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pool #74 23.12.-31.12.2000
pool #73 / pool #75
Meine Freunde Chrétien und Marie-Claire durchleiden, glaube ich, momentan eine Ehekrise.
Der erste Verdacht kam mir vorgestern an ihrem Eßtisch, als ich bemerkte, wie Chrétien
sich die Hände rieb, als hätte er sie gerade eingecremt. Dabei hatte er seine Frau so
fixiert, daß ich den Blick senken mußte. Und sah, daß er nur einen Finger über den
Rücken der anderen Hand streichen ließ. Den Mittelfinger.
Die Sätze, die gesagt wurden, und der Tonfall ihrer Stimmen aber waren so entspannt und
freundlich, daß ich diese Vermutung erst wieder hervorholte, als Marie-Claire
ausführlich den Preis der Vorspeise referiert hatte (Bacalao, der DM 32.- das Kilo
gekostet hatte, woanders jedoch für weniger angeboten wurde). Ihr Mann stand auf und
kehrte mit einer zweiten Champagnerflasche zurück. Die hätte er aus Versehen geöffnet,
sagte er und fragte im Tonfall eines, wenn auch nur unwesentlich, unartigen Jungen seine
Frau, ob das sehr schlimm sei.
Dann verschwand Chrétien in der Küche. Er war sehr lange weg, und während er dort
offenbar sehr arbeitsaufwendige Gerichte bereitete, unterhielten Marie-Claire und ich uns.
Gepflegt, wie man so sagt, denn eigentlich ist sie eher still, und so genau wissen wir
beide nicht, ob wir uns wirklich etwas zu erzählen haben. Während dieser dreiviertel
Stunde aber gaben wir uns redlich Mühe. Ich hatte Gelegenheit darüber nachzudenken, ob
sie möglicherweise gegen diese Einladung meiner Person protestiert habe. Weil ich ihr gar
nicht sympathisch sei. Weil nur ihr Mann sich mit mir unterhalte und sie dabei nie zum
Zuge komme.
Vielleicht also sollte uns seine lange Absenz einander näher bringen. Vielleicht aber
wollte ihr Mann sie nur ärgern. Jedenfalls kamen schließlich gedünstete Broccoli und
Möhren sowie ein Schweinebraten mit Kruste und einer Sauce, die Marie-Claire mit
freudiger Überraschung begrüßte, auf den Tisch.
Alles gar, und alles eiskalt.
Während ich am Braten kaute und ebenso Freundliches von mir gab wie die beiden anderen
auch, überlegte ich, was wohl so lange gedauert hatte dabei. Marie-Claire mißbilligt,
daß ihr Mann Hasch raucht - hatte er sich ein Pfeifchen gegönnt und darüber die
Speisen vergessen? Oder war ihre Temperatur Absicht? Mit Essen läßt sich einiges
anrichten, wenn man jemanden ärgern will. Und so fiel mir bei weiterer Betrachtung auf,
daß diese sonst im Hause anscheinend nicht übliche Sauce eine merkwürdige Konsistenz
hatte. Weiß, sehr stärkehaltig und doch wässrig.
Bei der dritten Flasche Champagner, die diesmal von Chrétien nicht aus Versehen
geöffnet, sondern lautstark eingefordert worden war, gab es den Nachtisch. Marie-Claire
teilte aus.
"Un peu de dessert?" fragte sie ihren Mann mit einer Stimme, die sie wohl sonst
den Besitzern vor ihr hinkackender Hunde reserviert hat. Und sie erklärte mir, zur
Süßespeise gäbe es keine Sahne, sondern Joghurt. In ihrem Hause gäbe es nie Sahne.
Nie. Womit mir klar war, daß Chrétien anscheinend Schlagsahne geplant hatte.
Seit vorgestern, als ich bei meinen Freunden eingeladen war, habe ich von ihnen schon zwei
Nachrichten auf dem Anrufbeantworter erhalten. Sie wollen wissen, ob es mir nach dem Essen
auch so schlecht ergangen sei. Es täte ihnen leid, wenn sie ihren Gast vergiftet hätten.
Heute haben sie mir fröhliche Weihnachten gewünscht.
Ich werde nicht zurückrufen. Die Gefahr ist zu groß, daß ich fragen könnte, ob die
blauen Flecke von den Fußtritten unterm Tisch schon zurückgegangen sind.
Wie gesagt. Ich glaube, meine Freunde haben derzeit eine Ehekrise.
Carmen Samson Berlin - - 25.12.00 at 14:13:40
Spaziergang.
Unter den Linden fragt eine Frau in ihr Handy: "Da is nu so'n kleenet
Briefkuvert drauf, jetze. Wat soll'n dit?" Pause. "Ufflejen? Un'
denn?"
Eine Tamilenfamilie photographiert einander am Brandenburger Tor. Der Großvater trägt
über seinem Dhoti einen hellblauen Anorak. Seine Füße stecken im Schnee, so daß ich
nicht sehen kann, ob er Schuhe trägt.
Im Tiergarten gehen Frauen um die dreißig mit kleinen Hunden, Männer halten Regenschirme
über ihren Gattinnen und reden über neue berufliche Aufgaben, eine russische Großmutter
spricht im Frageton mit dem jungen Mann neben ihr.
Ein kleiner Husky zieht einen ebenso kleinen Schlitten hinter sich her. Leinen verbinden
ihn mit einem Skiläufer, der mir "Moin, moin" zuruft.
Am Zoo riecht es nach exotischem Dung und den Abgasen der Busse, und ich mische mich in
die Menge der ersten Heimkehrer.
Vor meiner Haustür glaube ich kurz, meinen Schlüssel vergessen zu haben. Als ich meine
Handtasche auf dem Treppenabsatz ganz ausleere, finde ich ihn.
Carmen Samson Berlin - - 26.12.00 at 14:29:40
Es folgt nun, was ich mir nicht fürs neue Jahr wünsche, dazu kommen wir später, sondern
fürs nächste Leben, weil alles, das man macht, sollte man gründlich machen:
Wenn ich wählen könnte, wäre ich lieber eine Frau, weil Bitchigkeit natürlich mehr
Style hat als die durchschaubare Grobheit der Männer. Dennoch alle Wünsche auf ein Mal:
Ich möchte auf jeden Fall immer, bei jeder Gelegenheit intrigant sein und ein Opportunist
noch dazu, also je nach dem mit dem einen über den anderen herziehen und umgekehrt. Vor
allem den einen in der Gegenwart des anderen, der mir wichtiger ist, schneiden, also die
Augen leicht verdrehen und tuscheln mitten im Satz. Aber auf jeden Fall den Geschnittenen
beim nächsten Mal ganz herzlich umarmen und begrüßen und ihm das Gefühl der besten
Freundschaft geben.
Ich möchte prinzipiell ohne Geld aus dem Haus gehen und andere für mich bezahlen lassen
mit entweder erstaunter Überraschung kein Geld dabei zu haben oder der geschickten
Berechnung der Großzügigkeit des anderen. Natürlich würde ich vorher einen kleineren
Betrag großzügig übernehmen, so etwas wie ein Taxifahrt oder einen Kaffee, um die
größere Zeche der Ehre des anderen zu überlassen. Ich würde mir regelmäßig kleinere
Beträge leihen, deren Rückgabe unter Freunden eigentlich indiskutabel ist. Mein
geschickter Geiz ist natürlich nur eine eigensinnige Facette meines offensichtlichen
Wohlstands.
Ich bin dann, denn das ist ein Gesetz der Natur, gelangweilt von den Gutmütigen,
Offenherzigen und Naiven. Es ist ja wirklich so, wen interessiert die Abwesenheit
jeglicher Abstraktion im Leben? Ein wenig Verschlagen heit ist die Mutter aller Kunst. Ich
möchte mir nur Ebenbürtige suchen, die mein Geschick im Ausnutzen anderer verstehen. Es
befriedigt mich fast ebenso Opfer einer geschickten Intrige zu sein wie selbst eine
erfolgreiche durchgeführt zu haben.
Ich möchte eine beste Freundin haben, die ich quälen kann, weil sie mir nicht immer ganz
folgen kann. Sie ist mein Satellit. Ich kann es mir aussuchen, ob ich ihr eine Szene
machen kann, wegen der beiläufigen Bemerkung über Magersucht oder wegen ihres
Zuspätkommens. Ich warte den nächten Tag ab, dann unterstelle ich ihr meine eigene
Boshaftigkeit. Und das schönste dann sind die erhitzten Beteuerungen ihrer Unschuld. Sie
können gar nicht lang genug sein. In regelmäßigen Abständen sage ich ihr ins Gesicht
wie dumm oder häßlich sie ist. Danach belohne ich sie mit einem meiner
Lieblingskleidungsstücke, die sie schon immer bewundert hat, die ihr aber leider nicht
stehen.
Ich möchte natürlich sowohl als Mann wie als Frau meine Liebe mit den Füßen treten.
Wie gesagt, die männliche emotionale Kälte bieten wenig Möglichkeiten. Als Mann muß
man geschickter Chauvinist sein und das fehlende Selbstwertgefühl einer Frau ausnutzen.
Es funktioniert dann ähnlich wie mit den besten Freundinnen. Natürlich lasse ich sie ihr
eigenes Geld verdienen, auch beruflich sollte sie erfolgreich sein, aber ich werde
jegliches Überholen zu vermeiden wissen. Sexuelle Hörigkeit geht damit einher, denn Sex
ist nur gut als Ausgleich für fehlende Zuwendung. Als Frau würe ich meinen Mann
natürlich in den Ruin treiben. Der empfindlichste Nerv eines Mannes ist die finanzielle
Versorung seiner Familie. Er hat nie wirklich genug Geld. Ich würde ihn vor Freundinnen
immer schlecht behandeln, aber dafür sorgen, daß er dabei ist. Und ihn nur betrügen mit
Männern, die etwas haben, von dem er selbst glaubt, es fehlt ihm. Ich bringe ihn in
Versuchung eine Geliebte zu haben, aber sie wird sofort meine beste Freundin sein.
(Hier muß noch detaillierter nachgearbeitet werden. Die unglückliche Liebe ist eine
komplexe Kunst)
Abschließend und generell werde ich: Hunde treten, Kinder kneifen und Bettlern
ausländische Münzen geben. Ich werde kleine Dinge aus den Wohnungen meiner Gastgeber
stehlen und geliehene Gegenstände mit gespielter Empörung als gestohlen
zurückverlangen. An Frauen verschenke ich grundsätzlich Kleidungstücke zwei Nummern zu
groß und an Männer langweilige Klassiker, von denen sie nur gehört haben oder sehr
teure aber scheußliche Einrichtungsgegenstände.
Verirrten Menschen den falschen Weg zu weisen, gehört zu meinen leichtesten Übungen.
Lieber noch bestärke ich andere in dem, was sie gar nicht oder nur schlecht können.
Ach, ich werde einfach böse sein. Und es wird ein lustiges Leben werden.
Wunschlisten sind hiermit eröffnet.
Ja, auch die gutgemeinten und langweiligen fürs neue Jahr. Prost.
Sven Lager - B. - 26.12.00 at 21:38:26
2001: Allen alles.
Eckhart Nickel Heidelberg - - 29.12.00 at 14:09:22
1. Catherine Kuhn
2. Peter de Vries
3. Johannes Schweikle
4. Linda Silalahi
5. Christian Meier
6. Felix Perelzstein
7. Leif Nueske
8. Dr. Dent. Wandschneider-Ohrmann
9. Stefan Gessulat
10. Andreas Kayales
11. Ines Seidel
12. Marc Wirbeleit
13. Andreas Kiddes
14. Christoph Reisner
15. Andres Juberias
16. Frank Dovidad
17. Django
18. Boris Obodda
19. Sergio Jaranillo
20. Simone Scardovelli
21. Holm von Czettritz
22. Carsten Regel
23. Yves Spinks
24. Johann Christoph Anton
25. Adriano Sack
26. Puppe Engel
27. Jan Rexhausen
28. Max Dax
29. Nigel Rahimpour
30. Mark Terkessides
31. Mona Kino
32. Kris Tomasson
33. Gad Klein
34. Jasmin Ghauster
35. Klaas Ackermann
36. Petra Hermann
37. Michaela Gerganoff
38. Louis Oberlaender
39. Gesine Nennecke
40. Andre Kemper
41. Markus Kiersztan
42. Anna Boettcher
43. Florian Illies
44. Oliver Helbig
45. Marcus Carrer
46. Iris Wagner
47. Til Obladen
48. Kemal Kurum
49. Schlacko
50. Oda Schaefer
51. Neli Dornier
52. Soenke Knickrehm
53. Araba Walton
54. Gepa Hinrichsen
55. Nick Schofield
56. Joachim Bessing
57. Alexander von Oswald
58. Lukas Koch
59. Uriz von Oertzen
60. Walter Mayer
61. Ayzit Bostan
62. Alexander Wiederin
63. Rainald Goetz
64. Sabina Schreder
65. Dennis Kaun
66. Anne Miralda Meyer-Minnemann
67. Ingo Mocek
68. Nico Beyer
69. Sophie Zeitz
70. Nika Scheidemandel
Christian Kracht, Rebecca Casati, Eva Munz, Tina Obladen, Benjamin von Stuckrad-Barre,
Johanna Adorjan, Michel Obladen, Axel Pflugbeil, Olrik Kleiner Hikkaduwa, Sri Lanka - -
31.12.00 at 11:55:58
1. Schildern Sie ein Wochenende im Jahr 1981!
2. Schildern Sie Ihre private Situation im Jahr 1983!
3. Schildern Sie Ihre Urlaubsreise im Jahr 1985!
4. Schildern Sie Ihre Interessen und Wünsche im Jahre 1986!
5. Schildern Sie ein Gespräch im Jahr 1988!
6. Schildern Sie Ihren Arbeitsplatz im Jahr 1990!
7. Schildern Sie eine Party mit Freunden im Jahr 1992!
8. Schildern Sie Ihre berufliche Situation im Jahr 1995!
9. Schildern Sie Ihre Wohnsituation im Jahr 1999!
10. Schildern Sie Ihre Erlebnisse im Ablauf des Jahres 2000!
11. Schildern Sie Ihre Pläne für das Jahr 2001!
12. Schildern Sie Ihre Erinnerungen im Jahr 2010!
Abb.: Franz Gsellmanns Weltmaschine
Andreas Neumeister, Mjunik: Gutes Neues! - - 31.12.00 at 18:55:45