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pool #25 01.12.-07.12.1999

pool #24 / pool #26




State of Emergency in Seattle, wie romantisch - auf einem Balkon am Wolkenkratzer gegenüber spielt einer "The Star Spangled Banner" auf der E-Gitarre (very Hendrix), dazwischen die Explosionen von Blendgranaten und Tränengaskanistern, das Johlen der Demonstranten, vom Firmament tönt das Knattern der Hubschrauber.Ausgangssperre von sieben bis Sonnenaufgang (Mitglieder der Wirtschaftskonferenz und der Presse natürlich ausgenommen), die National Guard ist schon am Anrücken. Und alles wegen gut 30 Autonomer, die bei ein paar Polizeiautos die Luft aus den Reifen gelassen und sie mit Graffitti versehen, die ein paar Müllcontainer umgeworfen und angezündet, und die ein paar Scheiben eingeschlagen haben (das aber ordentlich - Gap, Nike, Banana Republic, diverse Banken und Starbucks Coffee. Na, die haben's ja auch verdient).

Die Bunthaar- und Ausdruckstanzfraktion hat unterdessen erfolgreich seit 7 Uhr morgens die Strassen blockiert und die WTO-Konferenz fast dichtgemacht, bis die Polizei mit Tränengas und Knüpelschwung eine Schneise durch Downtown schlug. Die amerikanische Delegation, das erzählte mir ein Lobbyist gerade an der Bar, saß jedenfalls den ganzen Tag im Hotel fest und drehte Däumchen. Also alles deutlich im Spaßguerillabereich. Aber heute Nacht kommen die Panzer. Ich kann mich ja nur wiederholen - der Amerikaner sollte sich ja echt mal lockermachen.

Erlebnis des Tages: we got gassed (sagt man hier auf der Strasse so). Twice. Freundliche Hippiedamen mit selbstgemalten Rotkreuzbinden spülten uns dann liebevoll die Augen mit Essig und Wasser aus. Nur die Autonomen, mit denen wir eine Weile herumgezogen sind, wollten dann doch nicht mit uns reden.

Spruch des Tages (frei nach dem amerikanischen McDonalds-Slogan): You deserve a brick today. Sind aber noch gar keine Steine geflogen.


Andrian Kreye, Seattle, Washington - 01.12.99 at 03:40:32




Mein Auftraggeber fasst sich kurz. Einen Scheck abholen über 1.200.000 SFr. Herr Hug von der Crédit Suisse erwartet mich in seinen Geschäftsräumen in Bern. Ich stelle keine Fragen, obwohl ich spüre, daß ich das sollte. Ich fahre früh morgens mit dem Taxi zum Flughafen, das Ticket ist, wie angekündigt hinterlegt, eine Turboprop Maschine fliegt mich First Class an den Zielort. Ich lese Kleist und denke an einen Film mit Lino Ventura, der in der Schweiz spielt. In Bern mit dem Taxi zur Crédit Suisse. Zwei Herren empfangen mich, sie sagen, Herr Hug sei nicht da, bringen mich in einen Besprechungsraum und verschwinden. Ich sehe mich ein wenig um, etwas sagt mir, ich sollte mich nicht setzen. Die Tür geht auf, eine Blondine kommt herein. Ich mutmaße: die Sekretärin von Herrn Hug. In ihrem verrückten Dialekt erklärt sie mir, das Geld sei jetzt doch einfach überwiesen worden, ich hätte nicht kommen müssen.
"Wie - überwiesen?" frage ich.
"Vermittelst einer Banküberweisung", erklärt sie sachlich.
Ich frage, ob ich kurz telefonieren kann. Sie bejaht. Ich rufe meinen Auftraggeber an. "Was? Wo sind Sie? In Bern? Hat man Sie nicht angerufen? Das Geld ist überwiesen. Sie können wieder heimfliegen."
Aha, na dann, tja äh. Ich verabschiede mich von der Sekretärin und fahre mit dem Bus zum Flughafen. Der Rückflug hat drei Stunden Verspätung. Ich lese Kleist, Kleist, Kleist. An Lino Ventura denke ich nicht mehr. Dafür denke ich mehrmals: "Meine Güte! Was für ein Scheiß!"





Georg M. Oswald - 01.12.99 at 19:36:18





ich ordne Fotos
habe Fieber

was war der Plan?
was folgt daraus?

Volksbühne, Buchmesse, Wohnung, Venedig
die Spiele werden fortgesetzt

KRANK

Mittwoch, 1.12.1999, Berlin


Rainald Goetz - 01.12.99 at 23:57:15




GO OUT INTO THE LARGER WORLD, BUT DON T BECOME A PART OF IT
Vortragsreise, 1. Tag. Symposium "Werbekörper" und "Körperbild heute". Mein Vortrag bezieht sich auf "Starkörper": Pamela und Brad, Jennifer und Jackie, Puff und Foxy, Farrah und Wildschafe.....
Darf ich Ihnen die Teilnehmer vorstellen? Ja, bitte. 2.v.li. Peter Weibel, Direktor des Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Grüss Gott. Neben Ihnen, Professor für Kommunikationstheorie und Medienkultur an der Universität Münster, Siegfried J. Schmidt. Grüss Gott, ziemlich neblig heute in Bern. 2.v.r: Direktor des Deutschen Instituts für Angewandte Sozialphilosophie, Bernd Guggenberger. Salü. Barbara Vinken, Professorin für Romanistik an der Universität Hamburg. Hoch erfreut, gnädige Frau. Und zu ihrer Rechten, Christoph Doswald, Ausstellungsmacher und Kunstkritiker aus Zürich/Berlin. hi.
Und dann: ich bin dran. Die Elite-Spezial-Sonder-Einheit aus Hollywood. Ein Zittern. Mundgeruch. Schrecklich. Es riecht nach einem Kraut, das tief ins Algerische Hochland reicht. Ich stehe oben. Heimvorteil. 200 Leute im Saal, und was für ein Saal: Napoleons Truppen haben hier vier Wochen gesoffen und geschändet. Wer sitzt denn eigentlich da, just checking. Ich sehe Pipilottis, Kunstforumleser, Verwirrte, die Clans, meine Familie, die rote Nässe. thanx. Zwei städtische Cops sind auch dabei, und Vetreter von WOZ, NZZ, BZ, und Salzburger Nachrichten. Hallo, ja klar, ich spreche hochdeutsch. Bitte jetzt Saal abdunkeln. Kino bitte, Hollywood, was sonst. Rednerpult flankieren zwei Diaprojektionen, drei Meter hoch: Marlon Brando und Sharon Stone. Britney Spears und Edward Norton, Lara Croft und "Stone Cold" Steve Austin, Jackie und Johnny, Suvari und Ribisi, usw. Mein erster Satz - rein zufällig auch eine Headline in Kämmerlings wunderschönen SZ-Mag-Interview mit Alex Katz - "Nichts ist langweiliger als die Wahrheit."
Raunen. Akzeptiert, weil es ja so nicht stimmt. Erklärung folgt, liebe Schmalzköpfe.
Starkörper haben keinen Verstand. Sie besitzen etwas viel mächtigeres, nämlich die Macht......
Ich sehe diesen Typen in Reihe Sieben, und ich bin sicher, der trägt so ein Bum-Bum-Bumerang der XT7-Klasse auf sich.
Was für eine ekelhaft Bemerkung, Herr Kummer.
Relax, süsser Haschkopf.
Okay, liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen. Starkörper sind gigantische Wirklichkeitsmaschinen. Sie produzieren und handeln mit Realität. Früher nannte man den Ort ihrer Produktion Traumfabrik. Das hat sich längst erledigt, seit der Unterschied zwischen den Bildern und der Wirklichkeit verschwommen ist. Starkörper erfinden täglich riesige Mengen von Wirklichkeit. Sie sind die mächtigsten kulturellen Formulierungen dieser Zeit. Und obwohl ihre rebellische oder glamouröse Unmittelbarkeit in den 90er Jahren mit smarter Selbstreflexion kombiniert wurde, hat ihnen das nichts von ihrer Kraft geraubt. Ganz zu schweigen von dem Spass, den sie uns bringen."
Das Zittern geht nicht weg. Der Mundgeruch wird schlimmer. Altoids schlucken. Ich kann jetzt die Insekten in meinem Vortrag riechen, sie scheissen und pissen und senden Wellen aus. Alles weitere im Benteli Verlag, Frühsommer 2000.


tom kummer bern, schweiz - 02.12.99 at 00:07:14




I love the smell of teargas in the morning.

OK. Ich muss zugeben, mein Herz schlägt doch nach wie vor schwer links, obwohl ich schon seit meinem 25. Lebensjahr zu viel Geld verdiene, um noch die SPD zu wählen. Und auch wenn ein Großteil der Kids hier keine Ahnung hat, um was es geht (Yeah, we're letting those guys through who are for the environment. - You mean the NGOs? - Yeah, the MGOs. That's it.), haben sie doch saubere Arbeit geleistet. Schon die zweite Nacht mit Ausgangssperre und Ausnahmezustand, Sirenen, Explosionen, Hubschrauber, Hetzjagd auf die bösen Kinder, Tränengasschwaden allüberall. Und jetzt auch noch die National Guard. Ein hübsches Bild - die Jungs in Kampfanzügen neben den Einsatzpolizisten der Seattle Police, die sich mit schwaerzen Darth-Vader-Rüstungen und Gasmasken ausstaffiert haben.

Die lokalen Behörden, Autoritäten, Fernseh- und Radiosender überschlagen sich in Hysterie. Gewalttätige Ausschreitungen, jaja. Clinton beschwert sich weinerlich darüber, daß Tante-Emma-Läden unter den "Aufständen" leiden würden (Gap? Nike? Bank of America? Wen hat er nur gemeint?) Die einzige Gewalt, die hier zu sehen ist, kommt von der Polizei. Es sei denn Sachbeschädigung gilt jetzt als gewalttätiges Verbrechen (sehr höfliche Autonome haben sie hier, einer hat mich umgerannt und sich sehr freundlich dafür entschuldigt, um sich dann mit dem Brecheisen am Starbucks-Fenster zu vergnügen).

Sehr souverän - die Gewerkschaftler. Stahlarbeiter, Lastwagenfahrer, Baggerfahrer, eigentlich eher Stammtisch-rechts, aber nun Arm in Arm mit linkem Protestvolk.

Im Hauptquartier der Demonstranten - strenge Disziplin. Ein improvisiertes Lazarett. Plakate mit den Regeln fürs Demonstrieren. Aktionspläne (mit drei Risikostufen, damit jeder weiß, auf was er sich einläßt). Pamphlete mit Ratschlägen für das Verhalten nach der Verhaftung. Ein Team junger Rechtsanwälte.

Nun, an diesem Tag darf man es sagen: Power to the people! Venceremos!


Andrian Kreye, Seattle, Washington - 02.12.99 at 02:28:10




Dunkelheit: Ey ist nicht da. Er hat das Passwort und sein Bruder schliesst schon den Laden, ein Holztor, das einfach vor die Ladenfront geklappt wird und mit einem Riegel abgeschlossen. Fax-Service, Reconfirmation, Money-exchange. Aber kein E-mail, nirgends. Da! Gerade noch habe ich den Bruder von Ey gefragt, wo es sonst noch hotmail gibt. "Sorry, don't know, sorry". Jetzt steht er in der Tuer des naechsten Ladens und grinst. Yes, ich kann mich setzen, und er gibt dem Maedchen Anweisungen und ich bin drin. Ich denke wirklich an Boris Becker in diesem Moment. Starkoerper, Seattle. Hinter mir eine Maschine, die Farbphotos herstellt. Ihre Geraeusche waeren ein hervorragender Ambienttrack. Duuduuduu-Tschkia-kiah-duuduu.
Frueher am Tag: Ein etwas korpulenter, alter Mann kratzt getrocknete Algen am Strand auf. Er ist braun wie ein Marsriegel, ein fast unsichtbarer, weil gleichfarbiger Tanga um seine Hueften. Schlohgelbe Haare flattern um seinen Kopf und sein Kinn. Wir stehen auf einer Landspitze, rechts die windstille Bucht, links die stuermische See, die sich weiter draussen an einem Riff bricht. Er ist Amerikaner. Was wir denn so machen. "You know, once in California I met a young novelist and his wife and we became friends. We met a several times and they visited me in Europe, where I stayed at this time, you know I lived together with a swedish girl, a painter ..., ... so after a while he sent me his book and you know what? Half of his book was the story of my life." "You are still friends?" Oh yes. You know Carlos Castaneda?"


Lager S. - 02.12.99 at 14:32:40





ANNIE ruft an. Ob ich das gelesen haette in der Zeitung. Klar, habe ich gelesen. Das stand sogar in der Bangkok Post. Ich weiss sofort , um was es geht. Bin Laden und die Amerikanische Botschaft in Phnom Penh. Bin Laden will angeblich bomben, ob ich das auch schon gehoert haben. Die Botschaft habe geschlossen. Die Englaender wuessten von nix, hielten sich aber bedeckt, weil sie alles wuessten.

DAN ruft an. Ja, ich weiss Bescheid.

ANNIE ruft wieder an. Sie haette jetzt ein Photo von Bin Laden. BOO haette es gefunden Ach, ja? So? Der saehe naemlich wirklich (RREAHLLIIEE!) gut aus. Das Photo, also jenes eine Photo, dass BOO bei der BBC gefunden habe, darauf haette er naemlich keinen Bart. Und dazu diese Augen: Augen eines Kranken, eines Wahnsinnigen! Ich frage ANNIE, ob sie ihn nur gutaussehend findet, weil er so duenn ist. Noe, noe!

DAN ist auf der anderen Leitung. Das sei gar nichts Besonderes und vor allem nicht: Neu. Angeblich liefen durch den kambodschanischen Dschungel alle moeglichen Terroristen, viele aus dem Nahen Osten. Aber auch Tamil Tigers. Schon wegen der guten Verkehrsanbindung zu Jaffna. Per Boot. Ah, ja? Ob ich Mittagessen gehen moechte? Ich habe keine Zeit, ausserdem ist ANNIE auf der anderen Leitung.

ANNIE sagt MIR das Mittagessen ab, obwohl ich sowieso nicht kann und nie Mittagessen gehen wollte. ANNIE geht nicht weil BOO zu Haeagen Dasz gehen will, wo es neun Kugeln Eis fuer nur 99 Baht gibt. BOO isst nur Sorbet und ANNIE nur fettiges Creme-Eis. Da kaemen sie schlecht ins Geschaeft. Ausserdem wolle sie abnehmen. Stimmt.

ANNIE legt auf und DAN ist immer noch auf der anderen Leitung. Er weiss es allerdings nicht und spricht inzwischen mit BEVAN darueber, dass ANNIE und ich Sickos waeren, weil wir sexually aroused waeren, wenn wir den Namen Bin Laden hoeren wuerden. BEVAN macht Kotzgeraeusche. Ich druecke DAN weg.

BOO ruft an und meint, sie wuerde mir DAS SUPER-SUESSE PHOTO e-mailen, wenn ich mit ihr zu Haeagen Dasz ginge. Ich kann aber nicht.

Als ich essen will, ist das Catering weggeraeumt.


Eva Munz Bangkok, Thailand - 02.12.99 at 15:28:03





Pre-New
THE NEW 1980
EQUILIBRIUM 1985
LUXURY AND DEGRADATION 1986
STATUARY 1986
BANALITY 1988
MADE IN HEAVEN 1991
Puppy 1992
Celebration

seine Protestlieder
werden oft erst kurz vor dem Auftritt fertig
und immer wieder auf den neuesten Stand gebracht

Mittwoch, 2.12.1999, Hamburg


Rainald Goetz, Hamburg, - 02.12.99 at 18:15:30





GEC für General Electric Company
GWF für Golden West Financial
FRB für Federal Reserve Board
BAT für British American Tobacco
AMD für Advanced Micro Devices
FPT für Future Power Technologies
TPG für Texas Pacific Group
KHD für Klöckner Humboldt Deutz
UPS für United Parcel Service
WEC für Westinghouse Electric Company
UWR für United Water Resources
ABB für Asea Brown Bovery
WTO für World Trade Organisation
IBM für International Business Machines
JVC für Japan Victor Company

Abb.: Il sede dell' ENI



Andreas Neumeister Mjunik, - 02.12.99 at 23:49:47





der Fernsehturm blinkt
der Kaffee ist schon da
eine Lichtergirlande leuchtet
doppelt sanft geschwungen
Kindheit als Idee
im Winterzeitdunkel morgens
wo man nie älter wird als fünf
und sich auf die Freude der Eltern freut
Geburtstag, auch eine Geschichte der offenen Augen

Freitag, 3. Dezember 1999, Hamburg, Hotel Reichshof, Zimmer 533


Rainald Goetz - 03.12.99 at 22:41:10




Neu:
Anderkonto
Airtouch
Big Spender Gala (Welt-Aids-Tag)
Sexporno

Abb.: La sede del CSM


Andreas Neumeister Mjunik, - 04.12.99 at 00:15:40




Gestern: Sonnenschein. Friedliche Aufmärsche. Motorradpolizisten geleiten die Demonstranten zur Gewerkschaftsdemo, formen die Rechte zum Peace-Zeichen. Nachdem sie gestern im Boheme-Viertel Capitol Hill endgültig über die Stränge geschlagen haben und harmlose Passanten mit Gummigeschossen niederstreckten, ist heute die Devise Höflichkeit. "Sir."

Brillant: Ralph Nader, selbsternannter Advokat der Konsumenten, regelmäßig aussichtsloser Präsidentschaftskandidat. Putzt die prominenten Freihandelsfreunde bei der Diskussion vom Podium. Zitiert für die ganz Blöden: "Was alle betrifft, sollte von allen entschieden werden." Punkt.

Matt, Sonja, Marc, Anarchisten, sind aus Boston angereist, um ihre Kollegen aus Eugene/Orgeon zu unterstützen. Sonja, sehr diplomatisch: "Wenn jemand friedlich und gewaltlos demonstrieren will - wir respektieren das. Aber die Konzerne müssen spüren, daß sie nicht unverwundbar sind. Und wenn es nur ein paar Fensterscheiben sind."
Die Autonomen in Europa? "Die berufen sich doch auch Marx."
Ein Hippie, der uns zuhört: "Ich schäme mich, neben euch zu stehen." Marc: "Dann stell' dich halt woanders hin."

Abend: Andrew hat für seine Gefängnisfotos das George-Soros-Stipendium bekommen.

Heute: Adrenalinentzug. Schreiben. Zu viel Material.


Andrian Kreye, Seattle, Washington - 04.12.99 at 02:51:36




I HAVE RECEIVED ORDERS NOT TO MOVE
Saal ohne Heizung. Sold out. Am Rednerpult fallen mir fast die Arschbacken ab. Verlassen Sie sich in Zürich niemals aufs Wetter, hat der Mediator gesagt. Er heisst Lischka.
Pause. Sound by Autechre. Scheissglücklich. Vor mir: Ein Teich voller Gerüche. Sandra, Gotcha, Rene, Martinelli, Silvie.
Signalisiere "Licht aus" und steige in die zweite Hälfte: Dunkelheit flankiert von Diaprojektionen. Angelina Jolie und Jim Carrey, Toni Collette und Kevin Spacey, Ashley Judd und John Malkovich, Jude Law und Samantha Morton, Chloe Sevigny und Anthony Hopkins.
Wer soll den semiotischen Urknall im Inneren des Starkörpers deuten?
Vorschlag: Doppelagenten des Genusses. E- und U-Agenten. Sie wissen nicht, was kommen wird. Die Welt des Zufalls und der Unbestimmheit bedeutet Qualität. Identität zersplittert und vervielfältigt sich. Fortschritt bringen nur jene Berichterstatter, die das Spiel mit der inneren und äusseren Realität begreifen, und die Zersplitterung der Realität und ihren Einsatz entsprechend choreografieren. Ich bediene mich, um zu bedienen. We are obliged to steal language. Oink, oink, oink!
Fünfsekunden Pause. Entscheidung zwischen zwei Gläsern: Mescal oder Valserwasser. Valser. Blick ins Publikum: Girls vorne, Boys hinten.
Der Starkörper liefert Bausteine, um neue Identitäten zu erfinden, nur damit sie in kürzester Zeit wieder zersplittert werden. So schaffen wir eine symbolische Ordnung, in der keine Wahrheit mehr gefordert wird, sondern bloss clevere Spielanleitungen......
Klatsch, klatsch, klatsch Und Pfeif mir einen, extradry. Was ich brauch ist dieses ganz trockene, bröselige, fast parfümiert riechende Zeug. Der Stoff ist wie Zunder, und brennt wie Papier. So ein Applaus brauche ich.
Beim Abgang von der Bühne streckt mir eine junge Frau das Nan Goldin Buch "Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit" entgegen. Ich soll auf Seite 79 und 123 unterschreiben. Aber dieser Typ auf jenen Bildern hat längst nichts mehr mit mir zu tun. Busy going crazy?
Shopping-Liste für Henry: Sprüngli-Pralinen, Tigerli-Finken. Abflug um Zehn. Über Amsterdam zurück in die Realworld. Are we having fun yet?


tom kummer zürich, schweiz - 04.12.99 at 09:01:12




Daß es einen Orgasmus gibt,
und dieser auch erwähnt oder dargestellt wird,
sollte den katholischen Leser nicht
abschrecken antwortet, tapfer,
der Chef vom Weltbild-Verlag.



Georg M. Oswald - 04.12.99 at 13:21:33




Und so ist Seattle wieder ein hübsches Städtchen mit schlechtem Wetter, in dem es momentan etwas mühsam ist, einen Capuccino oder ein Päckchen Batterien zu bekommen. An meinem Fenster pickt eine Möwe an der Isolierung der Klimaanlage.

Um was es ging? Um die Arbeiter, die Umwelt und die Entwicklungsländer, um Mitbestimmung, Kapital und Produktionsmittel. Nichts Neues, aber inzwischen hat's auch CNN begriffen.


Andrian Kreye, Seattle, Washington - 04.12.99 at 18:02:59






Die volle Woche nicht aus dem Haus gegangen. Meine Therapeuten rufen nicht zurück, die können mich nicht leiden.
Heute zum ersten Mal raus und abends wieder rein, da möcht ich tanzen, da ist mein Kühlschrank, mein Fernseher, mein Bett, aber kein Jack (Hinterfotzendorf), keine Kanada mehr (eigenes Bett), keine Lola Paola (wo?), ich häng mich aus dem Fenster.
"Kann ichs nicht?" brüll ich mein Dixie an, weils keine Ohren hat und draußen zuviele Schwingungen gibt, da muß man lauter sein als alle andern, und ich mein es nicht bös.
Ich mein gar nichts mehr, im ganzen Leben nicht. Setzen, legen, rufen, wo ist die Belohnung?
Mein Herz geht auf. Das Blut kommt weiter, ich preß die Finger auf die Vene überm Muskel und atme nicht mehr, versuche ganz ruhig zu tun und nicht zu denken, daß ich überhaupt je sterben kann, sondern daß alles nur immer schöner wird.
Der Arm eingeschlafen, im fremden Traum, dabei kribbelt und brennt er und wird rot unter meinen Fingern, gleich platzt er, vorher muß ich jemandem was sagen, z.B. daß mir alles fremd ist bis auf dieses Glück.
Um den Telefontisch stürmt Musik und kalte Luft vom Treppenhaus - ein Loch die ganze Wohnung - reißt meine dumme Angst mit weg, die mich noch mal umbringt, mein Herz aus dem Takt wirft, beschissene Angst, die jedes Jahr nutzloser und umso fieser wird:
Klaro Faro macht Sinn gut drauf, und kein Sinn macht böse.


robbe lipsia, - 04.12.99 at 18:23:58




Übg.2
Ich glaube nicht, daß man sich jemals seiner Sache sicher sein kann.
Also braucht man jemanden, der sagt: Hast du fein gemacht.
Und, verdammt, so jemand findet sich doch auch.


Anke Stelling, Leipzig, - 04.12.99 at 18:26:45





dass war ich beim
ich im von der

wenn die zu sind man sie
und dann wieder

KRANK

Samstag, 4.12.1999, IC 875 Otto Lilienthal


Rainald Goetz, Berlin, - 04.12.99 at 23:02:06




Ich wandere
durch den Englischen Garten
um den Hals meinen neuen, roten Schal
FC Bayern München e.V.

und höre Sechzigtausend skandieren:
Helmut wir danken dir


Georg M. Oswald - 05.12.99 at 12:13:27




Lieber Freund,
wann wirst du das lesen koennen? Wenn es durch den Aether geht, oder schon wenn ich es schreibe? Ich habe auf deinen Namen einen account bei Hotmail eingerichtet, jetzt bist du im Netz, sichtbar.
Wir waren eingeschneit, fast, fluessig war der Schnee und warm, und er lief pausenlos ueber die kahlen Betonbruestungen des Hotels. Ein unablaessiges Klacken und Schmelzen der Tropfen auf den steinernen Boeden. Graue gebauchte Wolken stuermen von der See heran und selbst als der Regen in der Nacht fuer einige Stunden aufhoerte, klatschten Kaskaden des angestauten Wassers von den Bruestungen, so dass die Gedanken sich nicht mehr von der Klammheit der Kleider loesen konnten.
Das Hotel besteht aus einem langen Strang Beton, der u-foermig einen grosszuegigen Palmengarten umschliesst, bis zum Meer, das durch Riffe gebrochen, mehr ans Ufer faechert, als dass es wirklich Wellen schlaegt.
Das ganze ist sehr reduziert, einfach, Wandelhallen, durch deren Holzdecken der Regen tropft. Die Holzverschalungen des hineingegossenen Betons sind an manchen Waenden geblieben. Das Restaurant besteht aus kleinen Huetten, in denen man isst. In denen man auch liegen bleibt, so angenehm ist es die Zigaretten mit dem Blick auf den Horizont zu rauchen.
Waerst du hier, wir haetten zusammen sehr gelacht ueber den schwulen Designer, der eine Handvoll Arbeiter dirigierte, damit sie junge Palmen hier herausreissen und einen halben Meter weiter wieder einpflanzen. Dabei zwirbelte er sein Ziegenbaertchen und kontrollierte mit einem Auge irgendwelche Perspektiven. Im Hotelmagazin behauptet er, er stamme aus der Koenigslinie des untergegangenen suedthailaendischen Herrscherhauses ab. Ein Geck, neben ihm ein betrunkener Traveller, der, seine Stiefel auf dem Tisch, in einer der Strandhuetten seinen Rausch ausschlaeft. Sie sind so sanft, sie lassen ihn schlafen.
Ich schweife ab, weil es lange her ist, dass ich dir geschrieben habe. Eins noch: Der Anblick der weissen Regenwolken, die sich in den Bergen verfangen und filigran zerstaeuben, als wuerden sie die gruenen Kuppen der Berge in sehr zarten Bewegung einkleiden wollen mit ihrer Gaze aus feinsten Tropfen; die leuchten wie Ektoplasma.
Dein S.


S. Lager Chaweng Beach, Siam - 05.12.99 at 14:21:13







Das Tolle ist ja, dass man tatsächlich über zwei vollwertige Schreibtische verfügt. Das Tolle ist ja, dass man auf der total verwüsteten Schreibtischplatte ein geniales Hilfsmittel stehen hat, das zwar seinerseits auch wieder Platz wegnimmt, auf dessem imaginierten Schreibtisch aber ungleich besser Ordnung zu halten ist. Nicht, daß dieser zweite Schreibtisch nicht auch total verwüstet gewesen wäre. Nicht, daß die Übertragung während sieben Monate angesammelter, auf zahllose Einzeldateien verteilter, teilweise zu Abkürzungen verstümmelter Notizen aus dem mitgeführten Reiserechner in den daheimgebliebenen Tischrechner nicht ebenfalls einen heillosen Zuordnungsabgrund aufgerissen hätte. Aber hier waren ungleich schneller Überblick, Raum und Luft zu schaffen. Das Tolle ist ja, dass man nach vergleichsweise kurzer Zeit trotz totaler Blockade der Schreibtischplatte auf dem imaginierten Schreibtisch vergleichsweise ungehindert weiterarbeiten kann, ich meine

Abb.: Cine Città, entrata ovest


Andreas Neumeister, Mjunik, - 05.12.99 at 23:50:05





Gebärdegebäude Gespräch
Intensität baut sich auf
wo man Gründe sucht
Affektexposition: falsch

am nächsten Morgen
hatte ich Watte in Kopf
beim Frühstück redeten die Leute
vom nächtlichen Sturm

HOTEL UNIVERSUM

ein Haus, das so heißt
ein Foto, kein Plan
ich saß wie tot im Zug
und dämmerte an Richtigsätzen rum

um das Gesagte nachzubessern, korrigierend
später nahm ich Einzelworte wieder raus
bis inhaltsfreier Gegensinn da stand
das fand ich dann ganz schön

KRANK

Sonntag, 5.12.1999, Berlin


Rainald Goetz - 06.12.99 at 00:18:12




1. Reinhard Mohr
2. Martin Krumbholz
3. Gustav Seibt
4. Henryk M. Broder
5. Udo Walz
6. Harald Martenstein
7. Mariam Lau
8. Kerstin Holzer
9. Nikolaus Stemmer
10. Helmut Ziegler
11. Wolfgang Höbel
12. Volker Hage
13. Maxim Biller
14. Angela Marquardt
15. Mercedes Bunz
16. Harald Jähner
17. Nicolaus Sombart
18. Michel Würthle
19. Ulf Poschardt
20. Iljona Mangold
21. Oliver Helbig
22. Jesko Fetzer
23. Dorle Maravilla
24. Thomas Melle
25. Lucas Koch


Christian Kracht Bangkok, Thailand - 06.12.99 at 03:25:04




Lieber Freund,
sitzt du wie ich in der Dunkelheit, oder ist es Tag? Mir fiel, bevor ich dir den Regen beschrieb, etwas ganz anderes ein. Der Grund warum ich ploetzlich an dich dachte. Zuerst war da Anja, ich haette mich nie an sie erinnert, waeren nicht an den Toiletten im Hotel die Zeichen fuer maennlich und weiblich angebracht gewesen. Ich kann sie nicht auseinanderhalten und so bin ich immer in die Tuer mit dem Kreis ueber dem Kreuz gegangen. Doch, nach Tagen, stand ploetzlich Anja vor mir, halblange Haare, eher ein Jungsgesicht, und sagte: "Ja genau, wir Frauen stehen ueber dem Kreuz!" Das muss in der siebsten oder achten Klasse gewesen sein. Sie steht auf dem Schulgang, vor mir und sagt diesen Satz, und es ist die einzige Erinnerung an sie, so sehr ich auch nachdenke. Dann dachte ich an dich, und es waren sicherlich mehr als nur ein paar Momente, die ich aneinanderreihen konnte.


Lager Mae Nam, Seven Eleven, - 06.12.99 at 14:50:49




Heute im SPIEGEL, die Seiten 264 und 5, gerahmt von Ein-Drittel-Seiten-Anzeigen zu José Saramago ("Wer ihn liest, hört eine mächtige Stimme") und Paul Auster ("Ein großer Erzähler erzählt hier eine kleine Geschichte, und er erzählt sie groß"): Ja, ähm ... haha. Hehe. Uhuhuhu! Man glaubt es nisch. Die Autoren Henryk M. Broder und Reinhard Mohr versuchen ganz, ganz, ganz doll, DIE FÜNF Schriftsteller (Glauchau links bis Stuckrad rechts im Bild) den letzten Scheiße überhaupt zu finden. Es sind die wüstesten Beschimpfungen, die ich je im SPIEGEL gelesen habe, und weil es sich so aufgeregt liest, so echt außer sich, wutschnaubend, wird Großbeschimpfung zwingend logischerweise ganz nebenbei Großlob. Ganz einfach. So ist das, wenn Kritik Schimpfkritik ist. Die Bundespräsidenten-Gattin Christiane (Das muss ja auch eine Hammer-Fotze sein. Warum hat die eigentlich noch nichts vor den Latz geknallt bekommen? Wie? Was denn? Okay, dann versuche ich das demnächst mal), diese Gattin also sei mit "Grausam" vernommen worden beim Herausgehen. Ja. Mjammjammjam. Ja. Am Ende, komisch, muss doch auch dem letzten Deppen, enklusive der zwei hier Schimpfenden, klar sein: ... nee, nisch zu fassen. Wer jetzt nicht vier mal zwölf Tristesse Royal bei amazone.de bestellt, den verstehe ich nicht. Den interessiert nichts. Der hat, glaube ich, wirklich ein Problem mit Büchern. Und donnernd schallt das Hohngelächter von Bangkok bis nach Heidelberg: HA! HA! HA!


Moritz von Uslar, München - 06.12.99 at 15:45:33





Die Damen kommen schon gegen frühmittag. Ich hab mir gerade den Gute-Nacht-Schuß gesetzt, und Jack liegt noch im Bettchen.
Jack ist taub vor jedem Wecker; Feindbilder, Große Distanz.
Mit der Fautse rummse ich gegen seine Scheißtür, erklimme zurück mein Zimmer und sinke in meinen See-Sessel.
Jack ist
Wichtig-Jack ist
Klingeln-die-Damen-nicht-jedesmal-schöner-Jack
der mühevoll den Rücken gradebiegt, das Kunsthaar richtet und zum Zöpfchen bindet, und seinen Stolzgrins und den hölzernen Klein-Jack in die Bescheiden-Tu-Kiste stopft, und sich alle Zeit und Nerven von Robbe leiht.
Weiß Jack doch, daß ich zeitig bin und nicht mehr schlafen kann nach Rumgeärger.
Aber mein Jack ist später als alle andern, guckt zehn Minuten in die Luft, wenn vor ihm zwei Paar blaue Schuhe stehen.
Ich werd doch noch mal müde: Jede Minute zählt in dieser Art Living, wo man einem Jack immer helfen muß.



robbe lipsia, - 06.12.99 at 15:59:08





die Kanne, die bei Rubens stand

überraschend habe ich inzwischen
das Krankenhaus verlassen
und meine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen

auf die Frage, ob durch diese Praxis -
erkläre ich wahrheitsgemäß
dass ich nur mit Ja antworten kann

und plötzlich beginnt
der Aufstand der Objekte

6.12.99


rgb - 06.12.99 at 23:32:09





Das unendliche Geräusch des Magens, wenn man aus lauter Verzweiflung 500 g taufrisches Roggenbrot zu sich genommen hat, weil es so gut schmeckt eben. Ich kann es nicht empfehlen. Auch nicht den Allergie-Scratch beim Hautarzt. Meine Unterarme sehen aus wie die eines Zirkus-Junkies. Überall dreifach geritzte Selbstmord-Bilder, es schmerzt wie es wohl jeden auf St.Georg schmerzen muß. Was hilft es da, daß "keine Allergie" die beste Nachricht daran ist? Was bleibt übrig?
Vielleicht ein Gedicht.

Auf Wiedersehen

We malt mir das Bild meiner Freunde
zusammenklappbar ein bequemes Taschenformat
ich will abreisen
eine zweifelhafte Lücke hinterlassen
in diesen Reihen dichtgeschlossen
Freunde ihr habt mich das Fürchten gelehrt
bei euch und beim Bier zu altern ist übel
die Zähne fallen in der Gemeinschaft
im angenehmsten aller Kollektive

ich will erobern ein wackliges Raucherabteil
geht ein Freunde in die Selbstgerechtigkeit
das Wetter bleibt veränderlich
laßt es euch schlecht ergehen schlecht
Auf Wiedersehen hab ich auch nichts vergessen
gebt alles zurück was mir gehört
ja ich werde jetzt kleinlich Leute

Nicolas Born (gest. 7. Dezember 1979)


Eckhart Nickel Heidelberg, Nach der Flut - 07.12.99 at 23:30:08