonne. an einer tankstelle halten sie an. die heimleiterin hat einen schwarzen addidas jogginganzug an, sie steigt aus und macht die schiebetür auf und die jugendlichen fallen heraus und schütteln ihre glieder. es ist eine kleine tankstelle auf einer insel. auf dem weg mußten sie warten bis die drehbrücke die segelschiffe durchgelassen hatte. deshalb gibt es jetzt eis. sie stehen an der truhe und rechnen die preise um oder schauen sich die schokoladenriegel an, die sie noch nicht kennen. sie sind zu dick angezogen, das sehen sie an den beiden mädchen, die mit pastelfarbenen trägerhemden und baumwollshorts bei den comics stehen. sie lauschen der sprache: 'fan, vad tänkte du jag ville har, jag tar den och du den.' es ist ein weicher singsang. sie haben zahnspangen und kettchen mit bunten perlen an. dann sagt die eine plötzlich laut: FUCK YOU! und alle drehen sich um, aber sie reden weiter auf schwedisch und blättern in den zeitschriften. 'hopp, hopp!' sagt die heimleiterin, jeder bekommt ein eis, das wässrig nach vanille und himbeeren schmeckt. sie müssen es draußen essen, vor dem bus, während über ihnen schläfrig ein stahlseil an der fahnenstange ploppt.

sven lager südschweden, - 26.07.99 at 12:15:18

HARALD STAUNt heute in der SZ über den pool. Wenn wir geahnt hätten zu welchen interpretatorischen Höhenflugen dieser Name das Feuilleton verleitet, wir hätten uns einen anderen Namen ausgedacht.
pool, das haben wir erst später entdeckt, heißt ja heute jede grafikbude. natürlich dachten wir an einen echten pool, aber die bedeutung hat sich verselbständigt, ist wasserlos geworden. in unserem fall elektronisch. komisch nur immer dieses bemühen text im netz zu internetliteratur umzumünzen. also erst so ein wort zu benutzen und sich dann zu fragen, ob das überhaupt geht. die rede war nie von internetliteratur oder -kunst. man schreibt im netz und durch das netz findet das schreiben eine neue form. neue formen, denn welche, das wird sich noch herausstellen. nicht weil wir "cyber-schreiber" sind, aber danke, sehr lustiges wort.
seicht ist es am pool allemal, verglichen mit der schweren und tiefgreifenden arbeit des schriftstellers, des kulurarbeiters, der in seinem sprachbergwerk arbeitet. pardon, das ist so rausgerutscht, aber so ist es doch, das alte bild vom schreiben.
übrigens, es sind auch gute künstlerinnen am pool.

e.naters & s.lager karlskrona, sweden - 26.07.99 at 13:53:12

Kritik und Selbstkritik. Herr Staun, der Name ist nett gewählt, hat sich in der SZ immerhin ernsthaft zu pool eingelassen, was man von der Zeit, die über die Begeisterung, daß das Wort pool auch in Swimmingpool vorkommt, geradezu den Kopf verloren hat, nicht behaupten kann. Aber auch Herr Staun denkt bei pool offensichtlich sogleich ans Baden gehen. Das macht mich staunen. Ich habe bei pool anfangs nur an das gedacht, was es im Englischen eben heißt: Zusammenschluß, Verbund, Interessengemeinschaft o.ä. Das "Herumhängen am Pool", also am Schwimmbecken scheint eines der zentralen Wunschbilder deutscher Kulturjournalisten zu sein, weswegen ich meine schon früher geäußerte Forderung, die Redaktionsstuben endlich mit Klimaanlagen oder wenigstens mit Wassereimerchen unter Zusatz von Efasit auszustatten, nocheinmal wiederholen will.
Ich verstehe auch nicht, warum jetzt, zu diesem Zeitpunkt, unbedingt die Frage geklärt werden muß, ob pool Kunscht ist oder nicht. Ich finde es absolut überflüssig darüber zu räsonnieren, weil pool ja gerade im Entstehen begriffen ist und die Frage viel eher sein sollte, ob das, was hier entsteht, interessant ist oder nicht. Interessant einfach in dem Sinn, daß man es gerne liest, gleich, ob es jetzt ein erzählender Text ist oder Bilder oder Zeug, das man in jedem Chatroom finden kann.
Auch die Idee, daß neben dem - möglicherweise ja belanglos daherkommenden - Pooltext die daran beteiligten gaanz dolle Romane, "große Literatur", wie Herr Staun sagt, dichten, ist für pool und die Qualität von pool ganz ohne Bedeutung. Ich glaube noch nicht mal, daß irgendjemand, Herrn von Uslar vielleicht ausgenommen, wirklich Lust hat, hier über Dichtung und Wahrheit zu schreiben und von seinem nächtlichen Ringen mit seinem "eigentlichen" Text, dem nächsten Roman, oder was auch immer, zu berichten. Wäre doch nichts weiter als schwergewichtiges Autorenposing, etwa vergleichbar damit, sich mit einem Notizblock, einem Glas Weißwein und einem Bändchen Cioran (würde vorschlagen: "Auf den Gipfeln der Verzweiflung", z.B) ins Münchner Literaturhaus zu setzen und zu hoffen, daß einen jemand fragt, ob man vielleicht Schriftsteller sei.
Ich gebe jetzt meine Bestellung auf: Der nächste, der über pool schreibt sollte es mal BEschreiben und vielleicht ein paar Texte daraus zitieren, zeigen, wie das Ding, soweit man es bisher sagen kann, funktioniert, und bittebitte die Swimmingpoolmetapher auslassen, nichts für ungut Herr Staun.

Georg M. Oswald München, Deutschland - 26.07.99 at 16:22:15

Warum erzählen wir so gerne? Was bringt uns dazu, die selbe Geschichte immer und immer wieder hervorzuholen, bis sie alle gehört haben, manche sogar zwei oder dreimal?
Wir haben einen Pakt mit unseren Freunden, denn im Ausgleich dürfen sie uns ihre Geschichten erzählen, zwei oder dreimal. Kennt man sich untereinander etwas besser, wiederholen sich auch die Geschichten. Vier Freunde sitzen kleeblattartig um den Tisch. Bündnisse entstehen, schlechtgelaunte Schwarze Löcher saugen Beleidigungen wie ein Junkie aus der Luft. Jeder darf einmal seinen Monolog halten. Seine Geschichte ausführen. Oft ist es ein Schmerz, ein waidwundes Tier, welches wir pflegen wie ein zahmes Haustier.
Natürlich versucht man aus diesem Ritual zu fliehen, sich über die andern mit ihren Geschichten zu erheben, darüber zu stehen, sie von einer höheren Warte aus zu sehen. Also zum Montgolfiere zu werden. Aber auch das gehört zum Theaterstück.
Wir sitzen am Tisch, in der Mitte die Sonne Alkohol, den wir mit unseren Geschichten anbeten.
Fortsetzung folgt.

Lorenz Schröter Bastille, 1789 - 27.07.99 at 12:23:35

Samstag, Künstlerfest im Garten des Bundeskanzleramtes in Bonn: Michael Naumann, der Staats-irgendwas, Beauftragter für Kultur ist, lädt ein und alle kommen - bloß keine Künstler, schon gar keine jungen. Journalisten, Fernsehleute, Verlagsmenschen, Politiker...und viel Essen und Zigarren und Wein und Glühkegel und Bayrisch Diatonischer Jodelwahnsinn... Auf dem Nachhauseweg wird unser Leih-Corsa geblitzt. Weiß nicht, ob es für Fahrzeuge auf diplomatischen Fährten Sonderrabatte gibt.

Maike W. München, - 27.07.99 at 15:20:58

Warum erzählen wir so gerne? Sigmund Freund sah Geschichten als Kompensation für unterdrückte Gefühle. Sein Musterbeispiel war der Ödipus-Komplex, selbst ja eine Geschichte. Freud erklärt also Geschichten mit dem Urbedürfnis nach Sex. Das sei der wahre Kern, den man nicht hinterfragen muß.
Freud war ein guter Erzähler, am besten gefällt mir die Geschichte vom Penisneid. Und da Männer seit jeher den unwiderstehlichen Drang haben, Feuer auszupinkeln, der sogenannte Kulturpissimismus, mußten Frauen den Herd hüten. Oder wie die Frauen das Weben erfunden haben, weil sie dauernd an ihren Schamhaaren rumspielten. Eine Tochter Freuds, eine Weberin, war maßgeblich an der Erfindung der Lochkarte beteiligt, der Computer ist damit weiblich.
Gute Geschichten, keine Frage, um 1900 war Sex vielleicht auch wichtiger als Geschichten erzählen. Aber beantwortet das wirklich, warum wir Geschichten so gerne haben?
F.f.

Lorenz Schröter, Berlin, - 28.07.99 at 11:20:01

es ist nicht das alter, das einen gehen lässt, im gegenteil, das alter erfordert zwanghafte disziplin. nicht für alles, für manches, der rest verkommt. alte männer, die stundenlang ihre hemden bügeln, aber sich nicht ordentlich am hals rasieren. es ist das haus meiner familie, meiner großmutter und ihres freundes. der großvater starb. erst glaubte er in der ferienwohnung der nachbar stehle ihm das warmwasser, dann hörte er stimmen im fernsehen über sich reden. er saß gerne im garten, der um dieses alte holzhaus herum ist und rauchte zigarillos. er war pensionierter schiffsingenieur, erfinder eines sehr populären glasfiebersegelbootes. ab und zu ging er segeln oder wandern, aber es gab nicht viel zu tun, da kommt das alter schnell. er haßte hobbies, wozu sich beschäftigen. tatsächlich leben frauen länger. der großmutter ist langweilig, sie batikt und spielt bridge. früher konnte sie die ganze nacht in ihrem turm sitzen über ihren tüchern, morgens lag sie dann im bett, nicht morgens, mittags, und frühstückte. ich lag neben ihr im bett und sie erzählte mir geschichten, die sie im dösen erinnerte und erfand.
mein großvater lernte meine großmutter beim turmspringen kennen. er war der einzige, der ihr nicht nur zusah, sondern auch sprang und dann hielt er ihr den bademantel hin. es gibt schwarzweiße super acht filme, da kann ich sie sehen, vom zehn meterturm springen, mit schrauben und saltos. vielleicht wird meine großmutter auch älter weil sie im neujahrs-badeverein war. genau, an neujahr ein loch ins eis sägen und rein. das war eine zeit, da ist man gerne gegen die natur geprallt. aber so richtig. der große krieg, der zog vorbei an den schweden, deshalb sind sie noch so ungebrochen. sie haben zeit sich um die belange des alterns zu kümmern, die schlaflosigkeit, den geiz, die ruhelosigkeit. die tage sind lang. je nachdem die nächte auch. das muß ein direkter zusammenhang sein zwischen dem immer weniger merken und für das wenige immer mehr zeit haben. da flusen nicht mehr tausend ideen durch den kopf.
das haus hat eine glasveranda und eine große holztreppe. in jede nur erdenklich ecke haben sie eine telefonleitung gelegt und wenn jemand anruft, klingeln alle telefone gleichzeitig. das führt zu einer ständigen unterschwelligen alarmbereitschaft, die der rastlosigkeit sehr entgegenkommt. die großmutter steht jetzt schon um acht auf, ihr freund schwingt sich auf den rasenmäher oder holt die kettensäge und abends sitzen sie dann erschöpft vor dem fernseher, er mit einer gelben brille, weil sie angeblich die sehkraft um das zweieinhalbfache erhöht, sie mit einem whiskey, dessen eiswürfel sie unruhig schüttelt. manchmal teilt sie auch papierservietten. nicht in der mitte, sie zieht dann die lagen auseinander, aus sparsamkeit.

s.l. südschweden - 28.07.99 at 15:36:27

Nichts überzeugt mich so wenig wie ein Schriftsteller, der keine Lust hat, sich zur Schriftstellerei zu äußern, auch zu den Problemen der Schriftstellerei: natürlich das. Warum eigentlich nicht? Wiewas? Bitte? Ich verstehe Sie nicht! Ich höre Sie nicht! Bitte nochmal von vorne!
Einem Bäcker, der sich zu fein ist, über das Gut und Wenigergut seiner Semmeln nachzudenken und das ein oder andere Berufsspezifische seines Berufs mit dem betreffenden Bäckerkollegen zu besprechen, dem sage ich ja auch: Iih! Bäh! Für wen hält der Mensch sich eigentlich? Der ist ja doof! Bei dem kaufe ich nicht mehr ein. Finde ich ganz normal.
Und dann muß ich demjenigen/ derjeniger Fachkraft leider auch ANGST unterstellen (genau die: ANGST, die englische Schreibweise, die übersetzt heißt: Krampf und Krampfkrampfkrampf, DIE Schriftsteller-Krankheit). Angst auch, seinem Beruf einfach super zu finden, mit allem, was dazu gehört: dem ganzen Ich-Wahn, Insichgekehrtsein, Grüblerischen, der Ignoranz, Wehleidigkeit, dem Größenwahn, das alles ernst genommen und ausgesprochen und bekämpft werden will, in der Reihenfolge, bloß nicht verschwiegen, verheimlicht, ver -huhuhu! -tuscht. Dann spricht die Schriftstellerstimme: "Ich mache das Größte, Schönste, Wichtigste auf Erden. Soll mal einer kommen und es besser machen als ich. Komme mal einer." SO finde ich es gut.
Ich bin exakt dafür: über Dichtung und Wahrheit zu schreiben, denn das ist der Auftrag. Größter überhaupt. Unserer. Schluß.
Wer hat Sie denn gezwungen, Schriftsteller zu sein, Herr Oswald? War da einer, der Sie dazu gezwungen hat? War nicht? Ach so. Warum geht es IHNEN denn, Herr Schriftsteller? Nicht um den "eigentlichen" Text, nicht um den "nächsten Roman"? Ja, blöd. Ja, komisch. Ich hätte geschworen, Sie sitzen gerade an Ihrem vierten Roman. Ihnen liegt mehr so das Beiläufige, das lässig und nebenbei Rausgetippste, the easy way of work? Sie "ringen" nicht? Das finde ich schick. Das finde ich ganz toll. So liest es sich dann leider auch oft.
Mir geht dieser ganze borniert gepflegte Schreiber-Minderwertigkeitskomplex derartig auf den Sack, die DOOFE Eckensteher-Wimp-Pose überhaupt, daß wir mit der Literatur, der "eigentlichen" nichts zu tun hätten. Wieso eigentlich nicht? SIE schreiben doch, Herr Oswald. SIE sind der Schriftsteller. SIE schreiben die Bücher. SIE veröffentlich LITERATURRR im Feuilleton der SZ unter KUNSCHT-Photos von Martin Fengel. SIE schreiben im Pool. Ist alles nicht so gemeint? Wieso eigentlich nicht? Ihr Leser, ich zum Beispiel, finde das alles: NUR großartig, die RICHTIGE Entscheidung. Also Schultern nach hinten und die Brust raus, Herr Schriftsteller! Haltung! Ich mag nur Schreiber, die es GROSS finden, Schreiber zu sein.
Den Typen im Literaturcafé finde ich: gar nicht. Null Problem. Eher einen harmlosen Typen. Wenn stört der? Für ein Feindbild taugte der, wenn überhaupt einmal, ca um 1979, als die Zeit noch das Zentralorgan der Denk-Schreib-Lall-Intelligentia war. Aber heute? Heute ist das nicht mehr so. Heute findet jeder, jeder, jeder, noch der letzte Deppen-Spießer, die Zeit das allerletzte, und man macht sich als Deppenspießer strafbar, in der Zeit den Hauptfeind zu sehen. Heute heißen die massiv erfolgreiche Autoren Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre und Elke Naters und nicht, was weiß ich, Peter Handke und Günther Grass. Seit 15 Jahren kriegt Rainald Goetz ALLE wichtigen Preise. Diese Seite hier wird dreiviertel-seiten groß auf der ersten Seite im SZ-Feuilleton besprochen, weil die Hochkulktur unser prima Gelalle für so WICHTIG hält. Herr Oswald? Schlägt auf den Typen im Literaturcafé ein: Oh Gott.
Habe ich jetzt eine Lust auf Weißwein und das wunderschöne Literaturcafé in München. Oder eben auch gar nicht. Weil ich da noch nie war. Sicher aber werde ich einmal den sicher tollen Autor Cioran lesen. Den kenne ich gar nicht. Den kennt nur, genau: der Herr Schriftsteller.
Hallo? Hallo? Stimmt. Besser noch hätte das alles im Gästebuch gestanden.

Moritz von Uslar München, - 28.07.99 at 18:24:39

"Es ist das Einsiedlertum, das ich am Literaturschaffen nicht aushalte oder nur schwer aushalte, jetzt weiß ich's. Ich mag mich vorm Computer nicht. Ist das blöd?"
Moritz von Uslar (pool, 07.07.99)

"Die Leute, denen von Gott oder der Natur bestimmt ist, Schriftsteller zu werden, finden ihre eigenen Antworten, und denen, die fragen müssen, ist einfach nicht zu helfen. Sie möchten einfach nur gern Schriftsteller sein, das ist alles."
Raymond Chandler (an Mrs. Robert J. Hogan, 27.12.1946)

Lieber Herr von Uslar,
ich finde es langweilig, Leuten zuzuhören, die darüber sprechen, wie schwer oder leicht ihnen gerade die Arbeit fällt, egal ob es sich um - Ihr Beispiel - Bäcker oder Schriftsteller handelt.
Ihr Gejammere darüber, daß Ihnen vor dem Bildschirm nichts einfällt und sie sich deshalb totrauchen müssen, hat mich in diesem Sinn sehr gelangweilt, denn es ist eben nichts weiter als jenes Autorenposing von dem ich vorgestern sprach und das ich verachte, weil es vollkommen unproduktiv ist, lediglich den "Dichter" als leidende Figur zelebriert, der sich für seine Schreiberei oder wasauchimmer ohne Sinn und Verstand aufopfert. Ich finde: Wenn's einer nicht gebacken kriegt, soll er's eben bleiben lassen.
Sie vermuten richtig, daß ich gerade an meinem vierten Buch sitze. Und ich halte es mit Ihnen für selbstverständlich, daß ein Schriftsteller schreibt, weil er schreiben - und Schriftsteller sein - für das Größte hält. Aber das Gequatsche darüber ist doch lächerlich, weil es sich, wie gesagt, um eine Selbstverständlichkeit handelt. Andernfalls würde man's ja wohl kaum tun.
Sie glauben, wenn ich Sie richtig verstehe, zum Schriftstellersein gehöre "der ganze Ich-Wahn", das "Insichgekehrtsein", das "Grüblerische", die "Ignoranz", die "Wehleidigkeit", der "Größenwahn" etc. und das alles müsse raus, raus, raus. Nun, das ist eben das vormoderne Bild des Künstlers als Schmerzensmann, wie es offenbar gegen jeden Wahrheitsgehalt die Zeiten überdauert. Aber ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Die Eigenschaften, die Sie da aufzählen sind die buchstäblich JEDES Menschen, sie haben mit der Schriftstellerei nicht das Geringste zu tun, jedenfalls nicht mehr, als - wieder zu Ihrem Beispiel - dem Bäckereigewerbe.
Wenn es ums Schreiben geht, interessiere ich mich für technische, handwerkliche Fragen. Schreiben Sie in pool darüber, warum Sie Ihre Texte so schreiben, wie Sie sie schreiben - und nicht wie schwer Ihnen das fällt - und wir sind im Geschäft.
Die spannendste Frage, was das Schreiben angeht, ist in den letzten Tagen für mich - um das Thema nur anzudeuten - wie man durch die Kapitellänge das Erzähltempo eines Textes beeinflussen kann. Sie werden lachen, aber solche Dinge beschäftigen mich wirklich. Ihnen, aus dem vermutlich immer einfach alles irgendwie so herausbricht, wird das nicht einleuchten - aber ich glaube, daß es genau Fragen dieser Art sind, deren Beantwortung einen guten Schreiber zu einem noch besseren machen. Und wenn ich mir die Bücher anderer Autoren anschaue, sehe ich, daß die sich mit Ähnlichem befasst haben. Gerade Rainald Goetz, den Sie verehren, ist einer, der solchen Dingen in seinen Büchern große Aufmerksamkeit widmet. Tut mir leid, Herr von Uslar, für die Befindlichkeiten des Schreibers vor dem Computer interessiere ich mich nicht. Ich will wissen, was er da tut und warum er es so und nicht anders tut.
Alles andere ist dummes Pseudokünstlergewäsch, das - leider - nicht 1979 zu existieren aufgehört hat, wie Sie annehmen.
Herzlich

Georg M. Oswald München, Deutschland - 29.07.99 at 00:02:47

Herzlichen Dank für die Antwort. Es ist ist nun schon ein bisserl spät, deshalb kurz, meine Antwortantwort, worin ja bekanntlich immer die Würze liegt: Mir geht es darum, daß sich unter Autoren in meinem Umfeld, die erfolgreich produzieren, zu denen auch Sie, Georg Oswald, gehören, so eine komisch verdruckste Prätentiösität (hoppla, merke gerade, daß Prätentiosität, wenn man dieses Wort schon benutzt, einfach Prätentiösität ist, bloß keine "komisch verdruckste Prätentiösität", pardon!) eingebürgert hat, die mich einfach: nerft. Eingebürgert, hurra, das ist hier ganz das prima Wort. Ganz unmittelbar, da haben Sie recht. Es fällt mir da offensichtlich schwer, die rechten Worte dieses geil tief unten drin gefühlten Widerwillens zu finden. Adorno, so höre ich von einem heute nacht eingetroffenen Freund, und es tur mir leid dieses Doofnamen Adorno (sinngemäß) hier anführen zu müssen, weil ich es selber offensichtlich eben nicht so knapp, so eindeutig sagen kann - dieser Adorno schrieb wohl einmal: "Wir alle, schreibend schaffend, halten uns für die Größten. Sonst, mein Freund, gäbe es keine Kunst." Aha. Bravo. Das wäre die Wahrheit. Ich finde es da eben ganz dumm, so tun, so tun, als gäbe es noch was anderes, abseitig neben dem "eigentlichen" Text, neben der "Literatur", den ausgrechnet wir schreiben.
Übersetzt: Nicht der Schriftsteller, der als solcher im Literaturcafé erkannt werden will, ist der Depp. Sondern der, der es zu vermeiden versucht, bewußt als solcher aufzufallen: mein Punkt.
Zur Kritik an Kritik grundsätzlich, zur Kritik am SZ-Feuilleton im besonderen: Ich halte diesen beleidigten Grundton nicht aus. Ich schäme mich da echt für. Weil es so klein, so eifrig rüberkommt. Und weil ich mich grundsätzlich wundere und das dem SZ-Feuilleton hoch anrechne, daß die Zeitung überhaupt auf Pool reagiert: in dieser Form, in der Länge, dieser Ernsthaftigkeit. Finde ich: toll. Nebenbei fand ich den Text eh ganz okay, genau, gerade was die ausgedrückte Ratlosigkeit zu dieser Seite angeht: Was soll denn das? Weiß nicht. Trotzdem mache ich GERNE mit..
Auf Kritik gar nicht zu reagieren: immer prima. Auf Kritik mit Haß zu reagieren: kann toll sein. Auf Kritik beleidigt zu reagieren, am besten noch mit schönen Vorschlägen wie "Ich wünsche mir in Zukunft mehr .... blablabla", das finde ich: blääd. Entschuldigung, aber das widerspricht nun wieder meiner Vorstellung einer coolen Schreiberexistenz.
Ist nun doch wieder bißchen lang geworden. Ist das langweilig! Pah!
P.S.: Ich finde es ganz kacke, wenn nun auch irgendjemand meinen Namen unter einen Text schreibt, den ich NICHT geschrieben habe - wie den letzten Eintrag. Danke.

Moritz von Uslar München, - 29.07.99 at 02:31:26

1. Die Pestalozzistrasse
2. Aztec Camera
3. Schnubbel
4. Das Kainsmal
5. Die Loge
6. Beige
7. Aachen
8. Lino Ventura
9. Axel Springer
10. Das Gymnasium
11. Das Posthorn
12. Slothrop
13. Der Bocksprung
14. Rahm
15. Indien
16. Ur-Krostritzer
17. Das Fanal
18. Robbie Williams Augen
19. Heidi Klum
20. Die Monstranz
21. Olrik Kleiner
22. Lindau
23. Romanshorn
24. Die schwarze Sonne
25. Das schwere Wasser

Christian Kracht Bangkok, Thailand - 29.07.99 at 11:01:05

B. redet und redet und redet. Er erzählt von Menschen, die ich nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Wichtige Menschen vom Kulturstammtisch der Münchner SPD. Trifft man B. auf einen der Gänge, textet er einen gnadenlos zu. Er hat keine Zeit, ist in Eile, muß organisieren, delegieren, aber er redet und redet.
B. war mein erster Chef. Ein guter Chef, er konnte Diskussionen mit einem `Was machen wir jetzt?´ beenden, wenn die Argumente nur noch stumpf gegen die Wand schlugen. Er kann moderieren und vermitteln. Alle lieben ihn, aber niemand kann seine Logorhöe ertragen. Er leidet unter Wort-Inkontinenz. Alles, was in seinem Kopf vorgeht -Karriere, Organisieren, wichtige Menschen- sprudelt wie unter Zwang aus ihm raus. B. hat Karriere gemacht und ist jetzt ziemlich weit oben in der Hirarchie von einer dieser Paralellwelten. Es geht nur noch ein Stockwerk höher, aber dahin kommt B. nie.

PS: Endlich gehts zur Sache, Danke Moritz. Es ist doch gleich, ob man sich mit dem Schreiben rumquält oder mit der Welt. Das ist doch für uns dasselbe, nicht? Wir verdauen beim Schreiben die Welt. Es ist also etwas anderes, als ein Bäcker tut. Probleme beim Schreiben, warum, für wen schreiben, sind so alt wie die Menschheit und ebenso ungelöst. Klar, man kann sich winden wie man will, zum Schluß, wenn das Geschriebene gut ist, liegt die Seele nackt aufm Asphalt. Okay, das klingt nach was exhibitionistisches, viellicht gerinnt das Schriftstellersein auch zum Ritual, so wie man am Grab eben `Herzliches Beileid´sagt und das kann auch zum Klischee des Schriftstellerposings kommen, dem Grasschen Schnurrbartstreifen, aber es gibt keine Alternative.

Lorenz, Berlin, - 29.07.99 at 14:01:40

Es ist schon hart, wie lange es dauert, bis man sich dazu durchringt, etwas zu tun. Ich habe in der letzten Woche, und ich leiste es mir, einmal persönlich zu werden, meinen Job als Chefredakteur des ARTE TV Magazins gekündigt, und zwar per Fax, habe mir in der daraus resultierenden Konseqenz ein Modem gekauft und den Rest der Woche nebenher damit verbracht, eine Verbindung zum Internet aufzubauen. Nun sitze ich in diesem wirklich heißen, wolkenlosen Glitzersommer in der Küche und sehe den Abend draußen verdämmern, der über den Balkon hereinbricht, und freue mich, arbeitslos, frei, und somit hier zu sein. Es ist, um es kurz zu sagen, ein wunderbares Gefühl, diese endlosen Stunden, die ein Tag hat, wenn man nicht um neun Uhr in eine Redaktion geht, und die Zeit schießt sinnlos in den Vormittag hinein, und in der Mittagspause schlägt man sich zur Kompensation dreigängig den Bauch voll, und der Sommer findet draußen statt, anderswo, nur noch registriert in der Hitze der niedrigen Büroräume. Und abends, mit der schlenkernden Aktentasche, zu müde um mehr als noch ein Bier zu trinken, über Plätze zu wandeln, auf denen die Versprechen der Nacht flüstern. Aus.
Mein letztes Bild von Straßburg: Das Antiquariat am Kanal, in dem ich, einen Kontrapunkt zum Vorhaben für meine Zukunft setzend, eine Erstausgabe von Handkes "Das Ende des Flanierens" für 15 Francs erwarb. Vollgestopft mit Editions Gallimard-Bänden, der Verkäufer saß auf einem Bücherstapel und entschuldigte sich dafür, nicht zu wissen, wo seine Drieu La Rochelle-Bände zu finden seien. Dann zum Henkersmahl im Petit Tonnelier, Creme Caramel sans Chantilly zum Abschied, im Regionalexpress nach Offenburg bei wehendem Vorhang, während ich den Rhein überquerte kurz vor Kehl, rückwärts sitzend, das letzte Mal den einen Turm des Münsters im Blick, eine Marlboro Ultra als Lebewohl, es war getan.
Im Interregio sah ich aus dem Bistro einen kleinen alleinreisenden Jungen in der ersten Klasse sitzen. Er las in einem Donald Duck Taschenbuch und zählte bei jedem Bahnhof, wie viele Stationen er noch zu fahren hatte. Ich schlief ein.

Eckhart Nickel Heidelberg , Deutschland - 29.07.99 at 21:43:10

Zum Abschluß: wenn man schon mit dem Adorno kommt, muß man der Zeitung natürlich nicht dankbar sein, daß sie für unser so schön gesagtes eins a Gelalle eine dreiviertelte erste Seite ihres Feuilletons vergibt. Weil es das mindestens verdient hat. Oder schreibt einer: das muß man der Naters schon hoch anrechnen, daß sie einen Roman geschrieben hat und noch einen zweiten dazu, mit fast zweihundert Seiten, bei all dem Zeug, was sie sonst noch am Hals hat und dann macht sie auch noch den pool und alle Achtung, all die Anderen, die weiß Gott genug den ganzen Tag über schreiben, finden auch noch die Zeit... und ganz umsonst. Da werfen wir uns doch an die vielgerühmte Brust und rufen: schmeißt euch auf die Knie und küßt uns die Füße, für so eine eins A Unternehmung oder?

Naters Nättraby, Schweden - 29.07.99 at 23:55:20

Seit Tagen derselbe Witz. Alle schreien GREEN CARD, wenn ich reinkomme. Die hab ich naemlich nicht. Ich arbeite illegal hier. Keine Arbeitserlaubnis. Da muss man erst beweisen, dass das was man kann sonst keiner in dem Land kann. Toll! Gestern war es dann soweit. Nach drei Monaten Wahnsinns-Papierkrieg, den ein Anealtsbuero mit den thailaendischen Behoerden gefuehrt hat sollte ich selbst vorsprechen kommen. Zum Interview. Muss ich luegen?
Erstmal ein verspiegeltes Gebaeude. 12. Stock. Grossraumbuero. Ca. 30 Offiziere in sehr engen braunen Uniformen sitzen an billigen chinesischen Schreibtischen. Ein Monitor an der Wand zeigt Channel V ohne Ton. Ganz viele deutsche Maenner. Eigenlich nur Maenner mit deutschen Paessen, die hier wahrscheinlich Betonmischmaschinen fehlerfrei bedienen koennen warten in ihren Seidenkravatten auf Papiere.
Die Kanzleiangestellte, laesst mich erstmal Platz nehmen. Gibt mir eine Bangkok Post. Und laeuft dann sich staendig verneigend von einem Schalter zum naechste. Einige Offiziere sind Frauen. Nette Muttis, kreidebleich geschminkt mit Wasserwelle. Die Offiziere lachen viel und quatschen die ganze Zeit. Alle haben unter dem Tisch ein paar Strassenschuhe stehen und die Fuesse stecken meistens in gebluemten Hausschuhen. Einige tragen Badelatschen. Das beruhigt mich. Nimmt der Sache irgendwie den Ernst. Einer sieht ganz brutal aus. Mit so knallhart rasierten Nacken. So habe ich mir Pol Pot immer vorgestellt. Ich schau ihn mir an und versuche mir vorzustellen, wie er Universitaetsprofessoren eine Plastiktuete ueberstuelpt. In meiner Vorstellung hat er allerdings Lederstiefel an, keine Badelatschen.
Jetzt sieht er mir genau in die Augen und sagt meinen Namen. "Ihva Moon!" knattert der Mann. Ich gehe schnell hin und dann lacht er mich so freundlich an. Auf seinem Schreibtisch steht ein Telefon, ueber das er eine Art Haekelschutzschild gestuelpt hat.Seine schwarzgefaerbten Haare wachsen am Scheitel nach. Er haelt mir einen Stapel Paier hin und gibt mir einen Kugelschreiber. Ich unterschreibe ungefaehr 40 mal auf Schriftstuecken, die in so schnoerkeliger Thai-Schrift geschrieben ist und es faellt mir sehr leicht am Ende zu laecheln. Ich versuche mein Gesicht zu wahren. Da wird der Mann ploetzlich sauer: Why you laugh? fragt er und wirft mir meine Arbeitserlaubnis hin.

ihva moon bangkok, thailand - 30.07.99 at 09:40:05

'man begreift ja auch sowieso nichts durch anstrengung, aber einiges durch langeweile. und wenn man schon sterben muß, sollte man wenigstens nicht gelebt haben, dann ist es nicht so bitter.'
die deutsch sprache hat da schwierigkeiten. welcher schmerz ist es, der einem das glück näherbringt? genauso ist es der schmerz, nicht der gleiche, der einen ins unglück stürzt. denn lieber georg und lieber moritz, es geht um schmerz, und es geht um unglück, wieviel davon und warum. beim schreiben. beim leben. da ist der schmerz, der, sollten wir nicht dauerhaft so etwas wie heroin zu uns nehmen, uns widerstand leistet, das leben spürbar macht. da ist das unglück, sollten wir nicht völlig bescheuert sein, das uns überfällt und sich in uns ausbreitet, ohne daß die welt unmittelbar schuld daran ist. und schon sind wir bei dem, was am meisten zählt: der leidenschaft, ohne die gar nichts geht, alles leer ist.
schreiben ohne eine leidenschaft, das ist müll, ein nichts, ein amtsbrief. ein echtes konkretes unglück. ein buch aufschlagen, dem es an dieser leidenschaft mangelt, terror. so habe ich das lernen müssen. es fing an mit einer pose, dem ganz normalen unschuldigen größenwahn ich müsse schreiben. ich habe aber nichts geschrieben. gedichte einmal, ja, furchtbare, voller ästhetik, ohne leidenschaft. ich habe auch für zeitungen geschrieben: grauenerregend. in tiefster verwirrung und als ich die ersten texte schrieb, die mal ein buch werden sollten, am besten ein roman, weil alles muß ja immer mindestens ein roman werden, war ich wie ein esel, dem an einer stange die möhre vorgehalten wird: noch ein stück weiter und es ist gut. es war aber schlecht. irgendwann stieß ich auf den satz: sein erstes buch sollte man wegschmeißen. das habe ich dann gemacht und es war gut so.
jetzt denke ich es ist okeh, es kann weitergehen und tatsächlich, auch darum geht es: wie geht es weiter beim schreiben, weiter weiter weiter, weil das schreiben natürlich auch das leben vorantreibt, muß. das eigene UND das der anderen. es gibt bücher, die mich erhellt haben. wenn ich schreibe muß ich das auch tun. vielleicht haben das viele schon wieder vergessen, es muß licht her, ein verstehen und das kann keiner allein. früher war dieses licht eins der aufklärung. das ist es immernoch, nur sind die begriffe verdorben. also sage ich nur: licht, denn die welt dunkelt immerwieder nach.
tatsächlich ist es egal, wie man es hineinbringt in die sprache. ob man kette raucht und nasse hände dabei bekommt oder abends nach der arbeit so easy stück für stück. wie man schreibt, darüber hat man sich bestimmt eine menge lustiger geschichten zu erzählen, weil jeder eine eigene hat, abstruse und auch lächerliche geschichten, die man nur sehen kann, wenn man abstand von sich nimmt. wie immer, weil es das beste ist. mit abstand. aber es sagt nichts über die leidenschaft, hier ist sie noch einmal, weil man muß es hundertmal sagen, sie gibt dem text die kraft, genauso der musik, dem kunstwerk und oft hat es sogar den anschein, als hätte die geschichte selbst, die dabei erzählt wird, nichts damit zu tun.

die ersten beiden sätze oben sind von kapielski.

sven lager - hohe tannen, eingezäuntes wild, gemähter rasen, - 30.07.99 at 11:11:11

Lieber Sven, neues Stichwort, wichtigstes sowieso: PASSION. (Pet Shop Boys: Armani, Armani, A-A-Armani, Versace, Cinque). Thank you.
Noch was. Wenn es Deinen Schreibspeed nicht bremst, lieber Sven, wenn's sich irgendwie einrichten ließe: Schreib doch auch mal einen Buchstaben GROSS, am besten die, die sich groß gehören. Nicht immer alles KLEIN! Es LIEST sich soviel besser, wenn es in den Buchstaben bißchen auf und ab geht. Nicht?
Lieber Georg Oswald: ich finde Sie haben zu allem recht, was Sie im letzten Eintrag geschrieben haben. Sie schreiben es auch so absolut locker, einfach, verständlich, überzeugend hin - allein deshalb stimmt es. Trotzdem habe ich auch: recht (auch deswegen, weil wir von komplett verschiedenen Dingen reden). Ist das schön? Ist das nicht schön?

Moritz von Uslar München, - 30.07.99 at 12:44:34

Leidenschaft, dem Text gegenüber, und somit auch des Textes für den Leser, sollte Dich, lieber Sven, in der Tat nicht davor zurückschrecken lassen, einfach der Mehrheit und den Lesegewohnheiten dieser lesenden Mehrheit zu Liebe, den Vorschlag von Moritz anzunehmen. Auch ich gehöre zu diesen Lesern, und ich denke, viele andere auch. Du solltest es tun. Vielleicht auch nur aus Dankbarkeit darüber, ausgerechnet jetzt, unter der Ägide des Hochs "Tanja" in Südschweden weilen zu dürfen, was wäre ich gerne dort jetzt, ich sehe und rieche nahezu die Gräser dort, das blendende Mittagslicht, das Funkeln des Meeres und in der Ferne dort draussen das weiße Fährschiff, das sich vom Tiefblau der Ostsee absetzt. Dieses unwahrscheinlich blasse Grün der Wiesen, das ganz voll wird, wenn es im Schatten eines Waldes steht. Aber Süddeutschland ist auch erträglich. Die Luft ist klar und der Ostwind zeichnet Luftrinnsale in den Strom des Neckars.
Aus Ironie prangt laut Auskunft meines Straßburger Vermieters seit dem Montag ein goldenes Klingelschild mit der Aufschrift "Nickel" neben der Tür des Hauses rue du Dôme Nr. 14.
Leidenschaft, dem Leben gegenüber: Your kiss so sweet, your sweat so sour, sometimes I'm thinking that I love you, but then I know it's only lust.
Damaged Goods, Gang of four.

Eckhart Nickel Heidelberg, Deutschland - 30.07.99 at 13:30:00

"Das Meer ist für alle Menschen eines der größten, beständigsten Muttersymbole. Mit ihm kann nur die Erde verglichen werden, deren Brust uns nährt und zu sich nimmt. Und es ist gewiß kein gewöhnlicher Zufall, daß die Worte `Meer´und `Mutter´(mare, mater; mer, mère) in vielen Sprachen die gleichen Konsonanz haben.³
Und es ist gewiß auch kein Zufall, daß die Psychoanalytikerin Bonaparte mit Vornamen Marie heißt. Wenn sie auch fahrlässig bei ihrer Poe-Interpretation von `Arthur Gordon Pym´ Schiff und Meer abwechselnd als Muttersymbol deutet, als seien die beiden keine Gegensätze. (Das Meer ist unfruchtbar und feindlich. Schiffe, die alle weibliche Namen tragen, eine sichere Insel in der Salzwüste.)
"Eine Welt aus Hintern erbaut! Hintern als Felsenkessel, Hintern als Höhlen & schlimme Klüfte, Hintern figurieren als musizierendes Tal (...) ...daß Karl May einer unsere größten Erotiker gewesen ist, un d das zumindest seine `Landschaften´ stellvertretend für `heiße (erogene) Zonen´stehen.³
Wie Arno Schmidt bei Karl May findet man sexy Lanndschaften auch in `Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer´. Eine Insel mit zwei Bergen! Bis auf die Lokomotive Emma (=Mama), sie bekommt als einzige ein Kind, sind alle Bewohner, Frau Waas, Herr Ärmel, Alfons der Viertelvorzwölfte, selbst Lukas mit seiner brennenden Pfeife, infantil sexlos. Erst als die Insel mit den zwei Bergen verlassen wird, kann Jim, der genauso geschlechtlos zur Welt kam wie Tick, Trick und Track, eine Frau finden. Zum Schluß wird die Insel dann auch zum Festland und Jim ihr König Ödipus.
Ich liebe solche Literaturanalysen, sie sind oft genauso faszienierend wahnsinnig wie Verschwörungstheorien. Und wie alles, was erzählt wurde, auch genauso wahr.

Lorenz Schröter Suhrkamp,, daheim - 30.07.99 at 16:22:09

Vor sechs Jahren hatte Karl Heinz Bittel, mein Lektor bei Knaus, dreiunddreißig Seiten von mir auf dem Tisch liegen. Er gab mir dafür einen Buchvertrag, 20.000,-- Mark, und sagte: "Schreib' was du willst!" Das war ein Wort. Vor drei Wochen hat irgendwer bei Bertelsmann - die wahren Drahtzieher sind in Konzernen nie wirklich auszumachen - beschlossen, daß Knaus nicht mehr bei der Bertelsmann Buch AG weitergeführt werden soll, sondern bei Blessing. Der Blessing Verlag ist zwar auch eine hundertprozentige Bertelsmanntochter, aber hat ein unabhängiges Lektorat, unabhängige Presse- und Werbeabteilungen. Diese sogenannte "Umstrukturierung" hat den - ich interpretiere - für die Bertelsmann Buch AG angenehmen Nebeneffekt, den bisherigen Programmleiter bei Knaus losgeworden zu sein - denn Programmleiter kann er bei Blessing natürlich nicht sein, dort gibt es ja schon einen, der Programm macht - den Chef persönlich. Für Bittel gab es also zwei Möglichkeiten: Sich zum freien Lektor ohne Programmeinfluß degradieren zu lassen oder sich abfinden lassen und zu gehen. Weil er Charakter hat, was dem Karrieremachen prinzipiell nicht förderlich ist, hat er sich selbstverständlich für letzteres entschieden. Am 01.08. "scheidet er aus", wie gesagt wird.
Ich bin immer wieder gefragt worden, warum ich nicht von diesem Verlag weggehe, und ich habe immer geantwortet: weil Bittel dort Lektor ist. Mit ihm, der in dem Laden sein Ding durchgezogen hat, hat es Spaß gemacht sich Bücher auszudenken, sie zu besprechen und sie zu machen. Auch wenn die "ernsthafte Literaturkritik" zuweilen - schon wegen des Bertelsmann-Stallgeruchs - die Nase rümpfte. Ich bin immer wieder gefragt worden, ob ich nicht den Verlag wechseln wolle, weil ich es anderswo leichter hätte. Ich habe immer gesagt: Mach' ich nicht, weil die Arbeit mit Bittel so toll ist. Sogar die bunten Umschläge habe ich in Kauf genommen, die mir wirklich weh getan haben, weil es mir am Ende darauf ankam, IN den Büchern das machen zu können, was ich wollte. Beim Hessischen Fernsehen hat ein Kritiker mich und mein letztes Buch vorgestellt und mir nach der Sendung gesagt: "Sie würden noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn Sie bei einem anderen Verlag veröffentlichen würden." Ich sagte: "Finde ich komisch, was Sie da sagen: Ich dachte immer,es käme drauf an, was IN den Büchern steht, nicht AUF den Büchern." Da hat er nur breit gegrinst.
Jetzt haben sie den Bittel einfach 'rausgekegelt, wie das das so gemacht wird. Ok. Die letzten drei Wochen waren: Scheiße. Statt an meinem Buch zu schreiben, hing ich nur am Telefon und habe herumverhandelt wie ein Depp. Seit heute habe ich einen neuen Verlag. Ich freue mich darüber und bin zugleich ziemlich wütend. Herr von Uslar, Sie haben recht: Wir haben von völlig unterschiedlichen Dingen geredet. So locker, wie ich heute abend drauf bin, bin ich kurz davor, Ihnen das Du anzubieten. Ich heiße Georg.

Georg M. Oswald München, Deutschland - 31.07.99 at 01:01:58

Und ich sagte: "Bis später. Ich gehe mir Zigaretten kaufen." Und ich ging und kehrte nicht zurück. Ich will nicht zurück. Ich überlasse sie alle ihrem Schicksal.
Das hat der italienische Schriftsteller Tommaso Landolfi geschrieben. Ein Brief, den man gerne an alle Arbeitgeber dieser Welt schreiben möchte. Was keiner versteht ist, daß man sich lieber mit den Witterungsbedingungen während der Schweizer Canyoning-Katastrophe auseinandersetzt, also wie wohl das drohende Gewitter dort über der Schlucht sich zusammengezogen hat, wie der Wetterfilm der NEUEN ZÜRICHER ZEITUNG, aus dem sie dort ihr fantastisches Satelittenbild herauslösen, das am nächsten Tag in der Zeitung steht, aus soundsoviel tausend Kilometern Höhe das immer weißer in den Himmel wachsende Wolkenmonster beschreibt, oder daß man sich viel lieber beginnt vorzustellen, wie wohl die letzten Momente des Nachtfluges von GEORGE-Chefredakteur John F. Junior im Cockpit ausgesehen haben mögen, die Blackbox-Protokolle der Dunststimmung über dem nächtlichen Atlantik kurz vor Marthas Vineyard, dem großen Luftfahrt-Grab, dem Bermuda-Dreieck der Neunziger Jahre, daß sich also die Arbeitgeber denken, es wäre unglaublich, diese müßigen Momente im Banne der Sektion "Vermischtes" einer beliebigen Tageszeitung der rechtschaffenen Bürgerlichkeit eines Brotberufes vorzuziehen, provoziert den Satz von Landolfi nachgerade.
Lieber Herr Oswald, es ist Zeit für die nächsten Züge. Wo stehen wir? Ich habe es vergessen.

Eckhart Nickel Heidelberg, Baden - 31.07.99 at 14:29:27

Ein Wort zum Gästebuch, den Gästen, der Mauer und der, so wurde es angemahnt, fehlenden Resonanz von dieser Seite aus. Einen wunderschönen guten Tag an die Gäste: Schön, daß sie da sind. Es ist ja so, daß es nichts interessanteres gibt als den Blick ins Gästebuch. Aber die immer wiederkehrenden kryptischen Spaßeinträge müßten es ja, um hier einmal ein wenig den Oberlehrer zu mimen, jedem klar werden lassen, daß es dann hier zugeht wie auf einer x-beliebigen Chatmeile, und das wäre ja langweilig. Langeweile jedenfalls gibt es ohnehin zuviel. Im Gegensatz zu Leidenschaft: Wie sieht eigentlich Leidenschaft als Text aus, liebe Verena, und was kennzeichnet sie, da sie, wie im Gästebuch eingeklagt, hier fehlt? Für mich zuallererst in der Genauigkeit der Formulierung und in der Strenge der Beobachtung. Kurzum, im Stil.
"Tim und Struppi, Thomas Mann, Joseph Roth und Charlie Chan". Fehlfarben.
Was zählt, lieber DJ Anonymous, ist die Kunst des Zitats. Vielleicht.

Eckhart Nickel Heidelberg, Sommer - 31.07.99 at 17:18:27

Ein letztes: Respekt und Gruß an Holm L. Parker für seinen Beitrag.

EN HD, D - 31.07.99 at 17:31:38