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loop Archiv #20 (15.11.-21.11.1999)

anders als im pool sind hier die neuesten einträge oben

loop Archiv #19,loop Archiv #21


loop


Sie schaute immer eine Sekunde zu lange
Aber sie sagte immer ein Wort zu wenig
Ihr Friedhof der gebrochen Herzen
Füllte sich langsam.


nal, berlin, - 21.11.99 at 21:43:33




Novemberbild (8). Vorläufig, so trägt Dr. S. aus B. (Gastgeber und Internist) zur Konversation bei, haben wir es in Norddeutschland nur mit baktetriellen Attacken zu tun. Der eigentliche Virenansturm aus dem Osten wird erst für Mitte Dezember erwartet. Bis dahin, schwant mir, dürften meine Bastionen von der Vorhut soweit geschleift sein, dass die Streitmacht der asiatischen Invasoren ungehindert Verheerungen anrichtet. Schutz böte allenfalls eine Impfung, meint S., aber in meinem augenblicklichen Zustand (schnief, röchel, fieber, schleim, krächts) wäre die nicht zu verantworten. Gattin L. packt, als kein Gast mehr zugreifen will, meiner Appetitlosigkeit gnadenlos-mitleidig noch Lachspastete auf und eine doppelte Portion Rapunzel mit Möhrenscheibchen (?!) - den ganzen Rest. "Is gesund, Vitamine!" S. spendiert dazu Softies und eine besonders ergiebige Kapsel (Multivitol® von Hermes). Deren Ablaufdatum sei wohl überschritten, meint ein Gast mit Blick auf die vollständig auf meinen Teller geleerten Schüsseln.


l.barnes bielefeld, - 21.11.99 at 20:54:08




wir saßen am Tisch zu sechs
ich prahlte mit meinen Fähigkeiten
Lügen und Stehlen und wir lachten
sie schlugen mir auf die Schulter
ich spuckte in die Hände und
zeigte ihnen wie ich mit zwei Bändern
die Wände hoch in der Zeit hatte
jemand mir meine Pillen aus
der Kulturtasche stibitzt und zwei
neben die Kaffeetasse gelegt
um es mir zu beweisen ich steckte
eine in den Mund die andere
stopfte ich in eine Kerbe im Holz


elsbeth a. flensburg, de - 21.11.99 at 18:48:57




Novemberbild (7). Im Pflegeheim läuft der Fernseher. Baywatch. Eine junge Frau, deren Leib das gelbe Tuch ihres Bikinis straff ausfüllt, hat ein Surfbrett geschultert und rennt über den Strand. Irgendwo weiter vorn in der Brandung ist Leben zu retten. Der Ton ist voll aufgedreht, vielleicht damit die Pfleger in ihrem Küchenraum nichts verpassen. Neben dem Fernseher liegt in Decken gewickelt Frau S., das Gesicht merkwürdig entglitten, ein Auge halb, das andere fast ganz geschlossen. Sie atmet schwer, und manchmal kommen aus der Tiefe eines nicht mehr kommunizierbaren Jammers schwere Töne, unartikulierte Klagelaute, ein Fiepen/Röcheln/Jaulen. Da sie sich schon seit Jahren so (und nie anders) äußert, berührt das nur noch Besucher wie ein Anruf der Leidenden in Dantes Hölle. Vor dem Fernseher eine Runde dementer Damen. Ihre Blicke überlagern sich kreuzweis und gehen aneinander vorbei. Am Bildschirm auch. Nur eine fixiert ihr Gegenüber von Zeit zu Zeit und zischt "Arschloch!". Als ich den Raum betrete, erkennt mich meine Mutter nicht, dann hält sie mich für ihre ,Mutti' (also für meine eigene Großmutter). Dafür freut sich ihre Nachbarin über meinen Besuch als den ihres Kindes, das sie so lange hat warten lassen.


l.barnes bielefeld, - 21.11.99 at 18:15:46




Ops!

Die unmotiviert versetzten Zeilen bitte ich zu entschuldigen,
ich muss mich erst an das Format gewöhnen :o(.


DO - 21.11.99 at 16:19:32




Momente eines Lebens

Der Straßenbahnzug war fast leer. Die Linie führte am Ufer dieses
berühmten Flusses entlang, der sich durch die Stadt windet. Es war bereits
dunkel, an einem frühsommerlichen Abend. Ich war doch ziemlich aufge-
regt und gespannt, meine beiden Freunde wirkten eher gelassen, für sie
war dieser Ausflug in diese Stadt nicht das erste Mal. Als wir an unserer
Zielstation ankamen, fiel mein Blick gleich wieder auf diesen Fluss. Einige
Ausflugsdampfer schlichen fast lautlos durch die Wassermengen des breiten
Stroms. Grelle Scheinwerfer in langen Reihen angeordnet warfen ihr Licht
scheinbar auf die Promenaden, so dass sie fast eine weihnachtliche Atmos-
phäre erzeugten, und das zu dieser Jahreszeit.

Wir machten uns dann auf dem Weg von der Station zu unserem Zielort, den
ich bislang nur aus der Ferne, wir waren am frühen Morgen in dieser Stadt
angekommen, oder von Bildern bzw. dem TV betrachten konnte. Jetzt, wo
ich schon so nahe war, konnte ich das Monument allerdings gar nicht sehen.
Häuser und Bäume versperrten mein Blickfeld, nur ein helles Strahlen unbe-
kannter Herkunft erfüllte die Umgebung. Immer mehr Menschen folgten
unserem Weg und als wir dann die letzte Häuserzeile passierten, schlug mein
Puls doch deutlich höher und ich erwischte mich, wie ich für einen kurzen Mo-
ment in Erfurcht erstarrte. Vor uns stand dieser gewaltige Stahlkoloss, meine
Augen konnten seine Größe gar nicht sofort erfassen, als sich mein Blick in
die Höhe wandt. An den vier gewaltigen Füßen diese Turms haben sich schier
unendlich lange Menschenschlangen gebildet, deren Ziel auf der Hand lag.
Und über den Ansammlungen von Schaulustigen und Touristen steht
dieser riesige Turm, der majestätisch in dieser Situation emporragt, seine
rostige Farbe erhält durch die vielen Lichtstrahler einen besonderen, unzer-
störbaren Ausdruck.

Wir näherten uns einem dieser Füße und machten uns per pedes auf den Weg,
die Höhe dieses Turms zu erklimmen. Als wir die erste Ebene erreichten,
musste ich mich setzen, ich gab meinen Freunden meine Höhenangst als
Entschuldigung an, während diese sich zur Treppe in Richtung zweite Ebene
aufmachten. Ich war froh, diesen Moment für mich alleine zu haben. Ich saß
auf einer Bank, diese wundervolle Stadt zu meinen Füßen. Ich bekam eine
Gänsehaut, meine Augen konnten das alles gar nicht erfassen, was sich ihnen
darbot. Es war bereits völlig dunkel, aber anhand der unzähligen Lichter um
mich herum, wusste ich, dass das Leben pulsierte. Für eine halbe Stunde
saß ich allein über dieser Millionenstadt, träumte vor mich hin, beobachtete
die Menschen, die an mir vorbeizogen, die vielen verliebten Pärchen, die sich
bei diesen Eindrücken wahrscheinlich gerade die ewige Liebe schworen. Ich
bemerkte, dass meine Augen feucht wurden und fühlte mich für einen Moment
allein.

Ich war froh, als meine beiden Freunde wieder bei mir waren. Für mich stand
allerdings fest: An diesen Ort würde ich wiederkehren, unter anderen Voraus-
setzungen, ich würde Paris wiedersehen....


DO - 21.11.99 at 16:15:39




Für Jungs:
Clara hat Bauchschmerzen. Ihre Periode kündigt sich an. Ich bringe ihr Tee ans Bett. Als ich nachfrage, erzählt sie mir die Geschichte der Menstruation. Schon zwei bis drei Tage vorher mischt sich Blut in den Ausfluss. Dann folgen ein bis zweitägige, krampfartige Bauchschmerzen, die bisweilen von einer leichten Migräne begleitet werden. In dieser Zeit beginnt die eigentliche Periode mit einem plötzlich quillenden, heftigen Blutfluss. Wenn nicht schon vorsorglich ein Tampon eingeführt oder eine Slipeinlage vorgelagert worden ist, muss dies in den nächsten Minuten geschehen, um eine Rötung der Kleidung zu vermeiden. Der Fluss steigt in den nächsten Tagen, bis er am dritten Tag abklingt und am siebten Tag verebbt.
Leider fehlen sowohl mir als auch Clara das medizinische Vokabular, um dem Vorgang den Klang der allgemeinen Notwendigkeit zu verleihen. Auch sie ist nicht Herr im eigenen Haus, denke ich, aber ihres brennt monatlich, um an seine Verletzbarkeit zu erinnern. In mir wird immer erst bei schweren Vergehen Alarm geschlagen.
Wir können heute also nicht in die Sauna gehen. Wir backen Apfelstrudel.


Claus - 21.11.99 at 15:10:50




Seit meinem Eintrag von gestern hat sich Beatrice nicht mehr bei mir gemeldet. Zusätzlich zu den Befürchtungen von gestern sind mir jetzt die Bedenken gekommen, dass ich ihre Briefe hier nicht ohne ihre Zustimmung veröffentlichen darf und dass ich damit ihr Vertrauen missbrauchen könnte. Auch dass ich davon schreibe, könnte dazu führen, dass wir bei unserem nächsten Treffen, falls es eines geben sollte und sie mir nicht telefonisch die Freundschaft kündigt und ihre Post zurückverlangt, von einem Leser dieser Zeilen beobachtet werden, der uns neckisch fragt, ob wir uns denn nun, schlußendlich wieder vertragen hätten. Wir werden uns gerade im Prozess der vorsichtigen Annäherung befinden, und diese Frage wird uns an das erinnern, was wir gerade vergessen machen wollten bei einem Spaziergang durch aufregendes Innenstadtgebiet, bei dem wir sonst stets auf andere Gedanken kommen. Unser Spaziergang wird abgesagt werden, stattdessen werden wir bei Beatrice im Zimmer sitzen, ihr Rechner wird uns an die unsere Vergangenheit erinnern, der Tee schmeckt bitter und wir kauen alles noch einmal von vorne durch. Kekse, fragt Beatrice leicht zerknirscht. Danke, sage ich und gehe darauf.
Marlboro Adventure Team Werbung: Höhen und Tiefen und du mittendrin.


Ernst - 21.11.99 at 15:09:11




Mein lieber Wolf aus Flensburg,
auch ich wollte Dir mit der Deutung Deines Traumes helfen. Doch leider habe ich ihn nicht sofort verstanden. Ich mußte mich also hinsetzten und im neuen Wahrig-Wörterbuch "Idiosynkratie" nachschlagen. Das Ergebnis entsetzte mich: Das Wort gibt es nicht. Da stand "Idiosynkrasie" gefolgt von "Idiot". Aber natürlich, ich weiß, in Träumen ist alles erlaubt.
Dein in verwirrter Verwunderung zurückbleibender


Korbinian, - 21.11.99 at 14:39:32




Triticea sitzt mit blassem Gesicht im vollen Bus, draußen ist es bereits fast ganz dunkel, obwohl noch nicht mal 17h. Berufsverkehr. Sie liest, ist auf dem Weg ins Klinikum am Europakanal, wie sich das Erlanger Bezirkskrankenhaus, die größte psychiatrische Klinik Frankens, aus Marketinggründen neuerdings nennt. Zoom auf das Buch. Rainald Goetz / Irre / Roman / suhrkamp / taschenbuch in Hellgelb auf Dunkelblau untereinander deutlich sichtbar auf der Buchvorderseite. Schwenk auf Tritis Augen, Nahaufnahme. Ernst. Drei Sekunden regungslos. Dann entfernt sich die Kamera von ihr, die nun wieder ganz ins Bild kommt, leise seufzt, traurig aus dem Fenster sieht und das Buch zuklappt. Die Hinterseite des Buchumschlages wird sichtbar. Darauf ganz groß die Worte "Don't cry - work." Sonst nichts. Der Homöopath hat ihr Globuli verschrieben, die ihre Traurigkeit auflösen sollen.
Später Triticea auf dem Flur in der neurologischen Frührehastation. Das Zimmer der Großmutter suchend. Der Großvater kommt ihr entgegen, strahlend wie nie zuvor: "Sie hat die Hand bewegt!" Triti fällt der Spruch auf ihrem Anrufbeantworter gestern ein, eine tiefe Stimme sagte: "Hallo, ich bins, Gott. Wollte Dir nur eben sagen, dass ich mich drum kümmere. Ich ruf Dich wieder an." Das war wohl doch kein Scherz.


Triticea, - 21.11.99 at 14:04:56




-tor für die bayern in der 87. minute durch carsten-
-janckerfußballgott
-bayern münchen:
-sechs
-freiburg:
-eins zu viel
-danke
-bitte


alexander runte münchen, - 20.11.99 at 20:56:59




novemberrain

I. "Das ist", sagt mein Lieblingsbuchhändler zu seinem neuen Kollegen, "die Kundin, die immer Bücher haben will, die es noch nicht gibt." Breitbeinig setzt er sich vor den PC, und dann muss ich buchstabieren.

II. Zur Post, das Paket meiner Mutter abholen, ein hühnergrüner Frosch für Martha, den ich in keinem Spielzeuggeschäft finden konnte. "Leider beschädigt" sagt die Schalterfrau und deutet auf einen Schnitt unter dem Adressaufkleber. Sie sieht zu, wie ich das Papier an der Schnitt-Stelle weiter einreisse. Was sie nicht sieht: das Auge des Stofftieres und die Handschrift meiner Mutter, ganz klein neben dem Messerschnitt: "Atmungsschlitz".

III. Wieder der alten Frau am Treppenabsatz der Bahnhofsunterführung keine Blumen abgekauft. Sie wickelt die Sträusse immer in die aufgeschnittenen Plastiktüten ihres Sonnenblumenbrotes ein, und ich stehe dann in der Küche, die Vase in der Hand, lese "Mindestens haltbar bis: 15. 9. 1992" und muss heulen.

IV. In der Nacht bis auf die Fasern des Hasses mit H. gestritten. Ich soll es einkochen und essen: "Es ging uns gut in der DDR. Uns fehlte nichts. Es war in Ordnung." Abgründe und Angriffe serviert er immer als Witz: "Was haben wir gelacht, wenn die Westpakete kamen und da war Butter drin." Mein erstes Westpaket habe ich mit 13 gepackt, ein braunes Teeservice und ein Sarah-Kay-Fensterbild, und in der türkisfarbenen Tinte der Pubertät stand 'Geschenksendung - Keine Handelsware!' neben Susis Adresse in Weimar. Aber das erzähle ich ihm nicht. H. redet und redet: Ich hatte eine schöne Kindheit, ich hatte ein Lieblingsgeschäft, da gab es sehr schöne Teddies und Puppen, ich konnte alles kaufen... Dann listet er mir all die Möbel in seiner Wohnung auf, die er schon vor der Wende hatte: meine Küche ist fast noch komplett, nur mein Bett und mein... Unentrinnbar. Nach und nach sehe ich eine Spur -'Meine Kindheit, meine Möbel, meine Küche' - und frage ihn: "H., was heisst 'deuten' für dich?" Er antwortet ohne Zögern: "Deuten heisst: auf mich beziehen."


kathrin glosch - 20.11.99 at 18:06:18




Noch einmal "Dünnbierkneipe" - Antwort von bernd
also erst einmal übernehme ich natürlich die volle Verantwortung dafür, daß meine Worte sich bei Dir nicht so richtig benehmen konnten. Was die "Dünnbierkneipe" angeht, war es bei mir schon so (als ich es das erste Mal las), daß mir Dein Gedanke klar war; ich mußte sogar lachen; und als ich meine Meinung hier hineinschrieb, hatte ich es zum zweiten Mal gelesen; es war ja nicht mehr wie beim ersten Mal; man hat den Witz zwar auch das zweite Mal wieder verstanden, aber das wars dann auch. also nichts für ungut.
Meine Meinung zu Deutschland: (wohlwissend, daß sie nur einmal in vier Jahren zählt) Ein Lustgarten mit geschmücktem Dunghaufen.


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 20.11.99 at 17:23:33




Auch bei mir bimmelte gestern das Mobiltelefongerät. Ich fuhr also die Antenne aus und drehte an der seitlich befestigten Dynamokurbel, denn es ist noch ein sehr altes Gerät ohne Akkumulatoreinheit. Ich nahm dann den schweren Bakelithörer ab und es meldete sich ein Engel, irgendein Uriel oder so, hab mir den Namen gar nicht erst gemerkt, da ich es mir abgewöhnt habe, mit Vorzimmer-Personal zu diskutieren. Nach einigen Sekunden der informellen Sprachlosigkeit stellte er mich dann zu seinem Chef durch, und ich hatte mal wieder den Lieben Gott an der Strippe. "Hey, Aspera, alte Schlampe", begrüßte er mich in gewohnter Herzlichkeit. Er spielt halt gern den John Wayne, ist aber eigentlich ein Netter. "Na, alter Sack", gab ich charmant zurück. "Du schuldest mir noch was", behauptete da der Liebe Gott "Ich schulde grundsätzlich niemandem etwas", so meine Standardantwort, jedes Wort eine ganze Umdrehung der Gebetsmühle. "Doch", so der Liebe Gott, "mir mal wieder ne Revanche im Schach." "Ach ja...", tat ich überrascht, obwohl ich schon seit längerem selber dran gedacht hatte. Denn der Liebe Gott ist ein miserabler Schachspieler, ein so schlechter, daß ich sogar schon mal dran gedacht hatte, ihn einmal gewinnen zu lassen. So aus Gründen der Barmherzigkeit oder so. Natürlich hab ich nur dran gedacht, selber gewinnen kommt ja dann doch besser. Ich hab ihn dann am Telefon noch ein bißßerl zappeln lassen, daß macht ihn immer so lustig fuchsig und im nächsten Spiel um so leichtsinniger. Und am Ende des Spiels wird es wie immer sein: Meine tiefschwarze Dame wird seinen zahnbelagsfarbenen König mit einer Rechts-Links-Kombination von der Matte putzen. Meistens ist der Liebe Gott dann ein bißßerl erzürnt und macht irgendwelche Kindereien, was mit Vulkanen oder so ein El Nino-Spektakel zum Beispiel. Aber mich wird das dann nicht kratzen, ich werde dann nämlich in meinem Wohnzimmer sitzen und mich an meinem Wettgewinn erfreuen: Einer Sechserkiste 92er St. Petrus.


Aspera, BN, Rheinland: Sitz der Asen - 20.11.99 at 16:18:22




Auf meinen Eintrag von gestern habe ich eine mail geschickt bekommen. Sie ist von der Mitbewohnerin von Sven, von der der Eintrag handelte. Ihr Name ist Beatrice.
Sie schreibt: "falsch, ernstl, ganz falsch. ich habe dich nicht grummelnd
(ich grummele nämlich nur ganz selten und schon gar nicht bei so
charmanten telefoneuren), sondern im guten gewissen warten lassen, dich
derweil mit mozarts streichquintett kv 515 zu unterhalten. zu leise?"
Beim ersten Überfliegen blieb ich bei "charmant" hängen und liess mich sanft in das warme Lob fallen. Bei der zweiten Lektüre fiel mir das "falsch" vom Anfang auf. Ich hatte also etwas falsch gemacht oder verstanden. Das hatte ich mir schon gedacht, diesmal richtig wiederum also. Ich hatte ihre Stimme und ihre Stimmung falsch gedeutet. In Sorge zu stören war ich kurz angebunden gewesen. "Charmant" würde ich demnächst nur noch mit einem einschränkenden "meistens", "manchmal" oder "selten" vorgestellt werden. Ich hatte Mozart überhört. "Zu leise?", fragt Beatrice am Ende der mail und verabschiedet sich mit "Guten Morgen", beides Bemerkungen, die man Stumpfsinnigen gegenüber macht, die einen Schlag vor den Kopf brauchen. Hallo, jemand zu Hause, haben wir das jetzt mitgekriegt? Ihre Mail schließt nicht mir ihrem Namen, sondern "b". Des Erklärens müde hatte Beatrice sich schließlich nur noch sehr teilweise für meine Probleme interessiert. Statt dass sich irgendetwas löst, kommt immer noch etwas hinzu. Wenn ich tot bin, wird mir einiges klar.
Und es wird Marder geben, und wir werden nicht mehr leben.
(Liebe Beatrice: Was macht ihr sonst so morgens um 4?)
Über die KSZE-Konferenz: In der Diplomatie wird mit Macht und Einfluss gehandelt und die Währung heisst Sprache.


Ernst - 20.11.99 at 15:47:34




Als Clara frischgeduscht mit ihrem Bademantel in Perwollfarben vor mir saß und lachte, weil ich komisch aussah in dem Unterhemd von ihr, dachte ich, das ist das Clara Gefühl. Als hätten wir am Abend zuvor miteinander geschlafen, die Nacht verträumt und säßen jetzt reingewaschen, sicher und entspannt voreinander und vor dem neuen Tag. Wir hatten aber nicht miteinander geschlafen und ich bin mir nicht sicher.
Wir sind zusammengezogen, wir haben uns (satt, lieb, sicher, eingepfercht).
Warum?
-Das hat Tradition.
-Ich will davon erzählen können.
-Um meine Eltern zu verstehen.
-Für eine Zukunft.
Der Fußboden heißt (das habe ich immerhin schon gelernt): Kokos. Mit nackten Füßen fühlt er sich belebend und gesund an. Es riecht nach Clara und nach dem, was wir gemeinsam gegessen haben (weißt du noch?) Clara in der Nacht bleibt dunkel.



Claus - 20.11.99 at 15:46:20




Geht es Euch auch manchmal so, daß Ihr über Bäume nachdenken müßt? Die Stadt, in der ich jetzt lebe, hat ein besonderes Verhältnis zu Bäumen. Aus den gestorbenen Ulmen im Park vorm Bahnhof haben Künstler interessante Werke geschaffen, und als ich gestern durch die Fußgängerzone ging, war man gerade dabei, neue Bäume zu pflanzen. Die Baumkunstwerke im Park aber altern jetzt auch und irgendwann wird wohl von ihnen nichts mehr übrig sein. Der Göttin der Jagt z.B. hat man den Bogen geklaut und es wird vielleicht nicht mehr lange dauern, bis ihr ein Arm abfällt. Als ich also gestern so durch den Park ging und über Bäume nachdachte und plötzlich auch noch ein Bild aus meiner Heimatstadt vor Augen hatte, war die Idee für ein Gedicht da.

tief unten

ein baum steht vorm hoftor
eingang des kinos
ausgebrannt
brettervernagelt
ehemals kranzbinderei
schild übertüncht
es kreischt niemand auf
wenn ihm hier
eine katze über den weg läuft.

der hof ein gefaltetes
graues tuch
wo katzen
vögel
in ihren nestern anfauchen.

kinder wissen nicht wie
sie in die krone steigen sollen
keine blätter
die der wind aufstöbert
lauschen am stamm
knistern
als zerre es tief unten im baum
noch immer
nach licht.


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 20.11.99 at 14:08:59




Als ich heute wach wurde waren noch ein paar Erinnerungsfetzen eines Traumes da, die so abstrus waren, daß ich sie gern ganz und gar wieder zusammengefügt hätte, aber es bliebben Fetzen, und so will ich die hier aufschreiben; vielleicht findet sich ein Traumdeuter, oder vielleicht hat jemand schon einmla ähnliches im Traum erlebt. Ich war zu einer Talkshow nach Bayern eingeladen, aber ich glaube, ich sollte nur stummer Beobachter sein, denn man hatte mir, bevor ich in den Raum geführt wurde, ein Pflaster auf den Mund geklebt. Die Bayrische Runde bestand aus Norbert Nieman, Georg M. Oswald und Wolfgang Matz, ansich sehr ehrenwerte Menschen, die mir eigentlich keinen Schrecken hätten einjagen dürfen. Es waren drei Gegenstreiter aus dem Norden eingeladen: G. Kunert, G.Grass, und weil auch eine Frau dabei sein sollte, Alina. Man hatte angekündigt, daß es um eine literarische Revolte-Theorie gehen sollte, und die Gäste aus dem Norden und die zusätzlich eingeladene Dame sollten sich möglichst nicht allzuweit vorwagen, denn in Bayern sei man, was die deutsche Gegenwartslitertur angehe. doch ziemlich idiosynkratisch. Ich glaube es war N. Niemann, der das so deutlich sagte. Die Gäste aus dem Norden kamen nach diesen Worten gar nicht mehr zum Zug, nur Alina ließ es sich nicht nehmen, G.M.Oswald ihr schönes Windgedicht um die Ohren zu hauen und ihn anschließend zu fragen, wieso er so unverschämt sein könne, zu behaupten, sie liebe ihre Gegenwart nicht. Viel weiter ging es dann nicht, denn plötzlich kamen die Bodyguards von Tic Tac To und führte die nordische Delegation einschließlich Alina aus dem Saal.
Ja, ich weiß, viel ist damit nicht anzufangen, aber ich denke, daß sich die Idiosynkratie für solche Träume bei den loop-Autoren in Grenzen hält.


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 20.11.99 at 12:37:04




Ich: (leise; mit der Hand vor dem Mund, um Gerüche oder Spucke zurückzuhalten) Wo ist denn die Toilette?
Loopo: (beugt sich herunter; schreit) Was is?
Ich: (rot) Ähm, where may I powder my nose?
Loopo: (mit den Händen gestikulierned; schreit)Bist wohl neu hier?
Ich: (Kopf nach unten gebeugt; demütig, wie bei einem Schuldeingeständnis) Ja, ich bin der Neue.
Loopo: (deutet mit der Hand in Richtung Toiletten) Da.
Ich: (folge mit den Augen der Richtung, die er weist) Danke. Ich bin übrigens der Korbinian.
Loopo: (war schon lange, die Hüften im Takt schwingend und ein Champagnerglas in die Höhe haltend, in der Menge verschwunden)


la Kai Korbinian -- dort, wo man die Entertaste nicht versteht, - 20.11.99 at 10:54:27




gott@himmel.com
An der Einganstür des Plattenhochhauses drehte er gleich wieder um. Obwohl
er wußte, daß hier viele einsame Menschen seit Jahren auf das Ertönen ihrer
Klingel warteten und selbst Jehovas Zeugen hereinließen, drehte er um.
Seinen hellbraunen Vertreterlederkoffer klemmte er unter den Arm und als er
an einem Sandkasten vorbeiging, fing es an zu regnen. Der Sandkasten war
4 x 5.25 Meter groß und für 804 Familien mit durchschnittlich 0.7 Kindern
angelegt. Macht über 26 Kinder pro Quadratmeter. Trotzdem war niemand zu
sehen. Ist ja auch verständlich bei so wenig Platz zum Spielen.
Aber er mußte endlich irgendwas irgendwem verkaufen. Er mußte endlich
irgendwo klingeln und verkaufen, koste es, was es wolle. Sagt man doch so?
Tieteldididii Didüü. Das Handy. Hm, wer das wohl ist? Ach so, ja, abheben.
Er fühlte sich heute wirklich nicht wohl.
Ja?...
Wer?...
Doch!...
Natürlich...
Na, klar.
Bis bald und Tschüssi, Herr Gott.
Rote Taste.
Also, das hatte er nicht gedacht, heute noch vom lieben Gott angerufen zu
werden. Ja, so ein Zufall. Und er dachte Zufälle gibt es nicht mehr.
Langweilig sei ihm, dem lieben Gott, hat er gesagt. Und dann hat er noch
etwas gesagt, dessen geschichtliche Relevanz noch nicht abzusehen war. Er
behauptete doch tatsächlich, es gäbe nur neun Gebote und der Quatsch mit
dem "kein Bild machen und so", sei nur durch ein Mißverständnis mit dem
Moses entstanden. Moses war damals nämlich schon eifrig am Mitmeisel, was
Freund Gott in Zukunft so alles verlangte. Als der wiederum nur ein wenig
über seine Sorgen plaudern wollte, und sagte:
Du machst dir ja kein Bild davon, was hier oben abgeht.
Moses, alt und geplagt durch die drückende Mittagshitze, hörte nicht
richtig hin, brachte den Satz in eine gott-angemessene Formulierung und
alles weitere ist ja bekannt. Nun aber sind die Menschen in der Verbesserung
seiner Gesellenarbeit endlich so weit gekommen, daß sie das Internet mit
den Web-Cams erfunden haben. (Warum er da nicht selber darauf gekommen ist,
fragte sich der liebe Gott.) Und übrigens, 4000 Jahre sind auch für ihn
eine Ewigkeit.
Aber damit war das Gespräch am eigentlichen Thema: Gott wollte eine Web-Cam
kaufen, damit sich die Menschen doch endlich mal ein Bild von ihm machen
könnten.
Hervorragend, dachte der Er sich, dann habe ich heute doch noch was
verkauft.


la Kai Korbinian München, Bayern - 20.11.99 at 10:44:05




der wind,
der wind kommt,
wind , wind
ein fegen leerer hüllen
nüsse atmen feuchte
durch die haut regen
der wind
wind
wind und werden
aussen tragen blösse
auf ihrem siebten werden
die fasern ihrer seele
bäume
wind
fort und fröhlich ist
ein gestern häute schwerer
träume die so sind
wind, wind
leere


alinia santa cruz, europe - 20.11.99 at 09:40:19




Über Marco Bode (SV Werder Bremen):
Er spielt mit einer weichen Leiste und einer Spritze.


Ernst - 20.11.99 at 00:53:42




Alles war da. Ich hätte mir nur etwas aussuchen müssen. Die Wohnung war gut geheizt. Auf dem Schreibtisch lagen Bücher. Auf der Wand davor hingen Zeitungssauschnitte, Bilder von Ereignissen. Auf der Obstkiste, in die wir die alten Zeitungen warfen, stand in grossen Lettern BABY. Sven hatte einmal gefragt, ob Clara die Kiste dort plaziert hatte, als Aufforderung. Sven fühlte sich beizeiten wohl in seinem aufgeschwemmten Körper, der mit Beziehungen nichts zu tun haben schien. An anderen Tagen weinte er fast. Die Ankündigung, nicht mehr weiter machen zu werden, wenn sich bis zum Herbst keine Sexualbeziehung ergeben würde, hatte er seit dem Spätsommer nicht mehr erwähnt. Ich hoffte, dass er sie vergessen hatte und dass ich sie nicht mehr erwähnen würde.
Nach dem Aufwachen maß Clara ihre Körpertemperatur, um ihre unfruchtbaren Tage auszurechnen. Zusätzlich zur Temperatur mußte sie die Konsistenz ihres Schleims beobachten. Daher wusste ich von dessen Möglichkeiten, gelblich, flüssig oder zäh zu sein. Clara drehte sich um,und nahm das Thermometer in den Mund. Zuvor hatte sie mir einen kurzen Kuß gegeben.


Claus - 20.11.99 at 00:17:34




Ich würde auch gerne telefonieren können wie Moritz von Uslar: siegesgewiss, lässig, sicher (so lasen sich die Berichte). Stattdessen rufe ich Sven an, dessen Mitbewohnerin an den Apparat kommt, die ich nicht lange aufhalten will, da ich von ihrem Fleiss weiss, der ungern aufgehalten wird. Für Svens Handynummer muss sie in ihr Zimmer gehen, ich höre ein Rumpeln, das ich als missmutig deute, danach ein Gespräch mit dem anderen Mitbewohner, der auch nicht begeistert klingt, aus der Arbeit gerissen zu werden, um nach der Handynummer seines Mitbewohners zu suchen für einen Anrufer, den er kaum kennt (am Telefon wusste ich nichts zu fragen). Vielleicht haben sich Sven und er auch vor kurzem erst gestritten, denke ich noch, da höre ich von ihm ein Grummeln, das ich als Ablehnung deute. Diese Deutung wird bestätigt, als die Mitbewohnerin wieder ans Telefon kommt, um mir leicht ausser Atem mitzuteilen, dass die Handynummer von Sven nicht aufzutreiben sei, ich solle es bei seiner Freundin versuchen. Deren Nummer traue ich mich nicht mehr zu erfragen, da ich weiteres Rumpeln und Grummeln erwarte, ich verabschiede mich kurz und lege auf. Nachträglich fällt mir meine Unhöflichkeit auf, mich für die Mühe der Handynummersuche nicht bedankt zu haben. Noch einmal anzurufen würde die Sache nicht besser machen. Die Nummer von Svens Freundin habe ich nicht, auch dort könnte ich stören, beim Küssen, beim Lernen, beim ungestört ins Blaue schaun. Im Rechner ist eine Mail von Svens Mitbewohnerin, die mich zu einer Feier einlädt. Sie ist vor meinem Anruf bei ihr geschrieben und ich schäme mich zusätzlich, nichts von meiner Freude über die Einladung gesagt zu haben. Stattdessen könnte mein Anruf gewirkt haben, als würde ich ihre Einladung höflich übergehen, um ihr nicht sagen zu müssen, wie gering ich ihre Parties schätze. Dies alles aufzuklären wird mich bei der Party die Konzentration kosten, derer es bedarf, um alle Begrüssungen, Erinnerungsfetzen und Kurzgespräche mit Anspielungsreichtum und halbwegs lässig zu überstehen. Ich werde wieder in einer Ecke sitzen und eine Strategie entwerfen, die der fortschreitenden Zeit zum Opfer fallen wird oder meiner Trunkenheit.
Ich bin erleichtert und später erst enttäuscht, dass mein Telefon den Rest des Tages daliegt wie tot.
Leider kann ich auch nicht schreiben wie Moritz von Uslar, sondern bleibe scheinbar ewig: dumm, fad, ernst.


Ernst - 20.11.99 at 00:16:12





Fernsehtips im loop. Ganz großartig. Danke David.
Ich dachte Benjamin sagt am Ende:
Danke - Susan Stahnke.
Hat er aber nicht.


Elke - 19.11.99 at 23:14:09




Den heißen Nachmittag über döse ich in meinem Hotelzimmer. Am frühen Abend gehe ich in ein Restaurant in der Nähe. Ich bin fast krankhaft ängstlich, was das Essen in Afrika angeht und bestelle ein Nudelgericht. Nach dem Essen gehe ich zurück ins Hotel, lese noch etwas in einem Buch über die Geschichte Afrikas und schlafe dann durch bis zum nächsten Morgen.

Ausgeruht beginne ich den Tag, kaufe eine senegalesische Tageszeitung und verbringe den Vormittag mit Lesen und Frühstücken in einem Café. Unter anderem wird in der Zeitung über einen Anschlag auf einen Linienbus in der Casamance berichtet.

Später gehe ich noch zur Bank und hebe mit meiner Kreditkarte Bargeld für die nächsten Wochen ab. Zurück im Hotel döse ich wieder bis zum frühen Abend und gehe dann wieder essen, diesmal in einem anderen Restaurant. Langsam wird mir die Gegend um das Hotel im Zentrum von Dakar vertrauter.


elmodem muc, de - 19.11.99 at 23:10:20




Benjamin v. Stuckrad-Barre hat gerade bei B.Trifft die Füße von Susan Stahnke geküßt - danach fing seine Hyperventilation erst richtig an.


David Dortmund, D-Land - 19.11.99 at 22:57:54




3 Uhr nachts, 15°, sternenklar
Das Telefon klingelt. Unerbittlich, immer wieder.
Ola,quien es?
Die Fenster sind offen, es zieht vom Meer herein.
Ola?
Ich höre einen Löffel auf einen zweiten klappern, dazwischen das Blättern von Zeitungen.
It is a word with four letters.
Ola, who are you?
beepbeep

7 uhr morgens, 16 °,dunstig
Das Telefon klingelt. Sofort abheben.
Ola,quien es?
Über dem Bett hängt ein Kruzifix aus Aluminium, es funkelt.
Hello?
Ich erkenne im Flüstern die Wörter Jesus,Allah und Microsoft, danach eine sich ergiessende Flüssigkeit.
The first Letter ist como tiempo.
Hello, who is there?
beepbeeep

1 Uhr mittag, 21 °, sonnig
Das Telefon klingelt.Der Anrufbeantworter nimmt an.
Ola, esto es siete tres seis uno zero uno, deja su mensaje despues...
Seine Jacke hängt noch über dem Stuhl, ein Tropfen fiel auf den Boden.
Jemand schleppt sich keuchend über steinigen Boden, der andere nimmt ihm die Luft, es knackt.
Second and third letter von menschlichem Verkehr.
Thank you, end of recording.
beepbeep

4 Uhr nachmittag, 22°, bedeckt
Das Telefon klingelt.Türe hastig aufgeschlossen,Maria hebt ab.
Ola? Ola? Que quieres?
Der Blick hängt in den Gardinen, über dem offenen Mund klebt ein Papier.
Verschlüsse klicken, ein Ventilator, Reste von vertrockneten Rosen bröseln vor einem Seufzen,ein Buch schliesst sich.
Wieder und nochmal, dieser first letter.
Ja,ja,ich verstehe,das also ist es.
beepbeep


7 Uhr° abends, 18 °,windig
Ich halte ihn fest, in meinen Händen, den ....




Kommentar: Früher lustiger, da frecher.
jetzt nach philosophischer und IM desillusion, komme ich über Comix° langsam zu einer Fatiguensis politicus.
So. Dann denk ich fortan astro-logisch, eine Sprache aus den Träumen,alte Sichtweise die sagt: alles geschieht unter einem qualitativen Zeitaspekt, der ist in Astrologie beschrieben.
Wie, wenn, ich schaffe meine eigene Beschreibungsmöglichkeit ohne zentralistisch und chronologisch eingeengte Zeit.SO also sage ich, heute ist Neptun quadrat Medium coeli, Flut mächtigen Bewusstseins schwemmt mit Gewalt meine Manuskripte in den Gulli.
Pluto versus Uranus: Ursprung gegen Ferrari



alinia, liebt wiederspruch santa cruz, europe - 19.11.99 at 22:50:41




loop di loop

andrea frankfurt über
Elsbeth und den Klischeekuchen
aus heimischen Äpfeln
(Holsteiner Zitrone, Dithmarscher Paradiesapfel)

Wolf Steinhardt Flensburg zu
andrea frankfurt über Großmutter
was machst du mit den Zähnen
(der kleine Beitrag, danke)

björn kuhligk berlin zu
wolf aus flensburg über dünnes Bier
und Komprimierung zu kathrin glosch
(na also, na gut)

elsbeth a. flensburg liest
mit vorLiebe kathrin glosch
aus Halle und Claus den Dichter
(ich weiß, ihr Mausegesichter)

Hippi überall über allen


elsbeth a. flensburg, de - 19.11.99 at 20:30:11




Seit Tagen nun dieses Spiel: Eiseisbaby der alte Ego Shooter. Spiele Age of Kings, Zeitalter der Könige! Suchtfaktor 2000 für Leute die gerne Gott wären. Oder Feldherr, oder Schriftsteller. Herrsche und Teile, sei es Glaube, Tod oder Text. Und wieder schliesst sich der Kreis, Sven, Du alter Schlingel. Je länger ich darüber nachdenke: Da bist Du dran, an etwas, ganz nah dran, verdammt nah mit deiner Realität TM. Drei Bauern, einem Haus, einem Späher. Erkunde die Gegend. Schlachte Schafe und Rehe. Sammle Beeren. Baue ein Haus. Und noch eins und noch eins. Schreite voran. Vermehre Dich. Schreite voran und lasse die dunkle Zeit hinter Dir, hinauf, hinan! Und dann der Tod, blitzschnell, unbarmherzig! Ein einsamer Fanfarenstoss, dort auf der Hügelkette über dem Wald: Ritter in Reih und Glied und blutigem Gewand. Schon hat die wilde Reiterhorde die Tore der Stadt durcheilt, die Mauern erschüttern im Donner der Geschütze...ob Mönch, ob Mann, ob Frau, keine Gnade, du bitterkaltes Pentiumhirn. Aber mein letzter Bauer, mein letzter Knecht wird entkommen und Rache nehmen, Menschenrache, Prozessorhirn, eisige Menschenrache, berechnend und intelligenter: Noch. Dankeschön. Sehr freundlich.


eiseisbaby münchen, bayern - 19.11.99 at 18:05:47




Als sie endlich seinen Brief in den Händen hielt, fiel der Orangenbaum von der Fensterbank. Beruhigt sah sie auf die Scherben. Er brauchte schon lange einen neuen Topf.

Was zu sagen ist: Danke für Worte und Bilder, aus der Geste heraus auch für die Adjektive, diese Zaunpfähle und Streckenposten, und Danke den Dankenden, hier so aus Halle. In der Milchglaswelt von Hölle an der Saale, mitten hinein in den Wunsch nach Margarine in Scheiben, erscheint, wenn ich ganz hinten im letzten Wagen der Strassenbahn stehe und auf die Schienen sehe: jemand, der Eis kratzt, eine Stadt, die nicht zum Rheinland gehört, der Kapitän, ich und der Wind natürlich, Grauburgunder statt Saale-Unstrut. Was ich mich seit Tagen frage: "Ganzer kann nur das Herz sein"?


kathrin glosch - 19.11.99 at 15:39:34




Claus und Clara liebten Sex. Sie lernten sich in einem Supermarkt kennen. In der ersten Nacht hatten sie Sex in der Missionarsstellung. Claus war sportlich und roch gut. In der zweiten Nacht hatten sie Sex in der Hündchenstellung ("Doggy style"). In der dritten Nacht brachte Clara einen Vibrator mit in ihre Beziehung. In den folgenden Nächten hatten sie keinen Sex, Claus mußte auf Montage. Sie hatten Telefonsex. Claras Stimme war tief. Als Claus wiederkam, nahmen sie sich beim Sex mit Video auf. In der folgenden Nacht sahen sie das Video, während sie Sex hatten. Claus mußte wieder auf Montage, Clara kommentierte beim Telefonsex das gemeinsame Video. Später lasen sie sich erotische Geschichten vor. Sie luden sich ein befreundetes Paar ein und hatten gemeinsam Sex. Nach einigen Tagen wurde es Stefan und Meike zuviel. Sie hatten noch andere Interessen. Eines Tages starben Claus und Clara bei einem Autounfall. Sie saß auf seinem Schoß und er sah den Laster nicht.
Das wäre doch was.
Stattdessen hat Clara gerade gesagt, sie sei zu erschöpft, um sich zu fühlen, nachdem ich sie gefragt hatte, wie es ihr ginge. "Ich bin erschöpft vor lauter Aufgaben", sagte sie und mir gefiel der Satz, auch wenn ich kurz an seiner grammatikalischen Richtigkeit zweifelte, bevor wir müde ins Bett fielen.


Claus - 19.11.99 at 13:22:38




Perfect World 1.14
Finn hatte es eilig, er auch. Zum Abschied gaben sie sich die Hand, so ganz förmlich, als hätten sie eine Abmachung getroffen.
Ein Geräusch ließ ihn aufmerken. Das Gartentor, dachte er und sah aus dem Fenster. Mit der Flasche in der Hand ging er zurück in den Salon. Tatsächlich stand das Tor weit offen. Er durchquerte den Raum und drückte sich an die Wand. Schritte, jemand kam die Terasse hinauf, blickte durch die Scheibe ins Zimmer. Ein schmaler Schatten fiel auf den Tisch und wartete. Er kann mich nicht sehen, dachte Eiseisbaby, ein Nachbar vielleicht. Der Schatten erfror, blieb lange stehen. Mein Wagen, dachte er, verdammt und schloß die Augen.
*


eiseisbaby münchen, bayern - 19.11.99 at 12:41:06




Ein Mann sagt, daß er mich sehr liebt und er sagt es in Spanisch und anderen Worten und weil man es in Mexiko anders sagt. Der Mann meiner Schwester sagt zu mir: "te quiero mucho."
Bernd kommt zu Besuch und bevor er sich gesetzt hat, äußert er schon den Wunsch rauszugehen und fragt, ob ich nicht eine Empfehlung hätte. Ich schlage vor beim Antiquariat in der Raumerstraße vorbeizuschauen und den jüdischen Friedhof in Weissensee zu besuchen. Der Weg wird begleitet von routinierten Gesprächen über Platten, Bücher, Mädchen und Zukunftspläne. Der jüdische Friedhof ist geschlossen, weil, wie Bernd lustig bemerkt, heute Kibbuz ist. Es ist Sonnabend.
"Der Mund der Wahrheit sagt Ihnen: Sie sind weder vorsichtig noch mißtrauisch, sondern herrlich offen. Die Liebe schafft Ihnen viele Möglichkeiten. Ihnen könnte ein kleiner Unfall zustoßen, der aber folgenlos bleibt." Gut, daß die Natur draussen ist und der Wind pfeifft. Sonst käme ich nie mehr auf andere Gedanken.
Dank an Kathrin Glosch, EisEisBaby und Moritz von Uslar (das Udo Interview: groß )


Krause Berlin, Deutschland - 19.11.99 at 12:31:44




Wie jeden Morgen Frankfurt Main Hauptbahnhof.

Auf der Rolltreppe brüllt einer der Junkies ohne Pause:
"Matze, Matze, ich geh schon mal anne Elbe. Ey Matze, hast du gehört, treff' dich anne Elbe."

Er meint die Straße, Elbestraße, nicht den Fluß.
Der Arme.

Sehnsucht nach Wellen.

*


A li ffm, am meer - 19.11.99 at 11:38:53




Rotz und gelbe Galle
am schönsten ist's
im Zug nach Halle


elsbeth a. flensburg, de - 19.11.99 at 10:37:30




Eine dünne Schneedecke zog sich über Nacht über unsere Bäume, über unsere Terrasse, über den Sandweg, über die Bank, die wir schon lange einwintern wollten.
Wir stellten entsetzt fest: Es ist Winter. Keine Ausreden mehr. Keine Fluchten mehr. Wunderbar? Furchtbar? Wir wissen es noch nicht und bis wir es wissen, wird es wieder Frühling sein. Wie jedes Jahr.

Im Nachthemd hüpfte ich zum Briefkasten. Meine Vorahnung bestätigte sich: Die Zeitung war nicht da. Ohne News den düsteren Tag starten! Furchtbar! Dieser Winter! Diese Kälte!
Als ich ins Haus zurück wollte, traf ich die Nachbarin mit ihrem Sohn. Peinlich berührt grüßte ich flüchtig in meinem durchsichtigen Nachthemd. Dann sah ich die leuchtenden Augen dieses kleinen Erdenmensch. Es war der erste Schnee für ihn. Wunderbar! Dieser Winter! Diese Wärme!



K.-Der blaue Hummer München, Bayerische BRD - 19.11.99 at 10:15:08




Eine dünne Schneedecke zog sich über Nacht über unsere Bäume, über unsere Terrasse, über den Sandweg, über die Bank, die wir schon lange einwintern wollten.
Wir stellten entsetzt fest: Es ist Winter. Keine Ausreden mehr. Keine Fluchten mehr. Wunderbar? Furchtbar? Wir wissen es noch nicht und bis wir es wissen, wird es wieder Frühling sein. Wie jedes Jahr.

Im Nachthemd hüpfte ich zum Briefkasten. Meine Vorahnung bestätigte sich: Die Zeitung war nicht da. Ohne News den düsteren Tag starten! Furchtbar! Dieser Winter! Diese Kälte!
Als ich ins Haus zurück wollte, traf ich die Nachbarin mit ihrem Sohn. Peinlich berührt grüßte ich flüchtig in meinem durchsichtigen Nachthemd. Dann sah ich die leuchtenden Augen dieses kleinen Erdenmensch. Es war der erste Schnee für ihn. Wunderbar! Dieser Winter! Diese Wärme!



K.-Der blaue Hummer München, Bayerische BRD - 19.11.99 at 10:14:44




Für S
Neulich war ich in New York. Das ist eine Stadt, was, echt unglaublich!
Einfaches Beispiel: 5te und 20te. 7te und 86te. A und 2te. C und 14te.
Schnittig, was?
Das könnte jetzt ewig so weitergehen. Aber es gibt Wichtigeres: Allein die Tatsache, daß New York niemals schläft - ist das nicht unglaublich? Überall Kaffestuben und Kokskaschemmen. Einmal habe ich in einer Telefonzelle eine Flasche Spanish Fly gefunden. Meine Freundin hat einen Tropfen probiert und ist in der Nacht durchgedreht. Sie musste immer laufen, laufen.
Ist das nicht irre? Sogar Spanish Fly wirkt in New York!
Und die Leute gehen nicht, sie hopsen. Wenn sie behindert sind oder todkrank, dann flutschen sie eben mit Krücken durch die Straßen!
Es gibt kein Problem, für das es keine Lösung gäbe!
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung!
Ja, die Amerikaner haben sprichwörtlich die gute Laune gepachtet.
Selbst die Polizei: Denen ihre Autos machen nicht "Tatü! Tata!" - wie bei uns - sondern "Boom...tschakka tschakka tschakka"! Wenn man auf eine Zigarette auf der Straße raucht und ein Polizist kriegt das mit, dann kommt man gleich ins Gefängnis, "bei Wasser und Brot". Das ist doch toll! Dafür müsste man in Berlin immerhin vermummt sein oder kostümiert.
Man kann wohl sagen, daß es in New York so viele Vorteile gibt, daß man die Nachteile gar nicht mehr sieht!
Oder war es anderherum? Dazu mehr beim nächsten Mal, wenn es um ein noch besseres Thema geht.


Stephanie Berlin, immer noch D - 19.11.99 at 03:23:37




wolf aus flensburg, eine dünnbierkneipe ist halt ein laden, in dem das pils nicht schmeckt...also nicht überholt, sondern durchgelagert. ob mans trinkt oder nicht - was solls - und grauburgunder ist dir auf jeden fall zu empfehlen.

mit jan wagner und hel in der knorre, anschließend in einer kneipe. wir irgendwann - nach zwei stunden oder so - wir gründen irgend ne gruppe oder so und vergeben pro jahr nen lyrikpreis usw usw usw vieles geplant dammdamm geschichte wird gemacht - es geht voran usw. bekannte leute ansprechen, ralf, terezia, julia, bert usw., das schiff in den hafen bringen. dem gesamten prosa-text die poren zeigen und los. und weiter. in die komprimierung. in den text. die verdichtung. das krönen der baustelle.



björn kuhligk berlin, - 19.11.99 at 02:04:45




kathrin glosch - engels-zeilen - wunderbar, sehr schön. sie könnte diesen ganzen loop volltexten und alles wäre gut.

danke durch die nacht nach vielen bieren, a lot of, wie englich man zu sagen pflegt, credits, ist ja immer scheiße das wort und jede menge respekt, ist ja auch scheiße, weil mtv-kompatibel, sag ichs mal im deutsch: schreib ne feine brief-begegnung, ein wechsel, der im wechsel nur gewinnen kann.

meine ansicht zu deutschland wäre eine bestellanstalt


björn kuhligk berlin, - 19.11.99 at 01:52:56




Mit einer einzigen mail und einem 'An alle weiterleiten' Klick habe ich in der Nacht die PC's all meiner Freunde vom Netz getrennt. Selten klangen ihre Telephonstimmen orientierungsloser. Wenn man die Städte, in denen sie nun offline sind, im Atlas mit dem Lineal verbindet, ergibt sich eine geometrische Figur, deren Name ich nicht kenne. Nach Stunden erreiche ich meinen Bruder, den Systemadministrator, am Telephon. Er gibt ein Passwort ein und sieht dann von Wuppertal aus in meinen Rechner. Den Hörer in der Hand, die linke Faust auf der Glasplatte des Tisches, kann ich auf dem Bildschirm zusehen, wie er Fenster öffnet und schliesst, manchmal zögert, mit der Maus Kreise malt. Mein Bruder ein kleiner Pfeil. Wieder und wieder will er wissen, was genau ich gemacht habe, welcher der Rechner Viren haben könnte. Durchs Telephon höre ich, wie er an seiner Zigarette zieht, die Tastatur klickt, ausnahmsweise ist der Hund still.
- Log dich bitte nochmal ein. Und erzähl mir was.
- Weisst du, was 'Erzähl mir was' bei Duras bedeutet? 'Töte mich'.
- Schwester Ka, erzähl doch einfach was aus deinem Leben.
- Du differenzierst immer so subtil.
- Nicht das wieder. Erzähl mir was aus Halle.
- Die Anzeige des Tages?
- Meinetwegen.
- Ah, geht gar nicht, die ist schon in der Datei, und da drinnen bist du ja gerade unterwegs.
- Dann erinner dich halt.
- Ungefähr so: Sonja! Du hast mir am Samstag, 13.11., in der Diskothek 'Fun und Lollipop' deine Telephonnummer gegeben. Diese war leider falsch. Bitte melde dich unter 0177/ und so weiter.
- Fun und Lollipop? Das gibt's nicht.
- In Halle schon. Weisst du doch: In Halle, in Halle, da werden die Dummen nicht alle.
- Und dein Kommentar zur Anzeige des Tages?
- 'Der du da draussen an Täuschung glaubst - mögest du empfangen werden.'
- Was soll das denn heissen?
- Vergiss es.
- Wer jetzt? Der oder ich? Scheisse. Ka, log dich ein, du kippst immer raus.
- Ist es schlimm?
- Schlimmer. Siehst du nicht diese ganzen gelben Warndreiecke und die kleinen roten Kreise?
- Ich seh aus dem Fenster.
- Klar.
- Du hast mir das Ding geschenkt.
- Und so ein kleines pinkfarbenes Ausrufezeichen dazu, da steht 'Böse Viren' drunter. Muss man nur anklicken.
- Admin?
- Log. Ka, Ka das geht nicht. Das geht nicht. Das geht wirklich nicht.

Dann höre ich nichts mehr, nicht einmal das Klicken der Maustaste. Mein Bruder, der Showmaster, zum ersten Mal seit all den Jahren so still wie ich.




kathrin glosch - 19.11.99 at 00:48:19




Tischgespräch

Suppe.
"Du meinst also", sagt Er, "einen komplett freien Text gibt es gar nicht?" "Genau", antwortet Sie, "Text ohne Kontext gibt es nämlich nicht" "Mhh", macht Er, "aber wenn ich doch jetzt einen Text völlig frei erfinde, ohne jeglichen authentischen Einschlag, dann gilt Dein Satz doch nicht!" "Doch natürlich", sagt Sie, "denn selbst beim allerfreiesten Text, bleibt nämlich immer ein bestimmenden Kontext übrig" "Welcher denn?" fragt Er. "Na, Du selber natürlich", sagt Sie und lacht.
Erster Gang.
"Mein Problem ist aber vielmehr", sagt Sie, "daß viele Texte viel, wenn nicht sogar zuviel Sinn ergeben." "Na und?" sagt Er achselzuckend, "freu dich doch darüber." "Nein", entgegnet Sie, "denn die Wirklichkeit gibt nie Sinn." "Nie?" "Nie! Naja, gut, es sei denn jemand besitzt eine göttliche Perspektive, aber die hat halt keiner drauf", sagt Sie und lacht.
Zweiter Gang.
"Pauschalisierst Du nicht mal wieder zu sehr", fragt Er. "Mhh", macht diesmal Sie, "aber sieh mal, ein Text hat Einheit und Stil, die Wirklichkeit höchstens Form. Was zwischen den formalen Aspekten aber geschieht, ist eine recht zufällige Reihung von Sachen, Ereignissen, Angelegenheiten." "Und?" "Und diese Angelegenheiten stehen in keinerlei Beziehung zu irgendwas, eben anders als Angelegenheiten im Text." "Du meinst also", sagt Er, "ein Merkmal der Wirklichkeit ist ihre Beziehungslosigkeit?" "Genau!" "Ich glaube, da hast Du Dich da aber ganz schön verrannt", sagt Er und lacht. "Mag sein", sagt Sie und lacht nicht.
Dritter Gang.
"Ist Dir denn schon mal aufgefallen", sagt Sie, "daß die der Wirklichkeit am nächsten kommenden Romane als die am wenigsten wahren gelten?" "Nein, ist mir nicht aufgefallen und ich glaub auch nicht, daß man das so sagen kann", antwortet Er und fügt hinzu: "Aber wenn ich Deine gesamte Argumentation umdrehe, so müßte doch der Roman, der der Wirklichkeit am nächsten kommt, derjenige sein, der am wenigsten Sinn macht?" Sie sieht ihn an, nickt zögernd, sagt aber nix. Beide lachen nicht.
Dessert.
Er: "Noch einen Nachtisch?"
Sie: "Nein, besser einen digestif."
Er: "Ich glaub, den brauchst Du wirklich!"
Sie: "......"


Aspera, And it is NOT a question of bambification! BN/BRD, - 18.11.99 at 22:11:05




Freunde der Buchstaben, bitte beachtet den neuen Text: Warum, an der Seite. Fast jeder bekommt ein Passwort, gerne und da es so viele sind ist es nur auf Zeit. Roger?
Grüße, Yours


Sven*pool - 18.11.99 at 21:53:42




Der Grund für die Entscheidung, einen Aids-Test machen zu lassen, liegt jetzt ca. 4 Monate zurück und wahrscheinlich im Moment mit
jemand anderem im Bett - ich hatte seit damals keinen Sex mehr. "Damals" war ich in Hamburg und habe eine Nacht mit einer Frau
verbracht, deren Namen ich jetzt nicht mal mehr weiß - grandioser Filmriß. Man kennt das ja: Alkohol, die Lust, das Laster, die
verschwundenen Geldscheine. Daher habe ich damals beschlossen, in den darauf folgenden 4 Monaten keinen Sex mehr zu haben, weil
man diese Zeit warten sollte, damit der Test eine sichere Aussage treffen kann. Daraufhin bin ich also heute zum Gesundheitsamt, wo man
einen anonymen und kostenlosen Test machen kann - treffenderweise befinden sich die Aids-Beratungs- und Test-Büros im Keller - wenn
schon runterziehen, dann aber auch ordentlich. Erstmal warten (das kenne ich ja schon), neben mir sitzt ein Mann, SEHR nervös. Er zittert
mit dem linken Bein, raucht Kette, ich schaue ihn an, er blickt mir kurz in die Augen, dreht sich aber direkt wieder zur anderen
Seite. Auf seiner Nase fangen die kleinen Schweißperlen das weiße Deckenlicht auf. Er hat wahrscheinlich einen zweiten Test
gemacht, um sicher zu gehen, und wartet nun darauf, hineingerufen zu werden. Aber zuerst bin ich dran, da eine Tür aufgeht und eine
Frau mich mit dem Satz bloßstellt: "Jemand zum Test?". "Ja", sage ich und folge ihr. Sie klärt mich ein wenig auf, vor allem darüber, daß
es eine komplette Woche dauert, bis das Ergebnis vorliegt. Der Postweg. Jaja. Das wußte ich aber auch schon vorher, da ich mir
einige Seiten dazu durchgelesen habe, denn es gibt ja immer diese schönen Poster an der Wand des Wartezimmers. Man wird eigentlich
von den Bildern und Zeichnungen auf diesen Postern noch viel kranker als man ohnehin wahrscheinlich schon ist. Während sie mir
Blut aus dem rechten Arm abnimmt, und ich nicht ertrage, wenn mir jemand irgendetwas irgendwo in den Körper sticht, starre ich in
ihren Ausschnitt, da ich die Poster ja schon auswendig gelernt habe - sie hat einen creme-farbenen BH an und sie hat sehr kleine
Brüste. Ich gebe zu, eine eher platte Schilderung, aber sie hatte einen weit ausgeschnittenen V-Ausschnitt, da mußte man(n) einfach
reingucken. Frauen schauen doch auch jede andere Frau von oben bis unten an. Jedenfalls beobachte ich das immer sehr gerne in
Bussen/Bahnen, wenn eine Frau vor mir steht/sitzt, eine andere Frau betritt den Raum und der Blick der ersten Frau geht von unten
nach oben. Dann würde ich gerne wissen, WAS sie denn jetzt gerade im Moment denkt. Denken mußte ich beim Anblick der Brüste
auch wieder an den Grund. Der Grund hatte auch kleine Brüste. Nach ein paar Minuten war jedenfalls alles vorbei, ich habe ein wenig
Blut gelassen, einen Zettel mit einer Nummer und einem "männlich"-Zeichen bekommen und kann mir das Ergebnis nächste Woche
Mittwoch abholen - persönlich, bei einem Gespräch. Sie fragte noch, ob ich diese Warte-Woche wohl überstehen würde, oder ob ich
Hilfe bräuchte - ich käme zurecht, antwortete ich ihr. Mal sehen. Mein Arm schmerzt ein wenig vom Einstich. Meine Seele
sowieso. Oder kommt das von dem blutroten Wein, den ich intus habe?!? Ich denke, ich werde jetzt die "OK Computer" von
Radiohead einlegen, nur die langsamen Lieder einprogrammieren, mich dann auf den Boden legen und an die Decke
starren. Eine Woche lang.


David Dortmund, D-Land - 18.11.99 at 21:50:44




eine bayerische beton-uni kurz vor den sieben bergen. das
goldene kreuz. endlose debatten über den sinn des unsinns,
eine stadtführung und kalte füße. uschi hat aber vergessen,
wieso der teufel in die donau gesprungen ist. macht nix. earl
grey zum abendessen. schlecht geträumt in einer kalten fremden
wohnung. der typ hat tatsächlich die aquarelle von der mutti in
der küche aufgehängt. olivenöl und aceto balsamico di modena,
wohin man sieht. toscana TM. polierter edelstahl als rahmen für
eine sehr dauergewellte sehr ehe frau. Dann wieder uni, ohne
frühstück. Probieren Sie Doch Mal Moccacino. Getränk 7 wird jetzt
zubereitet. Danke, sehr freundlich.
Ich träume vom wettstreit zwischen dem dombaumeister und dem
brückenbaumeister...


melini in gedanken, D - 18.11.99 at 19:11:03




Also, die Geschichte von Elsbeth hat mich erschreckt; nicht daß Elsbeth daran Schuld gewesen sein könnte, nein, sie wäre mir genauso sympathisch gewesen, wenn sie ihre Zähne herausgenommen hätte, wie es meine Großmutter tat, wenn ich sie darum bat, weil sie, während sie Strampelhosen strickte, bei jeder Masche ein knackendes Geräusch mit den Zähnen von sich gab, daß ich glaubte, sie würde ihr Gebiß zerbrechen. Nur gut, daß Elsbeth nicht gemerkt hat, wie betrunken ihr Gegenüber war; aber das ist es nicht, was ich sagen will, vielmehr, daß man mit sowenig Menschenliebe wohl keine Geschichten über alte Leute und kleine Kinder zustande bringt. Oder was soll man zu "Schokolade fressenden" Kindern sagen.
Ich hab' mal in einem Altenheim gearbeitet, nein, es war ein Pflegeheim; die Menschen dort waren also nicht nur alt; während einer Schicht mußte ich mehrmals zu einer Frau, die wiederholt ihren Kot in eine Urinflasche stopfte und auch noch die Wände damit bemalte; sie hielt mir ihre mit Kot beschmutzen Hände hin und weinte, früher sei alles anders gewesen, sagte sie dabei immer wieder, "Ja früher", sagte ich, "da hatten sie auch noch diese schönen Urinflaschen aus Glas." Und da lachten wir beide.
Eigentlich wollte ich nur sagen, daß ich den Schluß des Textes über Elbeth treffend fand, ...da hatte ich meine Geschichte. Ja, so ist es wohl; es ist Deine Geschichte, und nur Deine.


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 18.11.99 at 18:42:51




In der Theodor-von-Zahn-Straße ist der Bürgersteig an einer Stelle von innen heraus nach oben gedrückt worden, seine Oberfläche ist aufgebrochen. Zwischen den einzelnen Pflastersteinen quillt eine stinkende, braune Brühe fast sprudelnd hervor und überschwemmt die ganze Straße.
Am nächsten Morgen stehen zwei Bauarbeiter wortlos und kopfschüttelnd vor dem Loch; einer schiebt mit seiner Schaufel zögerlich zwei Steine vom Rand weg. Der andere haucht seine eisigen Finger an.
Mittags ist der Bürgersteig großzügig abgesperrt und kein Mensch in der Nähe. Quer über der Öffnung liegt ein Stück Bauzaun - als könne die bedrohliche Flüssigkeit dann nicht mehr über die Ränder treten.
Einen Tag später stehen drei Ingenieure mit betroffenen Gesichtern im Schneegestöber um die Grube. Auf ihren Schultern und Köpfen bleiben die dicken Schneeflocken einen Moment lang liegen.


Triticea, sehr wohl begreifend, weshalb sie noch in Franken ist - 18.11.99 at 18:15:08




Also, lieber Björn K., ich finde es ja nicht so kreativ, sich in seine eigenen Worte zu verlieben; das mit der Dünnbierkneipe kommt mir ziemlich abgestanden entgegen; das war doch schon einige Male da; und mit zuviel Grauburgunder in den Zellen läßt sich, glaub' ich, auch nicht so gut denken.


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 18.11.99 at 17:25:25




1
neben mir saß eine süße französin, die in ihrer verzweiflung etwas sehr wahres über computer sagte.
ich will das jetzt nicht wortgetreu wiedergeben, aber sie hatte verdammt recht. so verweigerte der donnerstag
auch mir den besuch im schwimbecken.
also stand ich auf und verließ die von eifrigen schreibhänden zum schnattern gebrachten tastaturen, die
auch in der nacht in diesen hohen räumen verweilten, und ging auf die straße.

2
ging also durch die fußgängerzone der stadt, die sich neuerdings für den nabel der welt hält, mit ihrer skyline und dem europäischen tresor.
ein saukalter wind bläst starre in die gesichter, die menschen haben ihre schultern über die ohren gezogen und hetzen unzufrieden durch die
grüngülden geschmückte vorweihnachtliche welt. ich war froh, dem ganzen nicht verfallen zu sein. erst ab dezember wollte ich dem
alljährlich wiederkehrenden wahnsinn beiwohnen, und dann aber auch nur im geringstmöglichen umfang.
ich haßte das.
das wetter liebte ich. diese stimmung, dieses licht. ich war entspannt, trotz meiner niederlage am computer.
die blitzblanken schaufenster glänzten grüngülden, durchzogen von rot, hie und da leuchteten unnütze dinge in rosa und hellblau, dudeldudel
lullt uns ein und die geldautomaten geben nur noch einen mindestbetrag von hundert mark aus.
das haben sich bestimmt die chefs der produzierenden und der geldgebenden betriebe ausgedacht, morgens beim golf oder tennismatch.
"du, was ich mir überlegt habt, ihr könntet doch eure geldautomaten in der weihnachtszeit, du weißt schon was ich meine usw...
ein entgegenkommen meinerseits folgt natürlich, ganz klar, usw..."
ein schelmisches grinsen besiegelt den teuflischen pakt, danach knallen bmw-türen und zwanzig minuten später sind zwei sessel in etagenbüros
besetzt.

3
etwa zwanzig meter unter einem solchen büro stehe ich und spiegele mich in den scheiben der schaufenster.
ich beschließe, weiterzugehen, mich dem wahnsinn zu entziehen, da klopft es auf meine schulter.
"mensch, dimitri, das ist ja eine überraschung. wie geht es dir denn?" es war stehan, nicht stephan, sondern stehan, er bestand darauf.
"mensch, stehan, komm mir doch nicht dem blöden gerede aus der werbung." er nervte mich schon durch seine bloße anwesenheit.
"aber, guten freunden gibt man..." ich unterbrach ihn, als er seine hand zur hosentasche führte.
"hier, laß stecken, stehan, ich eß kein süß mehr."
ich hätte natürlich viel lieber den nackten jürgen getroffen, um ihm eine fanta zu spendieren, er liebte fanta, aber ich traf stehan.
nein, er traf mich.
"och, dimitri, hast du nicht eine minute zeit?" er faßte mich geknickt an der schulter und sah mich mit diesem blick an, der einen einfach fertig macht.
"ok, stehan, was machst du so?" ich gab mir mühe, besonders genervt zu klingen, um seine äußerst unsensiblen fühler für die laune der anderen menschen
empfänglich zu machen.
"also, ich habe jetzt eine eigene armbanduhr mit digitalen zahlen, schau her, es ist jetzt 16:16 und 12 sekunden, und,..." er hob den kopf feierlich, sein hals schwoll
etwas an, "ich habe ein eigenes handy, ein diensthandy, jawohl. und hier, ..." es folgte eine erneute pause, er hob den kopf wieder feierlich, ließ diesmal
seine stirn etwas hervortreten, "mein stand, mein dienststand. ich habe nämlich arbeit. und ich verkaufe, jawohl, verkaufe bremsbeläge für fahrräder und," noch eine
feierliche pause, " für fahrradanhänger."
wie ein dem wahnsinn naher könig stand er vor mir.
"weißt du, alles was in der welt in bewegung gesetzt wird, muß ja auch wieder zum stehen gebracht werden, und ich, ich trage meinen teil zu diesem wunderbaren
ganzen bei, ich verkaufe bremskraft, die möglichkeit, dinge anhalten zu können."
nach einer pause des durchatmens fragte er mich aus der tiefe seiner augenhöhlen:
"und du, was machst du?"
"och, ich, naja," ich wollte ihn richtig heiß machen, ließ ihn in dieser für mich feierlichen pause zappeln, um dann zuschlagen zu können, "also ich studiere medizin und
jura in paris, bin gerade hier in der city auf einer tagung für nachwuchstalente aus dem gerichtsmedizinischen bereich, und wollte noch kurz was shoppen, bevor mein
flieger geht. ansonsten rauschendes leben, rattenscharfe mädels, die gerade mal "brot" oder "pipi" sagen können, aber durchaus repräsentativ sind. nun, die kleinen
freuden des lebens eben."
stehan stand vor mir, still und bleich, seine augen hatten keinen hunger mehr, und aus seinen hosenbeinen kam eine flüssigkeit getropft, die dampfte, als sie sich auf dem
asphalt verteilte. hinter ihm ein plakat mit der aufschrift "wer liebt, dem wachsen flügel".
ich klopfte ihm auf die schulter und sagte, ich müsse los. er nickte stumm, bewegte sich aber nicht.

nach ein paar metern dachte ich mir, warum ich jedem arsch erzählen sollte, was ich mache. meine gründe für die tatsache, daß ich nicht das mache, was ich vorgebe, zu tun,
muß ich niemandem darlegen. keine rechenschaft.
ist sowieso alles nur schein. meine stimme klingt außen anders als innen.
da fängt es doch schon an.


dimitri tindi, hd,, d - 18.11.99 at 17:22:57




Die Geburt des TEXTES aus dem Schnipsel? Nein.
TEXT ist die Stimme, die schwieg.

Gestern sollte Rolf Hochhuth in Halle lesen. Die Karte mit gemischten Gefühlen bezahlt. Am Abend dann ist niemand da. Kein Autor, kein Publikum, kein Veranstalter. Ich bin ratlos, mein roter Schal wärmt nicht. Wenig später kommen ein Mann und eine Frau, kennen einen Seiteneingang. Drinnen steht der Veranstalter zwar vor dem Hochhuthplakat, weiss aber nichts von einer Lesung. Immer wieder sehen wir auf die Karten in unseren Händen. Wir hätten Ihnen schon zugehört, Herr Hochhuth, wir drei hier so in Halle. Stattdessen gehen wir ins N8. Die Frau heisst Susanne, kommt aus Hamburg, hat einen schwarzen Pudel und kennt alle Sissifilme auswendig, er ist Hallenser und spricht an diesem Abend mehr Menschen an als ich in einem ganzen Jahr. Was ich statt Lesung höre: eine Scheidung, drei Firmengründungen, eine Kampftaucherausbildung, ein behindertes und ein verlassenes Kind, eine Alkoholikerin, ein Sissi-Romantikwochenende in Süddeutschland, die Renovierung eines Gutshofes in Mecklenburg (oder war es die Prignitz?), einen schattenwerfenden irischen Wolfshund, einmal Esoterik und eine Friedrichsstadtpalasttänzerin.
Draussen sitzt, in eine rotblaukarierte Decke gehüllt, ein blonder Junge und schnorrt, aber vielleicht bin das auch ich.

Als es dann gegen 4:00 Uhr endlich zu schneien beginnt und sich die Zweige des Kastanienbaumes den Kristallen entgegenstrecken, weiss ich es: ich fahre nicht mit dir nach Korsika. Auf einer Insel gelten andere Spielregeln als auf dem Festland, aber ich ziehe meine Figur aus dem Feld. Nicht die Möglichkeit einer Möglichkeit möchte ich haben, dieses noch einmal zu fühlen: nachts auf einem Flughafen, alleine, wartend, und bei dem letzten Aufruf des Fluges flattern unsere Namen durch die Halle wie zwei Tauben, die sich in ein Bahnhofsgebäude wagten und nun den Ausgang nicht mehr finden.


kathrin glosch - 18.11.99 at 14:00:00




verrafft. krass verrafft.
kaputt. krass kaputt.

während die gäste von dem hiddentrack mit kotzgeräuschen und dem flackernden strobo geschockt sind,
breche ich lachend zusammen.

degeneriert. krass degeneriert.
gesunken. tief gesunken.

diese verdammte jacke saugt sich voll wie ein schwamm. frierend und nass betrete ich das gebäude.
der weg hat sich gelohnt. ich sehe sie, sie sieht mich. aneinander vorbei.

kippen. zu viele kippen.
alkohol. zu viel alkohol.

hinter der wirklichkeit liegt eine wirklichkeit, in der ich mich mal befand.
unerreichbar.



seventh son - 18.11.99 at 12:16:03




Reisenotizen aus der Realität

Elsbeth
Sie ist eine von jenen älteren Personen, die immer ein wenig mürrisch aussehen, weil sie ihr Gebiß im Mund herumschieben. Und sie läßt sich jedes Klischee, das ich ihr hinhalte, bereitwillig überstülpen. Als wärs mit alldem nicht getan, erzählt sie mir, wieviel besser es ihr geht, seit sie ihr Leben dem Herrn Jesus gewidmet hat, als wär das alles nicht genug, erzählt sie mir Rührseliges über die dankbaren Augen der Menschen im Altersheim. Da sitzt sie neben mir auf dieser Plastikschale, in der neonerleuchteten Nachtwelt der S-Bahn-Haltestelle, erzählt mir von ihren Stickereien, ihrem Gobelinkissen, mit dem traurigen Frauenportrait, wie traurig die Frau schaut in der alten Tracht, das gefällt ihr wohl, die junge schöne Frau, nicht wild und aufbegehrend, sondern mild und melancholisch. Immer schön brav und ruhig und Frauen und sticken, wenn sie wüßte, denke ich, wem sie hier gegenübersitzt, wieviel ich gesoffen hab, welchen Schädel ich hab und wie wehrlos ich bin.
Sie hat es überhaupt mit dem Melancholischen, schreibt Gedichte über irgendeinen Bach im Schwarzwald, wie sie da saß und dem Bach lauschte, und da erzählte der Bach eine Geschichte, sie brauchte nur noch mitzuschreiben (sie schloß wohl öfter von sich auf andere) jedenfalls, so war das mit dem Bach. Nach dem Urlaub schickt sie das Ergebnis an die dortige Gemeindeverwaltung, nichtsahnend, daß das Machwerk von der Sekretärin längst als Kuriosum über dem Kopierer aufgehängt wurde. Aber das weiß ich, das ahnt ihr wohl auch, aber ich nicke freundlich und lasse mir erzählen, wie sie Geschichten erfindet für ihren Enkel, wahrscheinlich irgendein vollgefressenes Balg mit roten Fettbacken, das der Oma zuhört und dann die Geschenke einfordert, Kinder sind so, hören zu und warten auf das Bonbon, sind süß und lieb und wollen Schokolade dafür, das weiß ich, das ahnt ihr wohl auch. Die Geschichte hatte was mit einem einsamen Schneemann zu tun, der war so traurig, das erkannte das Kind auch, und die Oma fand das unwahrscheinlich, daß das Kind das erkannte, Omas sind leicht zu beeindrucken und dann gibt's Geschenke. Leicht zu beeindrucken von Bälgern und melancholischen jungen Frauen, von Bächen im Schwarzwald, und von diesem verdammten Sonnenuntergang, auch im Schwarzwald, mit vielen Bäumen und Bergen und was-weiß-ich-noch-was als Staffage. Da mußte sie dann gleich, die spontane Rührung ihrer Altfrauenseele auf Papier bannend, ein Gedicht schreiben, und im Schwarzwald gibt es Gegenden, da stehen diese Holzhäuschen herum, das kennt man aus dem Fernsehen, und auf jedem Balkon sitzt abends eine alte Frau und ist gerührt und dann zücken sie Kugelschreiber und Notizblock und dann wird Poesie geschmiedet, mit Herz und Empfinden und Seele und Schmerz und vergangenen Tagen und Jugend und Schönheit und Wahrhaftigkeit und Ehrfurcht und Schöpfung und dem Herrn Jesus, dann legt sich die milde Schwarzwaldabendsonne auf ihre pergamentenen Wangen und taucht sie in rotes Licht wie verblühte Jugend. Und doch ist es Abend, und die heranrückende Dunkelheit greift mit scharfen Klauen nach ihnen, die Nacht frißt alte Weiber.
Und wie die dichterische Schönheit das schwache Herz läutert, wie sich der wäßrige Blick hinter dicken Brillengläsern auf die S-Bahn-Anzeigentafel heftet, da nimmt sie den nächsten Zug nach Hause und denkt an den Enkel und nur an ihn, denn der Rest der Familie kann ihr gestohlen bleiben, denen liest sie keins ihrer Gedichte vor, denen nicht, die haben sie nur unterdrückt, wo sie konnten, mit denen ist sie fertig, es ging nur so, so, so: Und sie schlägt ihre Faust nach unten, daß die Gartenblumen in der Hand Blütenblätter lassen (wahrscheinlich hat sie immer Blumen dabei, falls ein trauriges Herz am Wegesrand seiner Erfreuung harrt, wie Frau Sommer mit der Jacobspackung, gehen wir mal ein Familienfest retten heut!), und zornig erbebt das Grün, immer hat man sie klein gehalten, nie ernst genommen, doch jetzt ist alles anders, jetzt wächst ihre Seele ins unermeßliche, jetzt, mit der Hilfe des Herrn Jesus, und mir wird ein bißchen bange vor der monströsen Frauenseele, die mit göttlicher Hilfe über ihre Familie hinwegwalzt, mit apokalyptischer Gewalt furchtbare Rache nimmt an den Ihrigen, mit Gartenblumensträußen auf sie eindreschend im Namen der Harmonie. Nur nicht auf das Enkelkind, wie niedlich, rein, unverdorben, Schokolade fressend.
Sie können sich gar nicht vorstellen, sagt sie, und beugt sich zu mir herüber (was aber nicht nötig ist, denn alle hören mit, man bekommt nicht alle Tage eine Lebensgeschichte auf dem Silbertablett präsentiert) also, sie können sich nicht vorstellen, diese Dankbarkeit, das kennt man von den Menschen sonst gar nicht. Da hat sie also im Altersheim ein Kaffetrinken veranstaltet, zum Erntedank, das war kürzlich, da hat sie sich solche Mühe gegeben, denn sie bastelt ja auch gerne, sie ist schon sehr kreativ, macht viel mit Strohblumen (was weiß ich, was man mit Stohblumen alles machen kann), aber keine Strohblumen fürs Altersheim, denn es war Erntedank, und da muß Wein her, Weinreben, die findet man an der Mauer der Hoechst-AG, und dann müssen Äpfel her, und Nüsse. Nüsse gab es zu kaufen, aber keine schönen Äpfel, nur dieses künstliche, gewachste Zeug aus Hinteranatolien oder von sonstwoher, keine schönen, heimischen Äpfel. Und unglücklich ging sie nach Hause, mit Nüssen und Wein, aber ohne Äpfel, und da wäre beinahe der Nachmittag geplatzt. Aber wie der Nachbar kommt und jammert, Elsbeth, jammert er, sie können sich nicht vorstellen! In meinem Garten, der Apfelbaum, der biegt sich ja, so schwer ist er, voller Äpfel! Ich weiß gar nicht, wohin mit denen! Da hat die Elsbeth einen Schrei getan und ja! Da war der Kaffeenachmittag gerettet, da ist ihr wirklich ein kleines Wunder passiert. Im Altersheim gabs Weinreben auf dem Tisch, schön dekoriert, mit Kerzen, ganz liebevoll, und Nüsse, nur zur Dekoration, denn die harten Nüsse, das können die Alten ja gar nicht mehr beißen, und die schönsten, rotbackigen Gartenäpfel gab's, die man sich nur vorstellen konnte. Wie froh war dann der Elsbeth ums Herz, als hinterher einer der Alten zu ihr kam und meinte, das wären ja Äpfel wie früher, sowas hätte er seit dreißig Jahren nicht mehr gegessen, saftig, süß, nicht so gritzegrün und sauer wie das Zeug, was man sonst bekommt, ja, das waren Äpfel wie früher, das war sein schönstes Erntedank. Und sie können sich nicht vorstellen, ja, wenn man eine Aufgabe hat, und wieviel Dankbarkeit einem da entgegenschlägt! sagt die Elsbeth, das ist mit Geld gar nicht wiedergutzumachen. Und das war so nett, mit ihnen zu reden.
Jaja, mit ihnen auch, sag ich, und hab meine Geschichte.


andrea frankfurt, - 18.11.99 at 11:05:43




ich erkenne dich nicht
du erkennst mich nicht
wir bleiben verborgen
in der wüste unserer feigheit


nal, berlin, - 18.11.99 at 10:39:29




Ein paar Flocken Schnee taumelten durch das Bild im Fensterrahmen, das wir hier, wo wir saßen, draussen nannten und regten unser Gespräch über den bevorstehenden Winter an. Kurze Zeit später, der Winter in unserem Gespräch war schon vorbei, hatte sich der Schnee in Regen verwandelt und trommelte auf den Mülltonnen im Hof ein unruhiges Lied. Sonne, sagten die Metereologen, sei für die nächsten Tage nicht zu erwarten, hörte ich im Fernsehen im Bett.
Fragen im Fernsehen: Was erzähle ich meinen Enkeln? Was ist mit deiner Einsamkeit? Wieso steht dieser Tisch eigentlich hier? Woran liegt das, daß ich nie erfahre, was hier eigentlich gespielt wird? Befehle im Fernsehen: Nimm mich in den Arm! Mach den Grill aus!


Claus - 18.11.99 at 10:27:27




"Ich bin der Neue und komme jetzt öfter", pflegte man zu sagen, da wo ich herstammme, um die Farbpalette der inneren Spannung nicht aufs Gesicht gemalt zu bekommen; mag sein, daß es ein Vorteil ist, hier nicht gesehen zu werden... Wie dem auch sei; während der Wartezeit auf meinen hiesigen "Schreibauftritt" war ich immer wieder in loop auf der suche nach dieser wilden weiblichen Stimme aus Amerika, die sich mal von dem einen und mal von dem anderen Ort jenseits des "großen Teiches" meldete, und es war für mich, als legte ich mein Ohr an eine große Meeresmuschel; cardiidae, cardiidae... wie ein Gesang zuweilen, und dann wieder Sturm und Flut; ich ließ die Muschel fallen; es war spät und ich konnte nicht einschlafen. Vielleicht antworte ich Dir bald, unbändige Frau; mal sehen, ob ich Deine Worte wiederfinde.
Wolf Steinhardt- Flensburg


Wolf Steinhardt Flensburg, Deutschland - 18.11.99 at 10:12:58




Dies hier ist für TRITICEA und überhaupt für alle, die auch in solchen rechteckigen Städten leben müssen und nicht recht begreifen wieso :

Unbehaglich wie man sich andererseits fühlen könnte, wenn man gezwungen wäre, voll barocken Lebensgefühls einen weiten, zugigen und ungegliederten Platz zu überqueren, dem nämlich im Gegensatz zu den gewohnten Anlagen an seinen Rändern jede Begrenzung oder sagen wir Kulisse fehlt, Rändern, die ihrerseits ohnehin unsichtbar blieben, wenn sie nicht doch von diesem körperlosen Maschendrahtzaun markiert würden, der aber niemals Schutz vor Stürmen und Greifvögeln bieten und damit halbwegs das ersetzen könnte, was man in der Erinnerung mit Vorstellungen wie Säulenarkade oder Eichenhain zu verbinden gewohnt ist.
Wie wenn man nun, auf seinem Fahrrad sitzend, sich der Notwendigkeit bewusst wäre, einen solchen sagen wir quadratischen Platz diagonal zu überqueren, ohne zu seiner Orientierung die sonst üblichen Achsen, Fahrbahnmarkierungen, Obelisken, Funkfeuer und Fontainen vorzufinden, als einzige Maßgabe nur das, was von der Betrachtung eines stark abstrahierenden Planes im Gedächtnis geblieben sein mag ?
Zwei Radfahrer, die in zwei beliebigen Ecken eines quadratischen Platzes zur gleichen Zeit, auf gerader Linie und in gleicher Geschwindigkeit daran gehen, auf die jeweils gegenüberliegende Ecke des Platzes loszufahren, werden im Mittelpunkt des Platzes einen Zusammenstoß erleiden. Für den Fall, dass es zu keinem Zusammenstoß kommt, kann man davon ausgehen, dass durch einen schwer vorhersehbaren Zufall beide Radfahrer in der selben Ecke gestartet und daher, Präzision vorausgesetzt, miteinander identisch sind.
Man kann natürlich auch umgekehrt den Mittelpunkt des Platzes gerade so definieren, dass es sich dabei um die Stelle handelt, an der bei gewitterigem Wetter nicht nur Blitze einschlagen und bei heiterem Himmel so manches Rumpelstilzchen tanzt, sondern wo auch aus schwer zu durchschauenden Gründen immer wieder Radfahrer in Verkehrsunfälle verwickelt werden, falls nicht eine übergeordnete Stelle diesem Treiben dadurch ein Ende bereitet, dass sie ganau hier einen Löwenbrunnen oder sagen wir eher eine Stufenpyramide errichtet.
Oft handelt es sich bei dem derart ungewohnt nützlichen Mahnmal auch um eine disziplinlos ausufernde Bauform, die durch die wie gesagt nur scheinbare Nutzlosigkeit ihrer Steinmassen einem auf ihr ruhenden oder reitenden und in Bronce erstarrten eisernen Kanzler oder einem zu Recht vergessenen dickbäuchigen Potentaten die unerlässliche Würde verleiht, wenn er mit weitausholenden Armbewegungen Schnee von gestern deklamiert.
Landesväterchen Stoiber schön und gut, aber erinnert sich überhaupt noch jemand etwa an die Nachrüstungsdebatte ? Wenn erst der eisblaue Himmel sein strahlendes Gestirn ausspeit, werden Tausende heiß zuckender Froschweibchen in die Salzsümpfe springen, deren Sud die strontiumstarren Kadaver abschirmt für Sekunden. Spätere Stunden bleiben schaudernd aus, wie auch ein Publikum, an das solche Worte sich vielleicht richten ließen, wenn der eigentlich seinen Massen zugedachte Platz nicht von falschparkenden Kraftfahrzeugen eingenommen würde, denen der landesväterlich gen Himmel gereckte Arm allenfalls einen gewissen Blitzschutz gewähren könnte, der ja in den Policen oft nicht enthalten ist.
Im Augenblick scheint aber dort oben die Sonne zwischen Schneewolkenfetzen. Himmel himmelt, Fliegen fliegen. Vögel, möchte man einwerfen, sind auch dort oben. Eine ganz kleine weiße Wolke wolkt über das himmelblaue Plattencover, ohne dabei übermäßig abgedroschen zu wirken : Hey du !


Hippi, überall, vor allem Deutschland - 18.11.99 at 10:01:46




"flügel habe ich doch auch",
sagte der pechvogel
und stiess sich den kopf an der kalten fensterscheibe.


wiebke köln, - 18.11.99 at 09:18:33




Mover Shaker und was ist sonst noch los?

Regen in L.A. Anlaß zur Freude. Blumen, Bäume, Scheißhaufen entwickeln endlich wieder ihren eigenen Duft. Die ewige Sonne ist eh nur ein Vorwand die nagelneuen, schneeweißen Zähne zu blecken. "It's nice to meet you."

2 Uhr nachts. Glens Kopf dreht sich vor Müdigkeit. Ein langer Tag. Alles Schau dieses Showgeschäft. In Wirklichkeit spazieren alle brav wie die Heinzelmännchen in die Kohlengrube und malochen. Ans Werk und ab in die Tiefe. (Glen ist heute böse.) Abends werden sie wieder ausgespuckt, rußgeschwärzt. Manche schaffen es nicht ganz und bleiben für immer im Dunkeln.

Also, es ist spät und Glen legt sich hin. Glen denkt sich: "Mir dreht sich der Kopf.", aber nicht wirklich. Es dreht sich das HAUS. Ab da läuft Glen auf Autopilot. Ein Hochweitsprung zur Tür. Im Vorbeiflug greift man sich noch schnell ein T-shirt und Shorts - IRGEND ETWAS, VERDAMMT - und steht dann schlotternd unter den knarrenden Palmen.

Das Wackeln ist gar nicht schlimm. Ehrlich. Eigentlich ist es sogar sehr schön. Es kribbelt so nett im Bauch. Glen fühlt sich richtig geborgen und setzt sich auf die Treppe. Eine Frau führt ihren verschreckten Hund spazieren. "Hi, did you feel it?" Glen nickt stolz. Die Frau verabschiedet sich. "Well, it was nice to meet you." Glen: "It was nice to meet you." "No, it was nice to meet YOU." Glen: "Really, I enjoyed meeting you." Die Frau zerrt verstört ihren Hund weiter.

Glen geht wieder ins Haus und schläft die ganze Nacht im Sessel neben der Tür.



glen los angeles, USA - 18.11.99 at 01:48:19

 

 


plutouranus von alinia per pool, - 17.11.99 at 22:56:39




In der Nacht wache ich immer wieder völlig naßgeschwitzt auf. Den Ventilator über dem Bett kann ich nicht anmachen, weil ich daran das Moskitonetz befestigt habe. Später, am Morgen, dringt Straßenlärm in das Zimmer und durch das Fenster sehe ich unzählige Geier am Himmel über Dakar kreisen.

In Anbetracht der letzten Nacht und der ungewohnten Hitze will ich diesen Tag ganz gemächlich verbringen. Ich sortiere meine Sachen ein wenig, ziehe mich an und gehe runter zur Rezeption, wo jetzt ein anderer Mann arbeitet als in der letzten Nacht. Ich vereinbare mit ihm, dass ich das Zimmer für weitere fünf Nächte behalte und trete raus auf die Straße vor dem Hotel.

Alles ist jetzt völlig verändert. Zahlreiche Menschen, meistens traditionell gekleidet, beleben die Straße und an jeder Ecke wird irgendetwas zum Verkauf angeboten.

Ein kleiner Junge nimmt meine Hand und bittet mich um ein Geschenk. Ich sage kurz nein, streiche ihm mit der Hand über den geschorenen Kopf und gehe dann, sein weiteres Bitten ignorierend, weiter. Mein erster Weg führt mich in eine Bank, wo ich etwas Geld umtausche und mich erkundige, wo ich mit Kreditkarte Geld abheben kann. Im Anschluß kaufe ich mir auf dem Rückweg zum Hotel noch Mineralwasser und etwas Gebäck.


elmodem muc, de - 17.11.99 at 21:51:27




die bahnstrecke von köln nach mainz: so muß, sollte, könnte deutschland sein und es wär ok, sogar: gut.
am sonntag am rhein entlang. die hügel links und rechts: noch grün. nebel, grüner nebel.
der rhein: grau. als ich auch noch einen schwan sehe, muß ich lachen.
an der loreley.
ich weiß nicht, warum alle leute immer mit dem gesicht in fahrtrichtung sitzen wollen.
so sieht man doch direkt alles, was auf einen zukommt.
metapher, achtung!: auf das leben. sie wollen wissen, was kommt.
viel geiler: zurückgucken und erinnern.
dazu, perfekt und vielen, vielen dank, rainald goetz:
ABFALL


alexander runte münchen, - 17.11.99 at 18:41:38




Wir neckten uns müde im Bett. Ich zog Clara am Ohr und sagte, dass ich das bitte kaufen wolle. Sie sagte, das sei nicht zu verkaufen, ich möge doch bitte woanders fragen. Sie drehte ihren Kopf und ich fragte in ihr anderes Ohr. Dort erhielt ich die Auskunft, es sei niemand zu Hause. Im Bauchnabel war alles schon ausverkauft. In der Achselhöhle merkte ich, dass ich überhaupt keine Geld dabei hatte und meine Hose war auch schon weg. Wir einigten uns auf Küsse. Ich dachte an neuere deutsche Beziehungskomödien und fühlte mich nur noch halb so wohl.


Claus - 17.11.99 at 17:51:14




Perfect World 1.13

Eiseisbaby ging weiter zum Salon, der durch eine Schiebetür vom Wohnzimmer getrennt war. Die Türe liess sich kaum bewegen, irgendetwas klemmte. Mit einem Ruck gelang es ihm, einen Spalt zu öffnen. Er atmete aus und zwängte sich durch die Lücke.
Auf dem Holztisch stapelte sich schmutziges Geschirr. In der Küche: Töpfe im Spülbecken, die Luft faulig. Er stellte die Weinflasche ab, setzte sich und horchte. Im Haus blieb es ruhig. Ich muss nachdenken, überlegte er und erinnerte sich an einen Abend im Herbst: nach dem Kino hatte er mit Freunden auf der Strasse gestanden. Es war schon finster gewesen und ziemlich kalt. Sie überlegten gerade, wie es weitergehen sollte, als sich jemand an ihnen vorbeidrückte. Es war Finn, den er aber nicht sofort erkannte. Einen Augenblick später rief er ihm nach und er blieb stehen, drehte sich um. Sie sprachen nur ein paar Sätze: freundlich aber so fremd, wie es nur alte Freunde sein konnten.
*


eiseisbaby München, Bayern - 17.11.99 at 17:06:19




Astrologische Jahreszeiten

November, Hüter der Gestalten,
wenn sie nicht echt sind, werden sie fallen, zu lebloser BiomaSSe .

Skorpione sind Bewohner heisser Erde, wenn der Regen bedrohlich wird.
kosten sie ihren Stachel und entwicklen ein starre Haltung.

Plutonium zerfällt in mehreren Schritten in einzelne Gedanken, die noch Jahrtausende lang in unseren Hirnen strahlen.

Um den Kopf zu schützen, werden schwarze Tücher empfohlen, um den Kopf gebunden sehen sie auch noch gut aus.

Die Götterkonferenz hat sich geeinigt nur noch unter dem Namen *.de
Wesenseinheiten zuzulassen.

Letzter Auszug aus den astrologischen Büchern der Irene von Antaman weist auf die Verbindung von Pluto zu schnellen wechselhaften Ausbrüchen im weiblichen Charakter hin.

Deine Zeichen , oh Herr, sind alle leer.


alinia santa cruz, europe - 17.11.99 at 15:51:42




"wer liebt dem wachsen flügel".
lese ich auf einem plakat,an dem ich gerade vorbeischwebte.


wiebke köln, - 17.11.99 at 15:50:41




Huch, da gibt es ja einen wunderschönen neuen pool-Vorspann ! Wer war denn das, Ursula Döbereiner ? Jedenfalls klasse. Wenn sich jetzt noch jemand findet, um diese blöde Kunstfertigkeitsalmosenspalte zu renovieren, wird es für mich wieder ein schöner Tag gewesen sein. Ach, nehmt es mir nicht krumm. We love you all.


Hippi, Stuttgart, Landeshauptstädtle, Baden-Württemberg - 17.11.99 at 15:31:29




Novemberbild (6). Ich muß den ICE ganz in der Frühe nehmen, um rechtzeitig in B. zu sein.
Es könnte Verspätungen geben, sage ich, erst recht bei Nachtfrösten.
O: Oder wieder wegen Selbstmördern.
Ich: Das habe ich morgens noch nie erlebt.
O: Stimmt, da schlafen sie noch.


l.barnes bielefeld, - 17.11.99 at 14:13:44




Big Props to ya all! Big Props to ya stylez! elmodem, Björn, Carmen, Kathrin, Sven, Suse, Moritz, Aspera, Benjamin, Claus, Christian, Hippi, nal! Pool & Loop rules! Dankeschön: Party on. Sehr freundlich.
*


eiseisbaby münchen, bayern - 17.11.99 at 11:37:39




heute morgen früh um
sechs als ich die Augen
öffnete stand der Kapitän
an meinem Bett rieb
sich die Hände rief
Arbeit! Arbeit! Arbeit!

sofort sprang ich auf
putzte mir die Zähne
frisch nahm den Bus um
sieben schon feiste Volker
Rühe von allen Plakaten
Zukunft! Zukunft! Zukunft!


elsbeth a.. angelburgerstrasse, de - 17.11.99 at 10:32:06




Mein Schwiegervater hat Geburtstag, einen runden,
und die gesamte Sippschaft hat sich eingefunden.
Ich fühle mich bei dieser Art Familientagen
seit jeher höchstens wie das fünfte Rad am Wagen,
wohl weil ich immer noch nicht richtig schwäbisch spreche
und mir mit sowas lieber nicht die Zunge breche.
Zwar sprachen so schon Wieland, Mörike und Hesse,
doch wer bin ich denn, dass ich mich an denen messe !

Lieber will ich Gebärden auf mich wirken lassen
und so das Wesentlichere direkt erfassen :
Das war schon immer eigentlich mein Lieblingsspiel.
Auch hinten in der Ecke meine Nichte sagt nicht viel,
doch schon ihr Blick verrät mir gleich ihre Geschichte :
Ach, sie hat Liebeskummer, meine kleine Nichte !
Wer hatte nicht schon einmal Grund zu solchen Blicken.
Ich werd´ ihr deshalb ein paar Streichelblicke schicken.

Hat sie noch immer diesen Typ mit seinem Mode-Tick,
mit den Klamotten nur von Winnie vom Tootschikk ?
Der glaubt, in Mexico verstünd´ man was von Bier
und coole Weiber hörten niemals Fanta Vier ?
Und sie stochert hier, gar nicht cool, im Sahnekuchen.
Wenn sie mich fragen würde : Einen andren suchen !
Na ja, sie wird wohl nicht auf ihren Onkel hören.
Wenn ich mal ehrlich bin, das würde mich auch stören.


Hippi, Stuttgart, Schwabenländle - 17.11.99 at 10:14:36




Einführung in die französische Literaturwissenschaft, 1. Semester. Genau so.

-Ich hab mir mal die Biographien von den Typen angesehen...
-Welche Biographien?
-Ach so, janein, also ich hab die Lebensgeschichten der Autoren angesehen. Besonders wilde Leben hatten die ja nicht gerade. Ich dachte immer, die müssten ganz viel erleben, damit sie Bücher schreiben können.
-Ich würde mal denken, dass die ganz im Gegenteil ganz ruhige Leben führen müssen, um wilde Geschichten zu schreiben. Wenn die einfach nur das in die Bücher nehmen, was denen so passiert, dann würden sie ja nur abschreiben, aus dem Leben, aber nicht schreiben.
-Aber Ahnung müssen sie ja schon haben von den Sachen. Das würde man doch sofort merken, wenn die vom Ficken schreiben und in echt nie ne Frau abkriegen. Das riecht man doch irgendwie.
-Ich glaube, das ist noch anders. Die leben schon und erleben auch was, aber in den Situationen selbst haben sie das Gefühl, dass sie da nicht hingehören. Oder dass nur die anderen da sind, wo es richtig spannend ist.
-So eine Art Erlebnis-Exil?
-So ähnlich, aber es geht nicht um das Erlebnis, sondern dass man immer nicht da ist, wo man ist.
-Hört sich voll krank an.
-Gar nicht. Die nehmen das, was ihnen passiert, als Schnipsel. Und den kleben sie dann auf das Papier und schreiben das, was sie gerne als Leben hätten oder wie sie sich so vorstellen, wie das Leben ist, einfach rundherum.
-Was denn nun? Wild und abschreiben oder ruhig und ausdenken oder basteln?
-DER TEXT IST DER TEXT.


kathrin glosch - 17.11.99 at 02:54:54




Wirrwarr
Beliebigkeit

Verständnis
Entwicklung


elmodem muc, de - 17.11.99 at 00:00:43




big credits to eiseisbaby, aspera - eure texte sind fein and to suse - schreib, schreib, wo bleibt dein text...ich mags sehr.

open-mike in berlin. jan wagner hat leider nichts gewonnen. schade. heute schreibt der tagesspiegel:"...wo die lyrik wieder gewagt wird wie in jan wagners suggestiven reisepoemen..."
hey, lyrik muß man wagen........traurig.
und "poem" in einer deutschen tageszeitung hört sich wie ein kasten an, in dem nichts drin ist.
wir habens ihm sehr gewünscht. da sitzen dann so ein paar juroren und denken an klagenfurt.
jan wagner wird eines tages den büchner-preis gewinnen - hand und text drauf. versprochen und zugenäht. der mann kann schreiben.

dummerweise zuvor gläserweise mit tom schulz, jan brandt, stephan maus und andren auf den sieg getrunken und dann bliebs uns im hals stecken. aber eingeladen wurde er vom goethe-institut, hey, das ist wohl was, das ist fein. da ging der rotwein doch noch in den magen.

mit julia franck auf der bühne gewesen, den preisträgern die blümchen übergeben und ich dachte zuvor die ganze zeit: alles klar, da steht gleich jan, den drückst du kräftig. und dann nichts. julia wollte nach der ersten frau keine blümchen mehr vergeben. also ich ran und drück den kerlen die flossen und blümchen hin. die stehn da wie bestellt und nicht abgeholt und alles klar: die wissen nicht, daß mindestens einer vom betrieb abgeholt wird. dann julia: weißt du noch - die aufregung. ich denk: tolle frau - mit diesem satz. die steht auf ihren hohen, straffierten schuhn und läuft weiter. halber engel - ganzer kann nur das herz sein.

MICHAEL STAUFFER - den muß man sich merken - hat eine sehr amüsante prosa gelesen und gewonnen. ich anschließend zu ihm hin un sag: hey du mußt zum haffmanns verlag und er: danke. ich hoff er tuts oder woanders hin - jedenfalls muß das zeug gedruckt werden. so wär er gut aufgehoben.

schluß. so ein langer text ist viel zu viel für mich. das reizt den traum. das geht fremd.

MEINE ANSICHT ZU DEUTSCHLAND: wer verdichten will, muß ein thema, eine sehnsucht haben. jan wagner hats.
zuletzt: MEINE STADT IST EINE DÜNNBIERKNEIPE und ich trink grauburgunder





björn kuhligk berlin, - 16.11.99 at 23:32:02




Die unablässigen Gespräche über die ausgestellten Kunstwerke und die affektierten Aussagen des ausstellenden Künstlers zu seinen Werken und damit verbunden wohl zur ganzen Welt, langweilten Sie. Welterklärungsversuche, brrh, dachte Sie sich, Weltrettungsversuche, bääh. Mit einem Lächeln und einem lange geübten Augenaufschlag näherte Sie sich dem ausstellenden Künstler und Weltretter. "Ganz schön heiß hier", flötete Sie in des Künstlers Richtung, " schade doch, dass Fächer aus der Mode gekommen sind!" Erfreut ob ihrer Nähe hob der ausstellende Künstler seinen Sektkelch. "Heute leider nur O-Saft für mich", sagte er prophylaktisch, da er doch einen Ruf als ruchloser Kleinstadt-Bohemien verteidigen zu müssen glaubte, "ich muß ja schließlich noch einen klaren Kopf bewahren." Ohne auf ihn einzugehen sagte Sie: "Schade ist auch, dass es diese weißen venezianischen Masken nicht mehr gibt, von denen Casanova so häufig berichtet. Oder noch besser, diese Gespräche von zwei Canapees aus, zwischen denen ein undurchsichtiger Wandschirm steht. Wäre das nicht amüsant?"
(Kurze Werbeunterbrechung, Teil2 folgt, bleiben Sie dran)
**
*Lustiges Mainzelmännchen macht Purzelbäume und hält ein Schild in die Luft, beschriftet mit "Werbung"*
*
"Ährlich, ich versteh äh Nuulll von äh äh Sex. Jetzt hat aber schon, aäh, meine Frau, äh die äh Babs gesagt, wir müssen endlich auch einmal äh bumsen. Und jetzt ich hier mit dem ganzen, äh, Kram. Dabei bin ich doch gar kein äh Sexgieriac.
HÄ?!!! Bin ich schon drin oder wat?!
ICH BIN DRIN! Dat is ja einfach! DRIN!"
*
*Lustiges Mainzelmännchen geht durchs Bild, dahinter ein Riesendackel, beschriftet mit "Ende"*
**
(Teil2)
...."Wäre das nicht amüsant?" "Mhhh, wäre es das?", so der ausstellende Künstler. Sie nickte und ihr Gesicht wirkte einen flüchtigen Augenblick leicht gerötet. "Ja, man könnte die lustigsten Dinge tun, während man mit demjenigen auf dem anderen Canapee über ....na ja, zum Beispiel über die Kunst plaudert. Oh, die aller lustigsten Sachen." "Beispielsweise?", fragte er mit kehliger Stimme. Ein kleines Grunzen, dieses fast tonlose Auflachen, war die ganze Antwort, die sie ihm gönnte. Es entstand ein unangenehme Pause. "Auf welcher Seite des Wandschirms wäre ich denn?", fragte der ausstellende Künstler, sich seiner Rolle als Charmeur erinnernd. "Das ist doch ganz klar", meinte Sie, fast schon im Weitergehen, "auf der Seite der Kunst natürlich."


aspera, Bonn, Kennzeichen D - 16.11.99 at 22:42:27




Perfect World 1.12
Im Keller roch es muffig. Der Lichtschalter reagierte nicht. Eiseisbaby blieb stehen, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Dann, vor ihm: ein Regal mit Weinflaschen. Er nahm eine Flasche, versuchte das Etikett zu entziffern, aber es war zu finster.
Er tastete sich die Treppe hinauf, die Flasche nahm er mit. Oben im Flur tastete er sich den Gang entlang, Richtung Wohnzimmer. Als er die Türe öffnete, blendete ihn das Licht: Staubflusen wirbelten auf und tanzten über den sonnengefleckten Boden. Zeitschriften und Kleidungsstücke lagen da verstreut, dazwischen Pizzakartons und leere Flaschen. In einer Ecke ein Fernseher, davor eine umgedrehte Holzkiste. Ein Hund bellte, irgendwo in der Nachbarschaft.

*
Nur noch diese Worte und dann hinaus, Freunde! Hinaus in die Nacht. Dankeschön: Sehr freundlich.


eiseisbaby münchen, weiter - 16.11.99 at 21:03:00




Novemberbild (5). Die Nachbarin steht blutüberströmt in der Haustür. (Ich will gerade zum Friseur.) Zwei Passantinnen haben sie nach dem Sturz gestützt und vors Haus begleitet. Sie verabschieden sich nun rasch. Frisch und rot tropft das Blut über das alte Gesicht und auf den Kamelhaarmantel. Das kleine weiße Taschentuch mit Spitzenrand hält das Fließen nicht auf. Die Nachbarin wohnt allein, ist über 80, schwer zuckerkrank, fast taub. Pfleger und Ärzte haben den Wohnungsschlüssel, Schellen hört sie nicht. Beim Hausarzt spricht nur die Antwortmaschine, den Notarzt soll ich nicht rufen. Als das Gesicht gewaschen ist, sieht man eine Platzwunde neben der linken Braue. Wie aufgeplatzte überreife bläuliche Pflaumenhaut. Sie soll mal künftig den Stock mitnehmen, sage ich, Glück im Unglück, kein Oberschenkelhalsbruch. Es sei schon das zweite mal gewesen, sagt sie, aber wieder nicht richtig. Sie würde gern so gestüzt sein, dass alles vorbei wäre. Als ich vom Friseur zurückkomme, ist die Pflegerin da und bereitet die Insulinspritze vor. Die Brille, so ist der Nachbarin inzwischen aufgefallen, sei in der Aufregung nach dem Sturz draußen vergessen worden. Dass sie vielleicht noch auf dem Fußweg liegt oder unterm Laub.


l.barnes bielefeld, - 16.11.99 at 18:49:01




Am 17. und 18. November, sowie am 3. und 4. Dezember gibt es im Stadttheater Herford weitere Aufführungen meines Stücks "Ich möchte dich vielleicht berühren" (Kartenreservierungen unter 05221-189666). Wer in der Nähe ist, soll doch bitte schauen kommen. Dankeschön.


Martin Heckmanns (heavy rotation), - 16.11.99 at 17:35:27




einen vorsichtigen fuß
auf elektronischen boden
und die frage im geist
"will ich so sein?"
wie die aus der
nun verminderten distanz
eher belächelten
(ohne urteil)

habe erst bei den
"großen"
gestöbert
da schreibt einer
der den namen eines
metalls trägt
über einen arzt
der auch schon
meine schläfen
gedrückt hat
(uuiihh)

auch ich habe
säcke voll laub
aufgeklaubt
vor dessen
unaufdringlich
schöner
villa

draußen wieder das
leitmotiv:
der herbst
(tränen bitte)

und jetzt
hier auf diesem
virtuellen papier
betrachte ich
seelenruhig
meinen
mittelfinger
(musik, bitte)

sollte er eher
diese oder jene
ansprechen?

diese
die schon aufgrund
ihrer position
verachtet werden müssen
oder
jene
die aufgrund genau dieser
ansicht über diese
verachtung
verdient
hätten
der sich der
das christsein gänzlich
ohne glauben lebende
ebenso
verweigert
wie
der bloßen
selbstapotheose(?)

freue mich, hier zu sein...


dimitri tindi hd, d - 16.11.99 at 16:58:05




Autorenlesung der Gesellschaft für Bretonisch-Proven&alische; Freundschaft in Quimper, Brétagne. Jean-Louis und Anne-Aymone, die beiden Initiatoren, haben sich (und leider auch mich) in der Internationalen Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, kennengelernt. Schon bei unserem zweiten Treffen, während der 34. Mondorfer Dichtertage im Dreiländereck der saarländisch-lothringisch-luxemburgischen Euregio, mussten die Beiden dann feststellen, dass sie sich untereinander -falls überhaupt- höchstens auf französisch hätten verständigen können. Um das zu vermeiden, sind sie sehr schnell auf meinen Vorschlag eingegangen, die künftigen Lesungen ihrer damals noch geplanten Gesellschaft ausschließlich in deutscher Sprache abzuhalten. Für gebildete Möchte-nicht-so-gern-Franzosen wie sie und ihre ebenso gebildeten Leser überhaupt kein Problem. Außerdem hebt so etrwas "unser" deutsches Ansehen im Ausland und sichert mir ein paar Übersetzungsaufträge. Englisch als Kongresssprache wäre sowieso ausgeschieden, wegen der rigiden französischen Anti-Franglais-Gesetzgebung. Zum Dank für meine salomonisch völkerverbindende Idee hatte mich Jean-Louis eingeladen, ein paar von meinen Alltagsgedichten und ein Kapitel aus meinem unveröffentlichten Opus Magnum "Sweetys Leer- und Herrenjahre" in der Originalsprache zu lesen. Natürlich habe ich als Erster auf dem Podium gesessen, schließlich hatte ich es nicht weit von meinem schnuckeligen Steinhaus, leider ohne Minibar und Internet-Anschluss. Joceline hatte mir ihr Peugeot-Damenfahrrad geliehen. Jean-Louis und Anne-Aymone hatten wie immer Verspätung, der größte Teil des Publikums auch. Schließlich habe ich einfach angefangen zu lesen. Als ich eigentlich mein Programm abgespult hatte, waren Anne-Aymone und Jean-Louis immer noch nicht da, auch nicht der als special guest angekündigte autochthone Korse, den ich selbst auch noch nicht kannte. Aber vielleicht saß der ja auch schüchtern und unerkannt im Publikum (ca. 3 Personen) und traute sich nicht aufs angenehm magermilchfarben angestrahlte Podium, bevor er aufgerufen wurde. Schließlich, als auch mein eigentlich unerschöpflicher Gedichtvorrat zu Ende war, ich sogar schon ganz unaufdringlich meinen Hardcover-Verlag (Zitronenpresse, Stuttgart), meinen Zweitverwerter (Pixibuch) und auch fast ohne Stottern meine bevorzugte Erstveröffentlichungs-website (http://www.snafu.de/~gloria/guestpage.htm) hatte durchblicken lassen, fiel mir zum Glück noch meine Reiselektüre ein. Die Bahnanreise war ja beschwerlich genug gewesen, mehrere Bahnhofsmissions-Übernachtungen und indiskrete Schlafwagenschaffner inclusive : ICE bis Frankfurt Flughafen Fernbhf., Nachtzug bis Köln Hbf, Thalys bis Paris Nord, Métro, TGV bis Quimper, am Ende der Reise der stolze Hochgeschwindigkeitszug doch tatsächlich wegen fehlender Elektrifizierung (hatte das nicht schon Lenin gefordert ?) von einer qualmenden Diesellok im Nostalgie-Tempo abgeschleppt. Wie gesagt, beschwerlich und nur durch Lektüre erträglich : Paul Scheerbart. Ich hatte Zeit genug, ein paar von seinen Gedichten mehr oder weniger auswendig zu lernen und nun einfach unter meine eigenen zu mischen. Kein Schwein hat etwas gemerkt, was mir nun doch etwas zu denken gibt. Zum Beispiel bei diesem von 1902 :

Wir mussten neulich so furchtbar lachen :
Ein Alter sprach so voll Herzeleid ;
er wollte die herrlichsten Verse machen
zum Lob der tiefen Unendlichkeit.
Nun aber gelang nicht das kleinste Gedicht,
und dazu schnitt er noch ein Gesicht,
als wenn die Unendlichkeit böse wär´.
Ach, Alter, wo kommst du eigentlich her ?
Mach dir doch nicht das Leben so schwer.
Was machst du bloß für Sachen ?
Man muss ja so furchtbar lachen.

Inzwischen war wenigstens Jean-Louis eingetroffen, war zeitgleich mit meinem Verstummen in etwas übertriebener Herzlichkeit auf die schlichte Bühne gestürmt und hatte mir zu meinem Soft-Porno "Sweety" gratuliert, der eigentlich gegenwärtig nur mit "Gisela" von Stelling und Dannenberg vergleichbar wäre. Das istv überhaupt nicht wahr, weder bei denen noch bei mir, schon gar nicht in dem Kapitel, das ich vorgelesen hatte, aber woher sollte er das wissen ? Er hat ja überhaupt nicht zugehört !

Einzelne Namen und Orte mussten aus rechtlichen Gründen verändert werden.

Hallo ihr da drüben im pool, ist das so, oder wenigstens so ähnlich ?



Hippi, Stuttgart, immer wieder Deutschland - 16.11.99 at 15:39:34




es kam die erste anfrage: haben androiden eine seele? ich weiß nichtm, ob alle eine seele haben. meiner hat neulich die erste träne vergossen. als er jetzt den zugefrorenen see in meinem garten sah, starrte er eine stunde auf die stumme fläche.


heinrich battling rotenburg, niedersachsen - 16.11.99 at 10:13:02




Ramonschen beruhige dich doch
ich kann jetzt nicht sprechen
hab gerade eine Tour zur
Galerie für Zeitgenössische Kunst
wollen Sie mit was für Sachen
Leute ihr Geld verdienen
Ramonschen darüber reden wir noch


elsbeth a. fl., de - 16.11.99 at 09:55:58




Dann war es vorbei und wir lagen nebeneinander und rauchten nicht, weil sie sich das Rauchen vor einiger Zeit abgewöhnt hatte und mich gebeten hatte, nur noch im Flur zu rauchen. Ich hatte zugestimmt, einerseits um eine Diskussion zu vermeiden, andererseits hatte ich einen heftigen Husten in der letzten Zeit und Angst. Wir lagen nebeneinander und sprachen nicht.
Beim Einzug hatte ich ihrem Vorschlag zugestimmt mit der Vorstellung, durch kindliche Zuversicht würde sich alles von selber regeln.
Später lag Clara neben mir im Schlaf. Plötzlich wachte sie auf und fragte, ob Ingrid Bergmann Deutsche oder Schwedin gewesen sei. Ich dachte, sie sei Amerikanerin gewesen und über unsere Meinungsverschiedenheit, die sich zu einem Zwist auswuchs, wurde Clara hellwach und vom Kindchen in der Wiege zu einer verstörten Rentnerin, die ihr Kreuzworträtsel im Traum nicht gelöst hatte.


Claus - 16.11.99 at 09:44:56




I. Die Spielzeugkataloge, die in der Vorweihnachtszeit im Briefkasten liegen, riechen noch genauso wie früher. Nur das Durchblättern geht schneller, so ohne Wünsche zwischen den Seiten.

II. Der weisse Umschlag für den Brief an den Mann, dessen Diktiergerät noch immer jede Nacht in meinem Bett liegt, kostet 20 Pfennig. Abgezählt in 1- und 2 Pfennigmünzen, halte ich das Geld in der Hand. Fast hätte ich, endlich an der Reihe, die Hand hingestreckt und "Zwei Leckmuscheln, bitte" gesagt.


kathrin glosch - 16.11.99 at 01:04:37




Ich bin lustlos, gleichgültig und müde, fühle mich völlig isoliert. Ganz tief drin in mir schwimmt die Kotze und ich weiß genau, dass ich DIESE Kotze nicht rauswürgen kann. Dazu ist es viel zuviel und zu tief drin in mir. Sonst ist es dann manchmal die Traurigkeit, die mir endlich weiterhilft, weil sie wenigstens eine Verbindung zu meiner Umwelt darstellt.


elmodem muc, de - 15.11.99 at 22:39:58




Wow, erster Zwischenbericht zur Arbeit meiner Fliege. Es funktioniert! Sie arbeitet gut! Und zwar auch mit ganz anderen Texten. Eben hat sie sich doch über einen pooltext von Frau Elke hergemacht.
Und das kam dabei raus:


ER DRÜCKT

ER TRINKT

ER WÜRGT

ER SCHLÄGT

ER SCHIESST

ER STICHT

ER HÄNGT

ER ERSTICKT

*Gute Arbeit, liebe Fliege. Hier, Deine Lieblings-Fliegen-Brekkies*

Und da in diesem Land doch so verzweifelt junge, dynamische Unternehmerpersönlichkeiten gesucht werden, habe ich eben den Weltkonzern von morgen gegründet: Die RENT-MY-FLY AG. In drei Jahren schlucke ich Microsoft, so sieht es jedenfalls mein Businessplan vor. Momentan bereitet bereits die Deutsche Bank-Gruppe mein Going Public mit einem coolen parallel-listing im Nasdaq und im Neuen Markt vor.
Mein Einführungsangebot: Das Ausleihen meiner literarischen Kackfliege kostet allgemein pro Text DM 10,-, loopster zahlen die Hälfte, poolster das Fünffache.


Aspera, Vorstandsvorsitzende Rent-MY-FLY AG, Bonn, NY, Tokio, London, worldwideland - 15.11.99 at 21:53:24




liebe anja vom 12.11.
du mußt das so machen, als würdest du ne anthologie lesen. sind halt nicht nur blüten dabei. also ist blättern angesagt. alles klaaaar, anjaaaa.

BERLIN am 18.11. 20 uhr in der knorre, knorrpromenade 2, friedrichshain
zusammen mit HEL, peter hodina, tom schulz und sascha knaack gibts text, auch nen bisschen liebe


björn kuhligk berlin, - 15.11.99 at 19:21:05




Gestern haben Clara und ich das erste Mal seit Wochen wieder miteinander geschlafen. Sie schaute auf die Temperaturtabelle und sagte mir, ich müsse ein Kondom benutzen. Wir bemühten uns nicht, die Pause leidenschaftlich zu überbrücken. Das Kondom war mit einem Feuchtigkeitsfilm beschichtet.
Jede Beschreibung eignet sie mir an. Ob ihr Haar schwarz ist oder durcheinander, meinen Händen entgleitet es, es hebt sich leicht im Wind, ich kann es nicht fassen, es wächst. Unsere Pupillen wandern, unsere Blicke treffen sich ohne zu sagen, wie sie gemeint sind.
Es geht weiter. Schon ist wieder etwas vergessen, es hat keinen Widerstand geleistet, vielleicht kehrt es verquer zurück und schiebt sich zwischen uns als Mißverständnis oder Ahnung. Jede Beschreibung nimmt ihr etwas oder schreibt es fest. Clara. Der September war einer der wärmsten des Jahrhunderts. Und wir fassen uns bei der Hand. Es ist schon wieder alles anders. Mir fällt eine Liedzeile ein, die ich nicht bestätigen kann: "Küss mir das taube Gefühl von der Haut." Es muss wohl die Melodie sein, die passt. Vielleicht fällt der Einfall mir nur als Störung ein, dass die Unbeschwertheit beschwert wird, um später nicht plötzlich und schmerzhaft zu Boden zu krachen. Immer noch weht der September im Haar. Clara, denkt er, Claus, denkt sie, denke ich, wird man später einmal schreiben können. Später stand sie vor mir und schaute mich mild an, als hätte ich meine üblichen Schwierigkeiten. Hast du was gesagt, fragte sie. Ob wir noch weiter gehn, sagte ich. Ja, gehn wir noch weiter, sagte sie und wir verliessen den geteerten Weg und gingen durch den Wald.


Claus - 15.11.99 at 16:40:03




Hey! Cool! Schnee - über Nacht: alles weiss. Endlich mein Auto wieder kratzen. Krrrz. Krrrz. Überhaupt, Auto freikratzen: Eiseisbaby liebt das! Heute Morgen, einfach locker. Kein simpler Eisbelag, neee. Nein, oben eine zart-glasierte, brüchige Schicht frischfeuchten Schees. Darunter crisp und leicht: feine Kristallvariationen. Der Höhepunkt, fest auf die Scheibe gepresst: Eine ehrliche, einfache, nachtgefrorenen Haut aus Eis! Eisbaby Eis!
*


eiseisbaby münchen, bayern - 15.11.99 at 16:18:21




RABEN KRÄHEN

Hörst du den Sehnsuchtsschrei, den ich seit Tagen höre ?
Da ist dies Raab-raab-raab ! Diesmal ganz in der Nähe :
Wahrscheinlich meint er Barbara, die Nebelkrähe.
(Aber wohl kaum die Schutzpatronin der Mineure,
wühlender Stollenmäuse, die im Stillen graben !)
Glaubt denn der schräge Vogel, es genügt zu schreien,
um sich von seiner Sehnsucht einfach zu befreien ?
Ach, sie sind so naiv, die liebestollen Raben !


Hippi, Stuttgart, BW - 15.11.99 at 11:23:19




Friseur-Besuche sind körperlich und emotional das genaue Gegenteil von Zahnarzt-Besuchen. Ich gehe gerne zum Haareschneiden. Schade, dass die Kasse es nicht zahlt. Ich bin noch nie Modell bei einer Friseur-Auszubildenden gewesen. Weiß nur: Das ist billiger. Also gut, wenn das die einzige ist, die sofort Zeit hat - cool. Ultakurzhaarschnitt, wasserstoffblond, Tattoo-T-shirt. Sie führt mich aus dem ganz hübschen Salon über den Hof in eine mittelschäbige Altbauwohnung, die zum Azubienen-Schnippsel-Spielplatz umgerüstet wurde. Eine andere ist schon da und schleudert einem Plastikkopf im Waschbecken herum. Meine hat einen Fragebogen dabei, will wissen, ob ich "mit Farbe arbeite". Ich sage: "Ja, mit Grau, hier, siehste?" Dann Kopfhaut-Test, alles ok, puhhh.
Ich erkläre ihr, was ich will. Meine Forderung ist so unspektakulär, dass ich damit schon oft Haarstylistinnen zu extravaganten Vorschlägen provoziert habe. Ist mir immer unangenehm, sie so zu unterfordern. Aber die Azubi-Frau versteht es lange nicht, schleppt Fotobücher ran. Endlich fangen wir an: Waschen kann sie super. Schaumberge und Wasser in Körpertemperatur - großartig. Sie dreht Schnecken auf meinem Kopf und klammert sie mit großen Schnabelklammern fest. Die Maschine fängt an zu surren, die ersten Haare fallen auf den Umhang. Als ich zwei graue sehe, mache ich die Augen zu. Dauernd in den Spiegel gucken, ertrage ich auch nicht.
Auftritt der Meisterin: Halblange Haare, rot, Pistolenhalter mit allerlei fachspezifischen Gerätschaften. "Michaela! Ran an den Kamm mit der Maschine. Noch mehr. Ran da!" Surr, surr. "Immer in Bewegung bleiben mit dem Gerät." Hört sich an wie beim Fußballtraining. Jetzt muss die Trainerin die Übung selber vormachen. Ssstt, ssst, schon ist auf der linken Seite alles korrekt. Michaela versucht es rechts. Innerlich feuere ich sie an, habe mich schon mit ihr solidarisiert, obwohl sie mir gerade gnadenlos die Zeit stiehlt und ich statt der erhofften Enspannung eine leichten Verkrampfung im Nacken bekomme. "Mit dem Finger Abstand halten, sonst kann es am Ohr Verletzungen geben." Danke, so macht sie uns beiden Mut. Michaela bleibt hart am Kamm, leider ein bisschen zittrig. Dann beim Deckhaar kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Zwei Zentimeter ab, ist nicht schwer, denke ich - richtig! Das hat sie drauf und sogar einen Gleichmäßigkeitstest der Meisterin besteht sie. Langsam löst sich mein Nackenkrampf. Auch der Billig-HipHop aus dem Radio kling plötzlich ganz lässig. Schade, dass das ganz 2 Stunden gedauert hat und ich viel zu spät kommen werde. ("Wenn Sie so lahm schneiden, bestehen Sie keine Prüfung!") Als die Meisterin beim Zahlen genau auf meine frisch gefönte Frisur starrt, sage ich: "Ich finde es gut so, genau so wollte ich es," und lege ein paar Mark Trinkgeld auf den Teller.


nal, berlin, - 15.11.99 at 10:22:10




Gross, so'n Vater. Kommt alle paar Monate zu Besuch, Werkzeug im Kofferraum, und geht dann klaglos durch die Wohnung und repariert. Die Dusche ist dicht, der Sessel hat sein Bein wieder. Das Silikon auf der Jeans, ach, und dann möchte er ein Glas Wasser.
-Die Stehlampe ist noch schief.
Er stellt das Wasserglas ins Regal, schraubt die Lampe auseinander, justiert die Kabel neu, baut alles wieder zusammen.
-Immer noch schief.
Er schlägt die Beine übereinander, der Korbsessel knarrt.
-Wann hast du sie gekauft?
-Als ich hier eingezogen bin.
-Wie teuer?
-So 400, glaub' ich.
Er zieht die Brauen hoch, entweder wegen der Lüge oder wegen des Preises, ist egal.
-Und jetzt gefällt dir die Farbe nicht mehr.
-Die Farbe geht. Aber die Form. Viel zu symmetrisch. Ertrag' ich schlecht.
-Keine Eisenhut-Lampe?
-Keine Eisenhut Lampe.
-Die wird nie wieder gerade. Da ist der Gedanke in die Materie gegangen und hat ihr seine Form aufgedrückt.
-Papa! Du redest wie ein 2001-Katalog. Du bist für Physik zuständig, du kannst also nicht sagen, ich hätte die Lampe kraft meines Geistes schiefgedacht.
-Geist nein, 'schiefgedacht' ja. Der Einfluss der...
-Muss ich jetzt eine neue kaufen oder soll ich die hier wieder geradedenken?
-Das kannst du nicht. Intentionale...
-Du meinst, ich kann mit meinem Geist nur zerstören, nichts aufbauen?
-Geist ist nicht das richtige Wort. Materie und...
-Papa?
-Tochter?
-Geld.


kathrin glosch - 15.11.99 at 01:21:56




"jeder geschlossene raum ist ein sarg." -blumfeld-


elmodem muc, de - 15.11.99 at 01:06:41




Ach, bevor ichs vergesse, was ich Euch eigentlich noch erzählen wollte: Ich hab ein neues Haustier und zwar eine Fliege und das kam so: Eben hatte ich es mir mal so richtig feist gemütlich gemacht, so mit Kaffee und Keksen und Schallplatten und mit ungewohnt friedlicher Stimmung. Denn vor mir auf dem Beistelltisch lag meine neueste Errungenschaft. Heute morgen in einem Antiquariat im nicht-rheinländischen Köln erstanden: Der mir fehlende siebte Band der ersten Strindberg-Werksausgabe, in der etwas verschrobenen Übersetzung von Emil Schering, erschienen 1898. Und dann auch noch in der hyperseltenen Ausgabe mit dem komischen Tschandala-Text, den Schering in den folgenden Auflagen einfach kommentarlos gestrichen hat. Ihr glaubt gar nicht, wie ich gejauchzt im Antiquariat, als ich den Band fand. YipppieYipppieYeaarrrh, so nämlich und zwar ganz laut. Aber Jauchzen ist in Antiquariaten ja ein genereller Fehler, es nimmt einem frühzeitig die Basis für das dann folgende sogenannte Preisfindungsgespräch. Und mit meinem Jauchzen habe ich es natürlich versaut, der Geldbeutelschneider von einem Buchhändler wollte keinen Pfennig von seinem Wucherpreis runter. Die Sau. Er wisse ja, was ich da in den Händen halte, behauptete er frech. Was natürlich eine glatte Lüge war, hatte der kostbare Band doch neben einem Uta-Danella-Buch gestanden. Nun ja, ich mußte dann doch noch zur Bank, Geld holen, säckeweise, so stelle ich mir übrigens die 23er-Inflation vor. Hab dem geldgierigen Alte-Bücher-Hüter dann stillschweigend den Stapel Scheine rübergeschoben, mir den Strindberg gepackt und dieser garstigen Stadt meinen knackigen Hintern zugewandt.
Zuhause dann, wie ich glaube ich schon gesagt hab, hab ich es mir gemütlich gemacht, vor mir die alte Scheringsche Strindberg-Ausgabe, daneben die neue Übersetzung von Renate Bleibtreu. Und ich sitze also so da, lese quer, gucke schlau, vergleiche die Übersetzungen, da kommt doch diese Fliege angedüst, macht direkt über mir eine mißglückte StuKa-Vorführung und notlandet, natürlich, auf der alten Ausgabe. Und was macht sie da: Sie scheißt mir in mein neues altes Buch. Einfach so. So mir nix, dir nix. Frechheit. Ich verscheuche das unverschämte Flugvieh, doch nach ein paar Minuten ist es wieder da, und was macht es: Scheißt mir erneut auf den Strindberg. Wütend wedele ich den Dreistling weg. Nun untersuche ich meinen kostbaren, aber eben frisch beschissenen Strindberg. Ein kurzer Abgleich mit der neuen Bleibtreu-Übersetzung macht mich dann aber völlig Baff. Diese Fliege hat doch immer genau dahin geschissen, wo Emil Schering eigenwillig auf die Interpunktion verzichtet hat. Wow. Offensichtlich eine sehr literarische Fliege. Einen Punkt gesetzt, ein Komma ergänzt. Ganze Arbeit, liebe Fliege. Wenn das der alte Schering wüßte. Von solchen Fliegenleistungen habe ich bisher noch nix gehört, ist es vielleicht eine schwedische Germanistik-Fliege? Ich jedenfalls habe bisher nur von spanischen Fliegen gehört. Das muß ich jetzt untersuchen. Momentan bin ich daher damit beschäftigt, in meiner ganzen Wohnung aufgeschlagene Bücher und ausgedruckte Texte zu verteilen, denn ich möchte ja schon wissen, ob meine neue Mitbewohnerin eine Strindbergspezialistin ist oder halt eine gemeine Lektoratsfliege.


Aspera, Bonn, Übrigens: Einer der schönsten Flecken des Rheinlands ist die Bretagne - 15.11.99 at 00:17:12